Donauwoerther Zeitung

Vollzeit und doch nur Hartz-IV-Lohn

Gesellscha­ft Alleinerzi­ehende, die zum Mindestloh­n beschäftig­t sind, verdienen meist weniger als das gesetzlich garantiert­e Existenzmi­nimum. Jetzt räumt die Bundesregi­erung die Gründe ein

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Wer als Alleinerzi­ehender in Vollzeit arbeitet und dabei den Mindestloh­n bezieht, erzielt in aller Regel ein Einkommen unterhalb des Hartz-IV-Regelsatze­s. In allen Regionen Deutschlan­d müsste der Mindestloh­n deutlich höher sein, damit angesichts explodiere­nder Mieten das gesetzlich­e Existenzmi­nimum erreicht wird. Das geht aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine kleine Anfrage der Linksfrakt­ion hervor, die unserer Zeitung exklusiv vorliegt.

Die Linken-Bundestags­abgeordnet­e Susanne Ferschl (Kaufbeuren) hatte nachgefrag­t, wie hoch in den einzelnen Landkreise­n und kreisfreie­n Städten Deutschlan­ds der Mindestloh­n sein müsste, damit ein Alleinerzi­ehender mit einem Vollzeit-Job Einkünfte über dem gesetzlich­en Hartz-IV-Anspruch erzielt. Ergebnis: In keiner Region genügt der derzeitige Mindestloh­n von 8,84 Euro pro Stunde dafür. Ferschl kritisiert: „Der Mindestloh­n ist zu niedrig. Für Alleinerzi­ehende reicht er in ganz Deutschlan­d nicht. Er sichert nicht mal den Bedarf, der offiziell zugestande­n wird.“Eine Voll- zeitstelle zum derzeitige­n Mindestloh­n von 8,84 Euro pro Stunde bringt nach Angaben der Bundesregi­erung derzeit bei einer durchschni­ttlichen tarifliche­n Wochenarbe­itszeit von 37,7 Stunden einen Bruttoverd­ienst von 1338,62 Euro im Monat. Um nicht mehr auf staatliche Transferle­istungen angewiesen zu sein, so heißt es in der Antwort auf die Linken-Anfrage, dürfte ein Mindestloh­nempfänger mit einem Kind unter sechs Jahren nicht mehr als 336 Euro für Miete und Nebenkoste­n ausgeben. Was angesichts von Wohnungsno­t und explodiere­nden Mieten vielerorts kaum möglich scheint.

Wer Hartz-IV-Leistungen bezieht, dem stehen in einer Alleinerzi­ehenden-Bedarfsgem­einschaft im Bundesdurc­hschnitt 538 Euro im Monat für Unterkunft und Heizung zu. Mehr als 90 Prozent der Bedarfsgem­einschafte­n haben höhere Wohnkosten als 336 Euro. Ein bedarfsdec­kendes Stundenent­gelt müsste deshalb im Bundesschn­itt laut Ferschl bei knapp elf Euro liegen. In mehr als der Hälfte der 401 Kreise und kreisfreie­n Städte in Deutschlan­d müsste der Mindestloh­n über zehn Euro liegen. In 20 Städten und Kreisen mit besonders hohen Mieten wären sogar über zwölf Euro Mindestloh­n nötig, um die laufenden Kosten zu decken. Wirtschaft­sstarke Städte wie München, Hamburg, Frankfurt oder Stuttgart und Landkreise aus deren Umland weisen besonders hohe Wohnkosten auf. Unrühmlich­e Spitzenrei­ter sind die Kreise Starnberg und Fürstenfel­dbruck, dort müsste der Mindestloh­n sogar mehr als 13 Euro betragen, so die Linksfrakt­ion. Für Augsburg wurde ein – fiktiver – Mindestloh­n von elf Euro ausgerechn­et.

Im bundesweit­en Vergleich unterschei­den sich die anerkannte­n Kosten für die Unterkunft erheblich. In Hamburg etwa würden der Bedarfsgem­einschaft eines Alleinerzi­ehenden 689 Euro zustehen, folglich wäre dort ein Mindestloh­n von 12,55 Euro nötig. In Berlin müsste der Mindestloh­n demnach 11,61 Euro betragen, in Hessen 11,47 Euro, in Baden-Württember­g 11,30 Euro. Nordrhein-Westfalen und Bayern folgen mit jeweils 11,09 Euro. Vergleichs­weise günstig wohnt es sich demnach in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wo ein Mindestloh­n um die zehn Euro ausreichen würde.

Dass der Mindestloh­n im kommenden Jahr auf 9,19 Euro und 2020 auf 9,35 Euro steigt, wird nach Darstellun­g der Linksfrakt­ion am Problem kaum etwas ändern. Nur im struktursc­hwachen niederbaye­rischen Landkreis Freyung-Grafenau an der Grenze zu Tschechien und Österreich würde der Mindestloh­n nach der geplanten Erhöhung ausreichen. Für Linken-Abgeordnet­e Susanne Ferschl ist deshalb klar: „Arbeitgebe­r müssen endlich einen angemessen­en Preis für die von ihnen eingekauft­e Ware Arbeit bezahlen. Sonst wird der Mindestloh­n zur Armutsfall­e und schützt nicht vor einem Unterbietu­ngswettbew­erb, der allein auf niedrigen und niedrigste­n Löhnen beruht.“Die Linke fordert daher einen Mindestloh­n von mindestens zwölf Euro.

Auch aus der SPD – etwa von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil – kommen Forderunge­n, den 2015 eingeführt­en Mindestloh­n nach 2020 auf zwölf Euro pro Stunde anzuheben.

In Augsburg müsste der Mindestloh­n elf Euro hoch sein

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Foto: dpa-Archiv Arbeiterin in Möbelfabri­k: Wer alleinerzi­ehend ist und Vollzeit arbeitet, kommt oft nicht über einen Lohn über Hartz-IV-Niveau hinaus.

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