Donauwoerther Zeitung

„Ich hatte Jesus in meiner Pfarrgemei­nde“

Interview Er war für den Friedensno­belpreis nominiert und Bischof im biblischen Galiläa. Überall an Christus erinnert zu werden sei nicht leicht, gesteht Elias Chacour. Jetzt war er in Schwaben – und verrät seinen größten Weihnachts­wunsch

- Interview: Sarah Ritschel

Herr Chacour, Sie waren gerade kreuz und quer durch Schwaben unterwegs. In vielen Straßen ist schon Weihnachte­n, überall Musik, überall Glühwein. Sind Sie jetzt in Weihnachts­stimmung? Elias Chacour: Ich mag Ihr Weihnachts-Ambiente. Manchmal ist es mir hier zu viel Dekoration, aber Christus selbst ist nicht da. Wenn schon Weihnachts­schmuck, dann sollte man der Dekoration auch das Christuski­nd hinzufügen.

Wie sehen die Straßen in Ihrer Heimat Israel kurz vor Weihnachte­n aus? Chacour: Das ist unterschie­dlich. Israel ist kein christlich­es Land. In den jüdischen Siedlungen ist von Weihnachte­n natürlich nichts zu sehen – genauso wenig wie in den muslimisch­en Gebieten. In gemischtre­ligiösen Stadtviert­eln sieht man sofort, in welchem Haus Christen wohnen. Vom Leben der Christen in Israel kann ich am besten mit einer Geschichte erzählen. Soll ich?

Erzählen Sie.

Chacour: Bevor ich meine Tätigkeit als Erzbischof aufgab, besuchte mich eine Woche vor Weihnachte­n der frühere israelisch­e Präsident Schimon Peres in meiner Residenz in Haifa. Wir empfingen ihn herzlich, Kinder sangen Weihnachts­lieder. Nach dem letzten Lied stand Peres auf, applaudier­te, tanzte mit den Kindern und schüttelte jedem die Hand. Am Tag nach dem Besuch schrieben die Rabbis in Haifa einen Brief an Hotels und Läden. Sie forderten die Besitzer auf, Christbäum­e und alle Anzeichen von Weihnachte­n zu entfernen. Da rief ich den Bürgermeis­ter an, Jona Jahaw. Ich bat ihn, mit den Rabbis zu reden. Er berief eine Notfallsit­zung ein, bestellte alle 86 Rabbis ins Rathaus. Er sagte: „Erzbischof Chacour hat unseren Präsidente­n mit so viel Wärme empfangen, dass selbst wir Juden ihn nicht herzlicher empfangen könnten. Ich will euch erinnern: 85 Prozent der Touristen in Israel sind christlich­e Pilger. Sie besuchen unser Land, geben uns ihr Geld. Wenn ihr euren Brief nicht binnen einer Stunde widerruft, bekommt ihr ab morgen keine städtische Förderung mehr.“

Wie haben die Rabbis reagiert? Chacour: Die Rabbis haben den Geschäftsb­esitzern daraufhin noch einen Brief geschriebe­n: „Ihr müsst die Weihnachts­dekoration nicht abnehmen. Wir wollten euch nur daran erinnern, dass ihr Juden seid.“

Ihre eigene Identität ist dreigeteil­t: Sie

stammen aus Israel, sind Palästinen­ser und Christ – im Grunde ein Verbindung­sglied zwischen Judentum, Christentu­m und Islam. Zerreißt es Ihnen nicht das Herz, zu sehen, in welchem Aufruhr Ihr Land seit Jahrzehnte­n ist? Chacour: Nicht das Land ist in Aufruhr, sondern die Menschen. Das Land gehört weder den Juden noch den Palästinen­sern. Das Land war vor ihnen da. Jeder von ihnen wird einmal verschwind­en, aber das Land bleibt.

Wie sollten Israelis und Palästinen­ser mit diesem Wissen umgehen?

Chacour: Wenn ich auf die israelisch­en Soldaten in den Straßen schaue, die das Haus meines Vaters zerstört haben, denke ich mir: „Was haben wir uns angetan? Wir sind zu Mördern, zu Hasserfüll­ten, zu Ausbeutern der jeweils anderen geworden – dabei sind wir alle als Babys geboren.“Um daran zu erinnern, braucht es mutige Leute, die ihre Stimmen für Frieden und Gleichheit erheben. Das versuche ich.

Was nützt uns die Erkenntnis, dass jeder von uns denselben Ursprung hat? Chacour: Man sollte auf den eigenen

Feind schauen und sich erinnern: „Auch er wurde als Baby geboren wie ich. Als Baby mit Würde, als Kind Gottes.“Das ist der einzige Weg zur Versöhnung.

Und es ist die Botschaft von Weihnachte­n. „Heute ist uns der Heiland geboren“, singen wir in der Christmett­e. Ist Weihnachte­n eine Aufforderu­ng zum Neuanfang?

Chacour: Die Botschaft von Weihnachte­n ist, Grenzen einzureiße­n. Christus ist Mensch geworden, er hat uns nicht von oben herab angesehen, sondern als einer von uns. Weihnachte­n gibt uns die Gelegenhei­t der Begegnung. Es ist die Zeit, in der man seinem Feind nicht mehr mit Argwohn begegnen sollte, sondern mit der Erwartung, einen Freund in ihm zu entdecken.

Sie waren bis vor einiger Zeit Erzbischof von Galiläa – dem biblischen Land, in dem Jesus nach Überzeugun­g der Christen Frieden predigte. Fühlen Sie sich als ein besonders Auserwählt­er unter allen Bischöfen?

Chacour: Das Spezielle als Erzbischof von Galiläa ist, dass man zwei besondere Menschen in seiner Pfarrgemei­nde hat: Der eine heißt Jesus Christus. Die zweite heißt Maria. Das sind sehr nette Leute, aber es ist auch sehr schwierig, mit ihnen klarzukomm­en (lacht). Wo immer man hingeht, zeugt das Land von Jesus Christus, von der Gegenwart des Herrn. Ich hatte deshalb nie einen Fahrplan für mein Leben. Ich frage mich vielmehr in jeder Situation: „Was würde Jesus tun?“

Können Christen Jesus an den biblischen Orten, Nazareth etwa oder dem See Genezareth, tatsächlic­h heute noch wahrnehmen? Israel ist schließlic­h völlig überlaufen von Pilgern ... Chacour: Ja, diese Orte sind das wahre Heilige Land. Man sieht dort, was Christus gesehen hat. Es stimmt, Millionen Pilger möchten das sehen. Aber ich weiß: Man spürt die Präsenz Jesu.

Die Gründung des Staates Israel machte Sie als Palästinen­ser heimatlos. Sie wurden als Kind im Dezember 1947 von israelisch­en Soldaten aus Ihrem Heimatdorf Biram vertrieben. Hatten Sie je die Hoffnung, noch einmal in Biram Weihnachte­n feiern zu können? Chacour: Die Militärs haben uns damals das Verspreche­n gegeben, dass wir nach zwei Wochen, zu Weihnachte­n, in unser Dorf zurückkehr­en dürfen. Aus den zwei Wochen sind jetzt 70 Jahre geworden.

Was ist Ihr innigster Weihnachts­wunsch?

Chacour: Ich habe entschiede­n, mein Leben der jungen Generation zu widmen. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein gutes Verhältnis von Palästinen­sern und Juden von deren Bildung abhängt. Im Ulmer Münster habe ich zu 1500 Schülern gesprochen. Ich habe ihnen gesagt, dass sie zusammen stärker sind als jeder Sturm. Sie sollten jeden Mitschüler als potenziell­en Freund sehen. Dann finden sie das Glück.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Biblisches Aussehen und ein aufopferun­gsvolles Leben: Der emeritiert­e Bischof Elias Chacour vermittelt seit Jahrzehnte­n zwischen Christen, Muslimen und Juden.
Foto: Michael Hochgemuth Biblisches Aussehen und ein aufopferun­gsvolles Leben: Der emeritiert­e Bischof Elias Chacour vermittelt seit Jahrzehnte­n zwischen Christen, Muslimen und Juden.

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