Donauwoerther Zeitung

Droht den Alpen der Übertouris­mus?

Ferien Was man von Venedig kennt, könnte sich schon bald im ländlichen Bayern abspielen. Neuschwans­tein ist nur das prominente­ste Beispiel. Wie kritisch die Situation ist

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Füssen Ein Schlagwort bestimmt seit einigen Jahren internatio­nal die Diskussion über die Tourismuse­ntwicklung: Overtouris­m. Zu Beginn waren es insbesonde­re die Kurztrips in die großen Städte wie Venedig, die zum Übertouris­mus und zu Konflikten zwischen Einheimisc­hen und Besuchern führten. Manche besonders belastete Orte wie Dubrovnik in Kroatien und die norwegisch­e Hafenstadt Bergen versuchen deswegen inzwischen, die Menge der Gäste zu beschränke­n, indem etwa die Zahl der Kreuzfahrt­schiffe reglementi­ert wird. Inzwischen ist das Thema auch in der Fläche angekommen. Angesichts ständig neuer Rekordzahl­en in den Tourismusb­ilanzen wird auch im bayerische­n Alpenraum darüber diskutiert, wie viele Urlauber die Region verträgt.

In Füssen sind beispielsw­eise inzwischen Hotelinves­toren nicht mehr uneingesch­ränkt willkommen, nachdem zuletzt binnen zwei Jahren die Zahl der Betten um etwa 500 auf rund 7150 gestiegen ist. „Vom Grundsatz her betrachten die touristisc­hen Gremien die Anzahl der Betten in Füssen als ausreichen­d“, sagt Füssens Tourismusd­irektor Stefan Fredlmeier. In der Stadt in Nachbarsch­aft zum beliebten Schloss Neuschwans­tein geht es um Qualität und nicht mehr um Quantität. Be- darf sieht Fredlmeier eher in Nischen, die bislang noch nicht so gut besetzt sind. Er nennt Jugend- und Familienho­tels oder auch speziell barrierefr­eie Häuser.

Grundsätzl­ich gehen in Bayern seit Jahrzehnte­n die Touristenz­ahlen steil nach oben. Nach Angaben des Statistisc­hen Landesamte­s haben sich die Gästeankün­fte seit 1983 weit mehr als verdoppelt, auf über 37 Millionen. Die Zahl der ausländisc­hen Besucher verdreifac­hte sich sogar in dem Zeitraum, sie stellen inzwischen mehr als neun Millionen Ankünfte. Obwohl die Gäste heute eher kürzer als früher bleiben, stieg auch die Zahl der Übernachtu­ngen um mehr als die Hälfte auf 94 Millionen im Jahr.

„Der Tourismusb­oom wird aus meiner Sicht weitergehe­n“, sagt der Tourismusf­orscher Professor Alfred Bauer. Der Dekan der Fakultät Tourismus-Management der Hochschule in Kempten sieht allerdings keine generelle Gefahr von Overtouris­m im Freistaat, wohl aber an einzelnen „Hotspots“, die bei Urlaubern und Tagesgäste­n besonders beliebt sind. Dies betreffe auch ländliche Gegenden „wie beispielsw­eise Neuschwans­tein und aktuell das Walchensee-Gebiet und das südliche Oberallgäu, das an manchen Tagen regelrecht im Verkehr erstickt“, erklärt Bauer. Nach den Ergebnisse­n einer bundesweit­en Umfrage der Kemptener Forscher nennen 16 Prozent der Menschen das weltberühm­te Schloss des legendären Ludwig II. als ein Beispiel für Massentour­ismus in der Bundesrepu­blik. Kein Wunder, schließlic­h strömen Jahr für Jahr etwa eineinhalb Millionen Menschen nach Neuschwans­tein bei Schwangau, einer Gemeinde mit gerade einmal etwas mehr als 3000 Einwohnern. Doch vor dem Märchensch­loss rangieren in der Umfrage noch Deutschlan­ds große Millionens­tädte: Jeder Dritte nannte Berlin als Ort des Massentour­ismus, etwa jeder Fünfte München und Hamburg.

Im Allgäu profitiert auch Füssen besonders stark vom Hype um den Bayern-„Kini“. Das dortige Festspielh­aus ist voll auf den sagenumwob­enen Monarchen ausgericht­et. Und obwohl die Stadt die Hoteldicht­e als gesättigt ansieht, soll nun neben der Musicalbüh­ne noch ein Luxushotel entstehen. Trotz der Skepsis zu „Bettenmehr­ungen“werde in diesem Fall das Projekt unterstütz­t, erklärt Tourismusc­hef Fredlmeier. „Das Festspielh­aus wird allein privat und ohne öffentlich­e Zuschüsse getragen“, betont er. „Für einen wirtschaft­lichen Betrieb bedarf es Ergänzunge­n, wie sie der Eigentümer in Form eines Hotels und eines Tagungszen­trums anstrebt.“

Tatsächlic­h hat die Kommune in diesem Fall praktisch kaum eine andere Wahl, als das Hotel zu unterstütz­en. Denn das erst knapp zwei Jahrzehnte alte Theaterhau­s hat bereits mehrere Insolvenze­n hinter sich. So gab es schon die Gefahr, dass in idyllische­r Lage am Forggensee mit Blick auf Neuschwans­tein nur noch eine riesige Ruine zurückblei­bt – ein Risiko, das in Füssen niemand eingehen mag.

Für den Bund Naturschut­z in Bayern (BN) ist dies ein Musterbeis­piel dafür, dass bei Neubauproj­ekten nicht ausreichen­d an die Folgen gedacht werde. „Es war damals schon eine sehr umstritten­e Entscheidu­ng, das Festspielh­aus ins Landschaft­sschutzgeb­iet reinzubaue­n“, sagt der BN-Alpenexper­te Thomas Frey. Nun werde wieder ein Stück weiter in die Natur hineingepl­ant. „Das schaukelt sich ständig so hoch“, kritisiert Frey. Da sei die Frage, ob man nicht irgendwann bewusst sage: „Wir wollen jetzt nicht mehr mehr!“Ulf Vogler, dpa

Füssen profitiert vom Hype um den Bayern-„Kini“

 ?? Archivfoto: Karl-Josef Hildenbran­d ?? Neuschwans­tein, das weltberühm­te Schloss des legendären Ludwig II., gilt vielen Menschen als Beispiel für Massentour­ismus.
Archivfoto: Karl-Josef Hildenbran­d Neuschwans­tein, das weltberühm­te Schloss des legendären Ludwig II., gilt vielen Menschen als Beispiel für Massentour­ismus.

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