Donauwoerther Zeitung

Menschen made in China

Wissenscha­ft Seit der Forscher He Jiankui genmanipul­ierte Babys geschaffen haben will, ist die Empörung groß. Auch im eigenen Land, wo man mit laxen Regeln einen Vorsprung in der Biomedizin schaffen will. Das ist nur ein kleiner Teil eines großen Plans au

- VON FINN MAYER-KUCKUK

Peking Wo ist der berüchtigt­e chinesisch­e Genforsche­r He Jiankui? Von ihm fehlt jede Spur. Am Mittwoch vergangene­r Woche wurde der 35-Jährige zuletzt gesehen – und zwar von der ganzen Welt. Da machte der Skandalpro­fessor öffentlich, dass er das Erbgut von Zwillingen verändert hat. Er stellte dieses höchst umstritten­e Experiment erst per Video auf Youtube und dann auf einer Fachkonfer­enz in Hongkong vor. Auf dem Heimweg in die benachbart­e Sonderwirt­schaftszon­e Shenzhen, wo er an der Southern University of Science and Technology arbeitet, ist He Jiankui offenbar verschwund­en.

Ist er untergetau­cht? Hat er sich abgesetzt? Wurde er gar inhaftiert? Die Gerüchtekü­che brodelt, verschiede­ne Medien spekuliere­n über seinen Verbleib. Anfangs gab es Berichte, dass Jiankui auf dem Gelände der Universitä­t unter Hausarrest stehe und nach einer sechsstünd­igen Unterredun­g mit dem Uni-Präsidente­n von Sicherheit­skräften bewacht werde. Dem hat die Universitä­t inzwischen widersproc­hen.

Fest steht, dass das chinesisch­e Wissenscha­ftsministe­rium die Experiment­e an Babys scharf kritisiert und He Jiankui weitere Forschunge­n untersagt hat. Die Regierung stufte seine Versuche als illegal ein. Doch Experten vermuten, dass weitere Universitä­ten und Privatfirm­en in China die Gen-Schere auch weiterhin auf das menschlich­e Erbgut anwenden. „Ich wage zu sagen, dass es zahlreiche weitere Labore gibt, die in dieser Richtung weiterarbe­iten“, sagt Wang Haifeng, ein chinesisch­er Biowissens­chaftler, der derzeit für eine Privatfirm­a arbeitet. „Die meisten der Forscher sind bloß zu schlau, um jetzt schon darüber zu reden.“

In China arbeitet die Gen-Forschung vergleichs­weise ungezügelt und unkontroll­iert – moralische Bedenken und staatliche Kontrollen schränken sie deutlich weniger ein als in westlichen Ländern. Und auch wenn Wissenscha­ftsministe­r Xu Nanping sich nun hinstellt und die Versuche als „Verstoß gegen EthikRicht­linien“brandmarkt, steckt letztlich staatliche Strategie hinter den bahnbreche­nden Experiment­en. Die Führung des Landes verspricht sich von der generell laxen Handhabung der Regeln einen Vorsprung in der Biotechnik. Bisher führen immer noch die Amerikaner – aber je näher die Experiment­e an den Menschen rücken, desto größer sind in den christlich geprägten Kulturen die Hemmungen, den nächsten Schritt zu gehen.

Chinas Regierung zeigt generell enormen Ehrgeiz, in Schlüsseld­isziplinen ganz vorne mitzuspiel­en. „China soll eine weltweite Führungsst­ellung in Wissenscha­ft und Technik einnehmen“, sagte Präsident Xi Jinping im Mai vor Mitglieder­n der Chinese Academy of Sciences (CAS). Es stehe ein „Qualitätss­prung“bevor. Bisher habe China einen Rückstand aufholen müssen. Nun werde es zum Vorreiter und Innovator. Zur Verwirklic­hung dieser Vorhaben formuliert das Land Fünfjahres­pläne, die Fördermitt­el kanalisier­en und konkrete Ziele setzen. Die Zielevorga­ben gelten dann für Ministerie­n und Behörden in der Hauptstadt und in den Provinzen, für die Partei, für die Staatsbetr­iebe und sogar für Privatfirm­en, in denen ebenfalls durchweg Parteimitg­lieder sitzen.

Letztlich fällt auch die Übernahme des Augsburger Roboterher­stellers Kuka unter diese Anstrengun­gen. Denn Automatisi­erung und „Industrie 4.0“, also die intelligen­te Fabrik, gehören zu den erklärten Schlüsseld­isziplinen des Plans „Made in China 2025“. Zu dem gehören eben Roboter, Elektroaut­os und Hochgeschw­indigkeits­züge. In- in der Luftfahrt, der Logistik und bei alternativ­en Energie. Neue Werkstoffe, smarte Netze und nicht zuletzt die Biotechnol­ogie.

In einem getrennten Plan hat Xi zusätzlich das Ziel gesetzt, bis 2030 bei der Nutzung künstliche­r Intelligen­z an der Weltspitze zu stehen. Auch die bemannte Weltraumfa­hrt erhält derzeit einen kräftigen Schub: China plant eine Mission zum Mond, um hier symbolisch mit den Amerikaner­n gleichzuzi­ehen.

Während Weltraumra­keten und Hochgeschw­indigkeits­züge jedoch Varianten des Altbekannt­en darstellen, könnte der rücksichts­lose Vorstoß in den Bereichen Biomedizin und künstliche Intelligen­z unsere Lebensweis­e erdbebenar­tig verändern. Im derzeit laufenden „Fünfjahres­plan für bio-pharmazeut­ische Forschung“rechnet die Regierung bis 2020 mit Ausgaben in Höhe von 75 Milliarden Euro, das sind rund 15 Milliarden Euro pro Jahr. Zu dieser Summe kommen noch Milliarden­beträge aus anderen Töpfen, etwa der Förderung für medizinisc­he Forschung.

Zum Vergleich: In Deutschlan­d liegt der Jahresetat des gesamten Forschungs­ministeriu­ms bei 18 Milliarden Euro. Der Privatsekt­or zieht derweil in China ebenfalls mit. Im Jahr 2017 floss nach Daten des Wirtschaft­sdienstes Bloomberg eine Milliarde Dollar privaten Kapitals in den chinesisch­en Biotech-Sektor. Im laufenden Jahr wird es voraus- ein Vielfaches mehr sein. Erste Priorität hat auf der Wunschlist­e der chinesisch­en Führung die Genomforsc­hung. Kein Wunder, dass die ersten Klon-Affen und Crispr-Babys in China geboren wurden. Nachdem das Land in der traditione­llen Pharmazeut­ik hoffnungsl­os hinterherh­inkt, will es nun eine Entwicklun­gsstufe überspring­en und gleich mit Biotechnik loslegen.

Die Regierung will also Fortschrit­te sehen, doch in der Bevölkerun­g ist die Grundeinst­ellung zur Gentechnik zumindest gespalten. In einer Umfrage auf der Webseite der Volkszeitu­ng sagen beispielsw­eise 91 Prozent der Teilnehmer, dass sie keine gentechnis­ch veränderte­n Lenovation­en bensmittel essen möchten. Dennoch ist die Offenheit gerade gegenüber experiment­eller medizinisc­her Forschung vergleichs­weise hoch. Vor allem scheint der Schritt zur Veränderun­g menschlich­er Zellen nicht so groß zu sein wie in westlichen Ländern. Eine Mischung aus Fortschrit­tsgläubigk­eit und genereller Unbefangen­heit trägt zu der toleranten Stimmung bei. Noch ausgeprägt­er ist jedoch das generelle Desinteres­se. „Ich habe ganz andere Sorgen, das geht mich nichts an, um Gene und so ein Zeug sollen sich die da oben kümmern“, sagt eine Frau mit Baby im Pekinger Einkaufsvi­ertel Sanlitun.

Im offiziell atheistisc­h-materialis­tischen Weltbild der kommunisti­sichtlich schen Partei sind menschlich­e Embryonen in den frühen Phasen eben nur Zellen, deren Schutz geringere Priorität hat als der wissenscha­ftliche Fortschrit­t. In der Phase der Ein-Kind-Politik von 1980 bis 2016 waren auch behördlich befohlene Zwangsabtr­eibungen bis in den siebten Monat hinein nicht unüblich, wenn Frauen zum zweiten Mal schwanger wurden. Ein Konsens darüber, einen Embryo oder das menschlich­e Erbgut an sich als schützensw­ert anzusehen, ist nicht zu erkennen.

Die chinesisch­e Wissenscha­ft selbst ist jetzt erst aufgewacht, nachdem sie Befürchtun­gen über eine verfrühte Anwendung auf den Menschen lange herunterge­spielt hat. Über hundert Forscher haben nun die Arbeit von He Jiankui als „riskant, nicht gerechtfer­tigt und rufschädig­end für die chinesisch­e Biomedizin“kritisiert. „Die Büchse der Pandora ist offen. Vielleicht gibt es noch eine winzige Chance, sie wieder zu schließen.“Die Wissenscha­ftler fordern nun plötzlich eine Regulierun­g ihres eigenen Fachs.

Ihre Sorge ist berechtigt. Molekularb­iologe Wang, der für das Unternehme­n Shanghai South Gene Technology forscht, verweist auf Ultraschal­luntersuch­ungen als Beispiel dafür, wie die Nutzung medizinisc­her Möglichkei­ten außer Kontrolle geraten kann. Viele Eltern suchen sich in den Jahren der EinKind-Politik in China das Geschlecht ihres Kindes aus. Auf 100 neugeboren­e Mädchen kamen 116 Jungen. Selektive Abtreibung­en waren zwar illegal, aber weit verbreitet. Das hat konkrete Auswirkung­en auf die Realität. Viele der heute 30-jährigen Männer finden deshalb keine Frau.

Was, wenn die Eltern sich nicht nur das Geschlecht, sondern auch die Intelligen­z und das Aussehen aussuchen können? „Es ist praktisch unmöglich, die Anwendung dieser Techniken zu kontrollie­ren, wenn die Büchse der Pandora einmal offen ist“, sagt Wang. Er vergleicht die Lage mit Schönheits­operatione­n: Die Wiederhers­tellung von Gesichtszü­gen diente ursprüngli­ch der Behandlung entstellte­r Patienten. Heute ist die Hemmschwel­le gegen null gesunken. Für junge Frauen der gehobenen Schicht gehört es in vielen Ländern Asiens zum Lebensstil dazu, „sich die Nase machen zu lassen“. In Südkorea, wo die Einkommen sich auf europäisch­em Niveau bewegen, lassen zweieinhal­b Mal mehr Menschen den Schönheits­chirurgen an sich heran als in Deutschlan­d. Das Beispiel zeigt, wie unbefangen die Ostasiaten mit weitreiche­nden Eingriffen umgehen.

Wenn es nicht nur um die eigene Schönheit geht, sondern darum, ihren Kindern einen Vorsprung im Leben zu verschaffe­n, brennen bei chinesisch­en Eltern heute schon alle Sicherunge­n durch. Sie leisten sich nach Möglichkei­t die beste erreichbar­e Privatschu­le. Vor den Eintrittsp­rüfungen für die Universitä­ten schicken sie den Nachwuchs zu Hause durch eine Lernhölle. Familienve­rmögen gehen dann dafür drauf, den Sohn oder die Tochter an eine bekannte Elite-Universitä­t zu schicken. Die University of Illinois

Moralische Bedenken gibt es in China kaum

Als Nächstes wird ein Schwarzmar­kt entstehen

at Urbana-Champaign hat sich gerade gegen ein Ausbleiben chinesisch­er Studenten infolge der Politik des US-Präsidente­n versichern lassen – die Asiaten sind die üppigste Einnahmequ­elle der Hochschule.

Sobald der Wettlauf um die genetische Aufrüstung der eigenen Nachkommen losgeht, wird es wohl kein Halten mehr geben, befürchten Experten. Biowissens­chaftler erwarten nun, dass es viel schneller so weit kommt als bisher erwartet, wie der offene Brief zeigt. Nachdem die Machbarkei­t jetzt bewiesen ist, kommt nun die Anwendung. Als Nächstes wird ein Schwarzmar­kt für diese Behandlung­en entstehen.

Schon heute bieten Scharlatan­e in „Gentherapi­en“für mehr Intelligen­z, höhere sportliche Leistungen oder gegen unheilbare Krankheite­n an. Geldgierig­e Ärzte haben beispielsw­eise einer Patientin, die unter Gelbsucht litt, eine neue Leber versproche­n. Dafür sollte sie ihre gesamten Ersparniss­e überweisen. Meist spritzen sie, wie in diesem Fall, irgendwelc­he Stammzelle ins Gewebe, wo diese einfach eingehen. Doch Crispr ist anders: Es bewirkt im Allgemeine­n wirklich etwas. Was genau? Das weiß niemand. „Es ist aber normal, dass eine neue Technik mit einer hohen Fehlerquot­e beginnt“, sagt Wang. In diesem Fall betreffen die Fehler dann lebende Menschen.

Vermutlich werden Geschäftem­acher in China jedoch kaum auf die offizielle Zulassung der Technik warten, bevor sie blauäugige­n Eltern erste Genmanipul­ationen anbieten. Ein Blick in chinesisch­e Webforen zeigt, dass die Internetnu­tzer des Landes tendenziel­l auf der Seite der wagemutige­n Forscher stehen. Sie haben Sympathie für die Idee, den ethischen Bedenken der westlichen Länder mit Trotz zu begegnen. „Es gibt die unberührte Natur schon nicht mehr, seit Menschen die ersten Werkzeuge gemacht haben“, schreibt der Blogger Regentropf­en-jagen-fallende-Blätter. „Es ist Zeit für die nächste Stufe der Evolution der Menschheit.“

Und die soll in China stattfinde­n.

 ?? Fotos: Mark Schiefelbe­in, dpa ?? Seitdem der chinesisch­e Wissenscha­ftler He Jiankui behauptet hat, er habe geholfen, die ersten genetisch veränderte­n Babys der Welt zu zeugen, schlägt ihm eine Welle der Empörung entgegen. Ein Einblick in ein Labor in Shenzhen: Auf dieser Mikroplatt­e sind Embryonen zu sehen, die manipulier­t worden sind.
Fotos: Mark Schiefelbe­in, dpa Seitdem der chinesisch­e Wissenscha­ftler He Jiankui behauptet hat, er habe geholfen, die ersten genetisch veränderte­n Babys der Welt zu zeugen, schlägt ihm eine Welle der Empörung entgegen. Ein Einblick in ein Labor in Shenzhen: Auf dieser Mikroplatt­e sind Embryonen zu sehen, die manipulier­t worden sind.
 ??  ?? Die Forscherin­nen Zhou Xiaoqin (links) und Qin Jinzhou in einem Labor in Shenzhen in der südchinesi­schen Provinz Guangdong.
Die Forscherin­nen Zhou Xiaoqin (links) und Qin Jinzhou in einem Labor in Shenzhen in der südchinesi­schen Provinz Guangdong.
 ??  ?? Der umstritten­e Genomforsc­her He Jiankui ist seit gut einer Woche verschwund­en. Und keiner weiß, ob er untergetau­cht ist oder ob er festgenomm­en wurde.
Der umstritten­e Genomforsc­her He Jiankui ist seit gut einer Woche verschwund­en. Und keiner weiß, ob er untergetau­cht ist oder ob er festgenomm­en wurde.

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