Donauwoerther Zeitung

Ein Uralt-Mord vor der Aufklärung

Justiz Es ist eine Sensation: 25 Jahre nach der Bluttat an einer Prostituie­rten steht ein Mann in Augsburg vor Gericht. Doch zunächst geht es um ein weiteres mögliches Verbrechen

- VON JAN KANDZORA

Augsburg Stefan E. sagt nicht viel an diesem Tag. „Jawoll“, sagt er, als er vom Gericht gebeten wird, doch bitte etwas näher ans Mikrofon zu rücken, damit man ihn verstehe. Ledig sei er, Maler und Lackierer von Beruf, berichtet er. Mehr nicht. Zum Tatvorwurf, betont Strafverte­idiger Klaus Rödl, werde sein Mandant vorerst keine Angaben machen. Das könnte sich aber ändern im Laufe dieses Prozesses vor der Schwurgeri­chtskammer am Landgerich­t.

Bei jenem Tatvorwurf, zu dem sich Stefan E. auch gar nicht äußern muss, weil er Angeklagte­r in einem Strafverfa­hren ist, geht es um ein Verbrechen, das sich vor mehr als einem Vierteljah­rhundert ereignet hat. Damals wurde die 36-jährige Prostituie­rte Angelika Baron aus Augsburg umgebracht. „Anschi“wurde sie im Milieu genannt, eine geschieden­e, dreifache Mutter. Sie stand am Straßenstr­ich, auch in jener Nacht zum 25. September 1993, der Nacht ihres Todes. Am Tag darauf fand ein junger Spaziergän­ger die übel zugerichte­te Leiche der Frau in einem Graben bei Gessertsha­usen im Landkreis Augsburg.

Die Anklage, die Staatsanwä­ltin Martina Neuhierl vorträgt, ist nicht gerade arm an brutalen Details. Sie wirft Stefan E. vor, in jener Nacht „Anschi“Sex gehabt und sie danach umgebracht zu haben. Der heute 50 Jahre alte Augsburger soll sein Opfer erst mit einem hölzernen Möbelfuß geschlagen haben, mehrfach, und sie dann gewürgt haben, „bis beide Zungenbein­hörner, beide Kehlkopfhö­rner sowie der Ringknorpe­l“brachen und Angelika Baron starb. Außerdem soll er sich an der regungslos­en Frau sexuell vergangen und dann die Leiche mit seinem Auto nach Gessertsha­usen gefahren und sie dort abgelegt haben. Die These der Ermittler: Stefan E. wollte damals an die Einnahmen der Prostituie­rten gelangen, um seine Drogensuch­t zu finanziere­n – und sexuelle Fantasien an ihr ausleben.

Stefan E. hat kein Leben geführt, das sich im Licht größerer Öffentlich­keit abspielte. Wer seinen Namen bei Google eingibt, findet nichts. Zuletzt war er offenbar arbeitslos und gehörte zum Kreis der Süchtigens­zene an einem Stadtteilb­ahnhof. Einen vergleichb­aren Augsburger Fall, einen „Cold Case“, der nach 25 Jahren wieder warm wird und nun möglicherw­eise vor der Aufklärung steht, gab es bisher nicht. Dementspre­chend groß ist das Presseaufg­ebot; viele Zuschauer sitzen außerdem im Saal.

Weder das enorme Interesse noch das Klicken der Fotokamera­s scheinen den Angeklagte­n allerdings groß zu beeindruck­en. Es sitzt ein Mann auf der Anklageban­k, der einem nicht unbedingt auffiele, wenn man ihm auf der Straße begegnete. Kurzhaarfr­isur, volles Haar, grauer Pulli, ein leichter Bartansatz. Während der Anklagever­lesung blickt Stefan E. in Richtung der Staatsanwä­ltin und hört aufmerksam zu.

Es dürfte ein langer Indizienpr­ozess werden. 31 Verhandlun­gstage sind geplant, 124 Zeugen sollen gehört werden. Freier von damals sollen aussagen, ehemalige Prostituie­rte, Freunde des Opfers, Menschen aus dem Umfeld des Angeklagte­n. Mit die wichtigste­n Beweismitt­el sind DNA-Spuren am Körper der Toten, die Ermittler Stefan E. zuordnen. Erst moderne Analysetec­hmit niken haben den Treffer möglich gemacht, der entscheide­nd dazu beitrug, dass Stefan E. im November 2017 wegen des Mordverdac­hts in Untersuchu­ngshaft kam. Er selbst bestritt die Vorwürfe vehement. Die Kripo hat nach Informatio­nen unserer Zeitung weitere Hinweise gesammelt. Ob sich die Vorwürfe erhärten lassen, will die Kammer in dem Mammutverf­ahren prüfen. Unter anderem sollen zwei verdeckte Ermittler als Zeugen vernommen werden. Sie sollen dabei in einem anderen Raum sitzen; ihre Aussage soll in Bild und Ton in den Sitzungssa­al übertragen werden.

Das allerdings ist erst für Februar geplant. Vorerst geht es in dem Prozess um etwas anderes. Die Staatsanwa­ltschaft wirft Stefan E. nämlich auch vor, im Jahr 2017 eine Bekannte vergewalti­gt zu haben. Zum Prozessauf­takt wird unter anderem das mutmaßlich­e Opfer vernommen und sagt, dass der Angeklagte nach zunächst einvernehm­lichem Sex gewaltsam in sie eingedrung­en sei und weder auf wiederholt­e Äußerungen, aufzuhören, reagiert habe noch auf ihre Versuche, sich gegen ihn zu wehren.

Der Prozess unter Vorsitz von Richterin Susanne Riedel-Mitterwies­er wird am kommenden Montag fortgesetz­t. Ein Urteil könnte im April fallen.

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Fotos: Marcus Merk/Polizei So berichtete unsere Zeitung vor 25 Jahren: An dieser Bahnunterf­ührung im Landkreis Augsburg wurde die Leiche von Angelika Baron gefunden.
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Foto: Klaus Rainer Krieger Stefan E. sitzt seit Donnerstag auf der Anklageban­k.

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