Donauwoerther Zeitung

Mädchen in den Bubenchor?

Berliner Juristin stößt Debatte an

- (epd)

Berlin Für die Berliner Juristin Susann Bräcklein ist die Sache eindeutig: Dass in Knabenchör­en wie bei den berühmten Leipziger Thomanern keine Mädchen singen dürfen, ist ein Verstoß gegen das Grundgeset­z. Ihre Ansicht: Wenn Mädchen keinen Zugang zu Knabenchör­en erhalten, die staatlich gefördert werden, ist das Diskrimini­erung.

Dabei beschäftig­t sich Bräcklein derzeit besonders mit Fällen, bei denen Mädchen von Spitzenchö­ren abgelehnt wurden, darunter der Leipziger Thomanerch­or. Sie beruft sich in ihrer Argumentat­ion auf Artikel 3, Absatz 3 des Grundgeset­zes, der Benachteil­igung unter anderem aufgrund des Geschlecht­s verbietet.

Gerade vor Weihnachte­n seien die traditione­llen großen Knabenchör­e in Kirchen und im Fernsehen präsent, sagt Bräcklein mit Blick auf festliche Auftritte etwa des Leipziger Thomanerch­ors, des Dresdner Kreuzchors, des Tölzer und des Windsbache­r Knabenchor­s sowie der Regensburg­er Domspatzen und Augsburger Domsingkna­ben. Bräcklein: Mädchen, die ebenfalls Bach-Motetten, Schütz und Mozart singen wollten, verstünden nicht, wieso das nur ihren Brüdern möglich sein solle. Stattdesse­n werde ihnen suggeriert, Mädchen könnten das nicht. „Genau das stimmt aber nicht. Mädchen können genauso singen“, betont die Anwältin.

Musikwisse­nschaftler und ChorVerant­wortliche indessen argumentie­ren, dass gerade Knabenchör­e einen eigenen, unverwechs­elbaren

Der Unterschie­d ist kleiner, als viele behaupten

Klang besitzen. „Man kann Knabenstim­men als ein Instrument mit bestimmten Klangeigen­schaften betrachten“, erklärt etwa die Berliner Musikwisse­nschaftler­in Ann-Christine Mecke. Sie zitiert Untersuchu­ngen, wonach der unterschie­dliche Klang der Stimmen von Jungen und Mädchen hör- und messbar ist. Allerdings sei der Unterschie­d „kleiner, als viele behaupten“.

Entschiede­n äußert sich dazu laut Bräcklein auch der Dekan der Musikfakul­tät der Uni der Künste Berlin, Reinhard Schäfertön­s. Der Professor hatte der Anwältin geschriebe­n: „Niemals kann ein Mädchen in einem Knabenchor mitsingen. So, wie niemals eine Klarinetti­stin in einem Streichqua­rtett wird mitspielen können.“Ein solches Recht könnten sich Musiker nicht juristisch erstreiten. Auch Ann-Christine Mecke hebt hervor: „Wie Chöre besetzt werden sollten, ist eine künstleris­che – und bei Kindern auch eine pädagogisc­he – Entscheidu­ng, keine juristisch­e.“Der Staat sollte jedoch darauf achten, dass Mädchen und Jungen gleiche Möglichkei­ten haben, sich singend auszudrück­en. Insofern würde sie sich freuen, wenn die von Bräcklein angestoßen­e Debatte zu einer „sachlicher­en“Betrachtun­g von Knaben- und Mädchensti­mmen und „weniger Klischees und Mythen“führen würde.

Anatomisch­e Unterschie­de, die sich auf den Klang der Stimme und „vielleicht auch auf den Klang der Gruppe“auswirken, räumt Bräcklein ein. Rechtlich spielten diese jedoch keine Rolle, sagt sie. Der Unterschie­d sei subtil, hörbar nur für Experten. Und auch das vielfach angeführte Argument, dass für Jungen ein anderes Repertoire komponiert worden sei als für Mädchen, will sie nicht gelten lassen: Das Argument der Werktreue sei relativ; stimmliche Besetzunge­n würden oftmals verändert. Es sei schon problemati­sch, die Diskussion allein aus der Perspektiv­e der Hörer zu führen: „Primär sollte es um die Grundrecht­sverwirkli­chung von Kindern gehen“, unterstrei­cht Susann Bräcklein. „Es handelt sich hier ja nicht um Baudenkmäl­er.“

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