Nur gemeinsam ist Europa stark
Debatte Der Brexit, das Ausscheren der Osteuropäer, Krisen rund um den Kontinent – all das schwächt die EU. Dabei wird sie in Zukunft mehr gebraucht denn je
„2019 wird ein großes Jahr für die Europäische Union. Die durch Herausforderungen und Krisen gestärkte Gemeinschaft steht mit einem neuen Selbstbewusstsein auf der Weltbühne.“
Zu gerne möchte man am Jahreswechsel einen Ausblick so beginnen. Schließlich gehörte der Ruf nach mehr Souveränität und dem Entdecken der eigenen Stärke zu den großen Worten des ablaufenden Jahres. Doch Anspruch und Realität klaffen weit auseinander – zum einen wegen mangelnder Ergebnisse, zum anderen wegen der wachsenden Verunsicherung angesichts der befürchteten und absehbaren Veränderungen.
Die Vorstellung, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU nicht mit einem ordentlichen Deal abgewickelt werden kann, lähmt die Union. Zu groß sind die Ängste vor einem Rückfall in die europäische Steinzeit, als sich Staaten an den Grenzen mit Zöllen, Visa und Abweisungen von Nachbarn gegenseitig Steine in den Weg legten.
Dass sich Partner, die trotz aller Probleme über Jahrzehnte miteinander verbunden waren, nun das Leben schwermachen, obwohl beide einander brauchen, passt so gar nicht zu einer Union, die doch eigentlich ein Friedensprojekt sein wollte.
Dieses befürchtete, allerdings noch nicht sichere Aufeinanderprallen entspricht der zersetzenden Lage im Inneren. Das permanente Ausscheren osteuropäischer Regierungen von jeder gemeinsamen Linie, das Aufkündigen von rechtsstaatlichen Grundsätzen und der politische Rückwärtsgang bei Menschenrechten, Demokratie und geordnetem Miteinander erschüttern die Gemeinschaft. Der Nationalismus in Polen, Ungarn und Tschechien sowie Italien zehrt an den Nerven und verlangsamt die Integration, auf die diese Gemeinschaft so stolz war.
Und zugleich unterminieren die Blockierer den eigentlich so wichtigen Versuch der Union, sich auf der Weltbühne nicht nur als Vorreiter beim Setzen von marktwirtschaftlichen Standards im Handel, sondern auch als Gewicht bei der Schlichtung von Konflikten einzubringen. Ob Syrien, Afghanistan oder Jemen – Europa spielt mit seinem historischen Entwurf, Konflikte durch Zusammenschluss zu einer Union zu überwinden, kaum eine Rolle. Das ist fatal. Weil damit genau jene politischen Konzepte freie Bahn haben, die weder vor militärischen und kriegerischen Aktionen noch vor Konfrontation zurückschrecken.
Die russische Intervention auf der Krim und im Osten der Ukraine, die iranische oder saudi-arabische Unterstützung von Terror und Extremismus, die türkische Unterdrückung jeder Opposition – all das sind Politikkonzepte, die man eigentlich überwinden wollte. Europas Gegenentwurf der Diplomatie spielt dagegen immer weniger eine Rolle.
Dabei wird die EU gebraucht – nicht nur, aber ganz besonders auch in Afrika. Nicht nur aus eigennützigen Gründen, um die Fluchtbewegungen Richtung Westen zu stoppen, sondern auch um dem Kontinent eine eigenständige Entwicklung zu ermöglichen, um Demokratien und Marktwirtschaften zu stärken, die auf Menschenrechten und fairem Handel basieren. Welche ökonomische Macht könnte dies durchsetzen, wenn nicht eine wirklich starke Europäische Union?
Doch dazu braucht man mehr als nur einen Apparat, der sich in immer neuen Richtlinien und Verordnungen ergeht. Nötig wäre eine Gemeinschaft, die noch viel deutlicher durch ihre innere Stärke und Geschlossenheit zeigt, dass dieser politische Bauplan einer Staatengemeinschaft tatsächlich funktioniert und wirklich Frieden, Freiheit und Wohlstand im Inneren wie nach außen schafft.
Dafür braucht es nicht nur eine gemeinsame Linie in der Frage, wie man mit Kriegsflüchtlingen umgeht oder dass stabile Haushaltsführung ein Erfolgskonzept sein kann. Nötig wäre auch eine EU, die belegt, dass Verantwortung vor der Schöpfung und der Natur ein funktionierendes Konzept für eine Energiewende, für Klimaschutz und grenzüberschreitende Bildung, Forschung sowie ein tragfähiges Sozialwesen sind.
Es wird oft kritisiert, dass die Europäische Union vor allem als bürokratisches Monstrum wahrgenommen wird, dem der Elan für Visionen abhandengekommen ist. Das ist nicht falsch, aber die Kritik allein führt auch nicht weiter, solange Bürger sich nicht für das Projekt starkmachen, wählen gehen – und dabei nationalistische und protektionistische Kräfte in die Schranken weisen. Weil sie verstanden haben, dass Staaten gemeinsam stärker sind als alleine.
Diese Analyse belegt: Für Europa steht im nächsten Jahr tatsächlich viel auf dem Spiel.