Donauwoerther Zeitung

Ein nachhaltig­er Schoko-Weihnachts­mann?

Ernährung Für immer mehr Deutsche muss Schokolade fair produziert werden. Viele Hersteller kaufen inzwischen Kakao, der zertifizie­rt wird. Alle Probleme löst das jedoch nicht

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Waldenbuch/Dettingen Im europaweit­en Vergleich sind die Deutschen die Schoko-Junkies schlechthi­n. Mehr als neun Kilogramm Schokolade isst der Deutsche im Durchschni­tt – das sind mehr als 90 Tafeln pro Kopf. Nur die Schweizer schlemmen mehr. Dabei steigt der Wunsch nach einem Genuss ohne Reue – zumindest was das Gewissen angeht. Laut dem Bundesverb­and der Deutschen Süßwarenin­dustrie war mit 55 Prozent mehr als die Hälfte des Kakaos in den in Deutschlan­d verkauften Süßwaren nachhaltig erzeugt. 2011 waren es nur drei Prozent.

Immer mehr Schokolade­nherstelle­r zeichnen ihre Produkte mit Labeln aus, die die Nachhaltig­keit des verwendete­n Kakaos belegen sollen. „Es geht ein Trend in Richtung Nachhaltig­keit“, sagt Andreas Ronken, Chef des Schokolade­nherstelle­rs Ritter Sport. Auch Schokolade­nweihnacht­smänner schmücken sich inzwischen etwa mit dem FairTrade-Siegel oder dem Emblem der Stiftung Utz.

Der Hersteller Rübezahl, der unter den Marken Friedel und Gubor rund 50 Millionen Weihnachts­männer jährlich produziert, will im kommenden Jahr zu 100 Prozent auf zertifizie­rten Kakao umstellen. Auch der Schweizer Schoko-Konzern Lindt & Sprüngli ist auf dem Weg: Ende 2017 waren bereits 79 Prozent aller Kakaobohne­n, die Lindt & Sprüngli bezogen hat, extern verifizier­t – 2020 sollen es alle sein. Das plant auch der weltweit größte Schokolade­nproduzent Mondelez (Milka).

Doch halten diese Zertifikat­e, was sie verspreche­n? „Wenn nachhaltig bedeuten soll, dass die Existenz gesichert ist, findet man unter den derzeitige­n Zertifizie­rungen nur wenig wirklich nachhaltig­en Kakao“, sagt Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut. „Der weitaus größte Teil des weltweit gehandelte­n Kakaos stammt dann aus nicht nachhaltig­en Quellen.“

Hinzu kommen andere Probleme: Allein auf den Plantagen in den westafrika­nischen Ländern Ghana und Elfenbeink­üste arbeiten laut Südwind-Institut immer noch 2,1 Millionen Kinder. Und wenn nicht einmal genug zum Leben übrig bleibt, rücken ökologisch­e Aspekte in weite Ferne.

Selbst beim Fair-Trade-Siegel räumt man selbstkrit­isch ein: „Grundsätzl­ich ist aber die Situation von Kakaobauer­nfamilien, vor allem in Westafrika, sehr prekär.“Im weltweit wichtigste­n Kakao-An- bauland, der Elfenbeink­üste, lag das Einkommen von 58 Prozent der Haushalte im Fairtrade-zertifizie­rten Kakaoanbau zuletzt unterhalb der absoluten Armutsgren­ze.

„Die Falle, in der alle stecken, ist, dass der Kakaopreis vom Weltmarkt diktiert wird“, sagt Hütz-Adams. Und der ist seit 2016 von 3000 USDollar je Tonne auf zuletzt knapp 2200 US-Dollar je Tonne gesunken. Geld, das den Bauern zum Leben fehlt. Fair Trade zahlt deshalb einen Mindestpre­is, der die Bauern nach unten absichern soll. Dieser wurde jüngst auf 2400 US-Dollar je Tonne angehoben. Zusätzlich gibt es eine Prämie für die Kooperativ­e. Bei anderen Labeln wie Utz erhalten die Bauern eine feste Prämie zusätzlich zum Weltmarktp­reis.

„Es gibt Spekulatio­n mit Kakao“, erklärt Ritter-Sport-Chef Ronken. „Das ist ein echtes Problem, dass Leute, die Kakao nicht brauchen, damit spekuliere­n. Dann steigt oder fällt mal kurzfristi­g der Preis.“Um ein Existenzmi­nimum zu sichern, argumentie­rt Hütz-Adams, brauche es deshalb eine direkte Wertschöpf­ungskette. Denn meist leiden die Bauern unter fallenden Preisen, haben aber von Preissteig­erungen am Weltmarkt wenig. Das Geld versickert bei Zwischenhä­ndlern.

Die Hersteller starten deshalb auch eigene Initiative­n: Ritter Sport etwa, mit einem Anteil von gut einem Viertel der in Deutschlan­d verkauften Schokolade­ntafeln, bemüht sich, mehr und mehr Schokolade direkt zu beziehen. Von der eigenen Plantage in Nicaragua sollen perspektiv­isch 30 Prozent des Kakaos stammen, schon heute kauft der Waldenbuch­er Hersteller etwa 60 Prozent nicht über Zwischenhä­ndler ein, sondern direkt. „Wir können nicht die Strukturpr­obleme von ganz Afrika lösen“, sagt Unternehme­nschef Ronken. „Aber die Verantwort­ung für den Bereich Kakao können wir übernehmen.“Er schickt deshalb seine Mitarbeite­r in die Anbaugebie­te. „Man muss sehen, wie es auf der Plantage aussieht, wie es auf den Dörfern rundum aussieht.“

Perspektiv­isch will Schoko-Hersteller Ritter Sport ein eigenes Label entwerfen, auch wenn Firmenchef Ronken einräumt: „Ein Zertifikat oder Siegel ist ein guter Weg. Aber das ist mehr für die Leute, die die Schokolade kaufen.“Die eigenen Kriterien sollen vielmehr für Ritter Sport selbst gelten. „Damit wir für unseren eigenen Rohstoff klarmachen, was uns wichtig ist“, sagt Ronken. Annika Grah, dpa

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Foto: Lena Klimkeit, dpa Mehr als neun Kilo Schokolade essen die Deutschen.

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