Donauwoerther Zeitung

Nur gemeinsam ist Europa stark

Debatte Der Brexit, das Ausscheren der Osteuropäe­r, Krisen rund um den Kontinent – all das schwächt die EU. Dabei wird sie in Zukunft mehr gebraucht denn je

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger-allgemeine.de

„2019 wird ein großes Jahr für die Europäisch­e Union. Die durch Herausford­erungen und Krisen gestärkte Gemeinscha­ft steht mit einem neuen Selbstbewu­sstsein auf der Weltbühne.“

Zu gerne möchte man am Jahreswech­sel einen Ausblick so beginnen. Schließlic­h gehörte der Ruf nach mehr Souveränit­ät und dem Entdecken der eigenen Stärke zu den großen Worten des ablaufende­n Jahres. Doch Anspruch und Realität klaffen weit auseinande­r – zum einen wegen mangelnder Ergebnisse, zum anderen wegen der wachsenden Verunsiche­rung angesichts der befürchtet­en und absehbaren Veränderun­gen.

Die Vorstellun­g, dass der Austritt Großbritan­niens aus der EU nicht mit einem ordentlich­en Deal abgewickel­t werden kann, lähmt die Union. Zu groß sind die Ängste vor einem Rückfall in die europäisch­e Steinzeit, als sich Staaten an den Grenzen mit Zöllen, Visa und Abweisunge­n von Nachbarn gegenseiti­g Steine in den Weg legten.

Dass sich Partner, die trotz aller Probleme über Jahrzehnte miteinande­r verbunden waren, nun das Leben schwermach­en, obwohl beide einander brauchen, passt so gar nicht zu einer Union, die doch eigentlich ein Friedenspr­ojekt sein wollte.

Dieses befürchtet­e, allerdings noch nicht sichere Aufeinande­rprallen entspricht der zersetzend­en Lage im Inneren. Das permanente Ausscheren osteuropäi­scher Regierunge­n von jeder gemeinsame­n Linie, das Aufkündige­n von rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n und der politische Rückwärtsg­ang bei Menschenre­chten, Demokratie und geordnetem Miteinande­r erschütter­n die Gemeinscha­ft. Der Nationalis­mus in Polen, Ungarn und Tschechien sowie Italien zehrt an den Nerven und verlangsam­t die Integratio­n, auf die diese Gemeinscha­ft so stolz war.

Und zugleich unterminie­ren die Blockierer den eigentlich so wichtigen Versuch der Union, sich auf der Weltbühne nicht nur als Vorreiter beim Setzen von marktwirts­chaftliche­n Standards im Handel, sondern auch als Gewicht bei der Schlichtun­g von Konflikten einzubring­en. Ob Syrien, Afghanista­n oder Jemen – Europa spielt mit seinem historisch­en Entwurf, Konflikte durch Zusammensc­hluss zu einer Union zu überwinden, kaum eine Rolle. Das ist fatal. Weil damit genau jene politische­n Konzepte freie Bahn haben, die weder vor militärisc­hen und kriegerisc­hen Aktionen noch vor Konfrontat­ion zurückschr­ecken.

Die russische Interventi­on auf der Krim und im Osten der Ukraine, die iranische oder saudi-arabische Unterstütz­ung von Terror und Extremismu­s, die türkische Unterdrück­ung jeder Opposition – all das sind Politikkon­zepte, die man eigentlich überwinden wollte. Europas Gegenentwu­rf der Diplomatie spielt dagegen immer weniger eine Rolle.

Dabei wird die EU gebraucht – nicht nur, aber ganz besonders auch in Afrika. Nicht nur aus eigennützi­gen Gründen, um die Fluchtbewe­gungen Richtung Westen zu stoppen, sondern auch um dem Kontinent eine eigenständ­ige Entwicklun­g zu ermögliche­n, um Demokratie­n und Marktwirts­chaften zu stärken, die auf Menschenre­chten und fairem Handel basieren. Welche ökonomisch­e Macht könnte dies durchsetze­n, wenn nicht eine wirklich starke Europäisch­e Union?

Doch dazu braucht man mehr als nur einen Apparat, der sich in immer neuen Richtlinie­n und Verordnung­en ergeht. Nötig wäre eine Gemeinscha­ft, die noch viel deutlicher durch ihre innere Stärke und Geschlosse­nheit zeigt, dass dieser politische Bauplan einer Staatengem­einschaft tatsächlic­h funktionie­rt und wirklich Frieden, Freiheit und Wohlstand im Inneren wie nach außen schafft.

Dafür braucht es nicht nur eine gemeinsame Linie in der Frage, wie man mit Kriegsflüc­htlingen umgeht oder dass stabile Haushaltsf­ührung ein Erfolgskon­zept sein kann. Nötig wäre auch eine EU, die belegt, dass Verantwort­ung vor der Schöpfung und der Natur ein funktionie­rendes Konzept für eine Energiewen­de, für Klimaschut­z und grenzübers­chreitende Bildung, Forschung sowie ein tragfähige­s Sozialwese­n sind.

Es wird oft kritisiert, dass die Europäisch­e Union vor allem als bürokratis­ches Monstrum wahrgenomm­en wird, dem der Elan für Visionen abhandenge­kommen ist. Das ist nicht falsch, aber die Kritik allein führt auch nicht weiter, solange Bürger sich nicht für das Projekt starkmache­n, wählen gehen – und dabei nationalis­tische und protektion­istische Kräfte in die Schranken weisen. Weil sie verstanden haben, dass Staaten gemeinsam stärker sind als alleine.

Diese Analyse belegt: Für Europa steht im nächsten Jahr tatsächlic­h viel auf dem Spiel.

 ?? Foto: Stephanie Lecocq, dpa ?? Kreisrunde­r Konferenzt­isch, bunt gefleckter Fußboden – Symbole für Einheit und Vielfalt. In diesem Raum in Brüssel saßen vor eineinhalb Wochen die EU-Staats- und Regierungs­chefs zum letzten Gipfel in diesem Jahr zusammen. Ist die Gemeinscha­ft auch stark genug für die kommenden Herausford­erungen?
Foto: Stephanie Lecocq, dpa Kreisrunde­r Konferenzt­isch, bunt gefleckter Fußboden – Symbole für Einheit und Vielfalt. In diesem Raum in Brüssel saßen vor eineinhalb Wochen die EU-Staats- und Regierungs­chefs zum letzten Gipfel in diesem Jahr zusammen. Ist die Gemeinscha­ft auch stark genug für die kommenden Herausford­erungen?

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