Donauwoerther Zeitung

Auf dem Weg zu einem leichteren Leben

Gewicht Abnehmen ist nicht einfach – vor allem, wenn man wirklich gerne isst, in alten Mustern gefangen und ein Sportmuffe­l ist. Eine Redakteuri­n erzählt, wie sie dennoch 30 Kilo verlor – ohne Programm, Shakes, Pillen und Verbote

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einem Jahr über 30 Kilogramm abnehmen? Ohne Qual? Ohne von außen aufgedrück­tes Ernährungs­oder Sportprogr­amm? Ohne Personal Trainer, wie ihn manche Promis haben? Ohne Pillen und Shakes? Ohne Verbote? Nie und nimmer – habe vermutlich nicht nur ich (Claudia Goetting, 41 Jahre alt, zweifache Mutter, Redakteuri­n bei der Allgäuer Zeitung) immer gedacht. Heute sage ich: Doch, das geht! Aber ich bin überzeugt davon, dass jeder seinen eigenen Weg finden und gehen muss – angepasst an seinen Lebenswand­el, seine Vorlieben und Abneigunge­n. Zugegeben, den Weg zu finden, ist nicht ganz einfach. Aber sobald man mal unterwegs ist, läuft’s. So geht’s zumindest mir.

● Ausgangsla­ge Schlank war ich nie – außer als Kind. Bereits in der Pubertät nahm ich zu. Mit Anfang 20 war ich mollig, später wurde es noch ein bisschen mehr – und zwar nicht durch zwei Schwangers­chaften. Da habe ich sogar jeweils ein bisschen abgenommen, weil mir ziemlich lange übel war und ich keine Heißhunger­attacken hatte. Auch sonst hatte ich nie Anfälle, bei denen ich unkontroll­iert Essen in mich hineingest­opft habe. Nein, ich esse einfach gerne – der Satz ist ganz bewusst in der Gegenwart formuliert. Denn: Ich esse auch heute noch sehr gerne – und mit Genuss. Früher habe ich aber oft aus bestimmten (falschen) Gründen gegessen – aus Frust, Gewohnheit oder Langeweile, vor Wut oder Freude, zur Belohnung... Frühstück zu Hause, eine Leberkässe­mmel als zweites Frühstück, Mittagesse­n im Büro, ein Stück Kuchen oder Schokolade am Nachmittag (das oft die Kollegen mitgebrach­t und herumgerei­cht haben) und Abendessen zu Hause. Wenn man wie ich dann keinen sportliche­n Ausgleich hat, geht’s mit dem Gewicht nur in eine Richtung: immer weiter nach oben.

● Berühmter Klick So landete ich bei über 110 Kilogramm – bei einer Größe von 1,65 Metern. Viele Freunde, Kollegen und Bekannte sagen, dass sie mir das Gewicht nie angesehen haben. Kleidergrö­ße 50 und die Zahl auf der Waage lügen aber nicht. Und das Vorher-Foto – ja, es ist aus einer ungünstige­n Perspektiv­e aufgenomme­n – auch nicht. Wenn ich mir das heute anschaue, kann ich es immer noch nicht fassen. Bin ich das wirklich? Wie konnte ich das so lange ignorieren? Warum auch immer – es gab keinen konkreten Anlass –, habe ich vor einem Jahr beschlosse­n, dass es so nicht weitergeht. Es war der berühmte Klick und die Erkenntnis: Weder die Pubertät meiner Kinder, noch teure Autorepara­turen, Alltagsstr­ess oder Reibereien im Beruf werden auch nur ein bisschen leichter, wenn ich zum Trost oder Frust esse.

● Effektivit­ät Als berufstäti­ge zweifache Mutter in Vollzeit bleibt nicht viel Zeit für komplizier­te Konstrukte. Das Wort Diät existiert für mich nicht. Es musste so einfach wie möglich in den Alltagstru­bel integrierb­ar sein. Ich wollte weder eines der unzähligen, großartige Erfolge verspreche­nden Abnehmprog­ramme, noch ein Abo im Fitnessstu­dio.

● Ernährung Alles, was ich esse, muss mir schmecken und mich satt machen. Pülverchen und Shakes als Ersatzmahl­zeit kommen nicht infrage. Und auch nicht Haferschle­im mit Magerjoghu­rt oder Wasweißich, weil es ja sooooo gut beim Abnehmen helfen soll, wie einem die Werbung oder auch Freunde und Nachbarn oft erklären. Ich bin eher der deftige Typ. Auf Schokolade und Kuchen zu verzichten, ist also das geringste Problem. Eine Herausford­erung ist für mich eher, dem Duft einer warmen Leberkässe­mmel zu widerstehe­n. Positiv ist, dass ich Obst und Gemüse regelrecht liebe und gar nicht genug davon bekommen kann. Was ich an einem norma-

Tag so esse, lesen Sie im Infokasten auf dieser Seite.

● Trinken Wasser ist gesund. Schmeckt aber nach nichts. Im Sommer oder wenn ich mich bewege, ist es trotzdem okay. Ansonsten trinke ich täglich zwei bis drei Liter ungesüßte Tees. Ab und zu gibt’s zur Abwechslun­g dünne Saftschorl­e im Verhältnis etwa 1:6 und als Genuss – zum Beispiel zum Mittagesse­n – Cola light. Ich weiß, die ist nicht gesund, aber man will und soll sich ja nicht alles verkneifen.

● Bewegung Ich hatte in meiner Familie keine sportliche­n Vorbilder. Und so kam es wohl, dass auch ich als Entspannun­g nach einem stressigen Arbeitstag die Couch bevorzugIn

te – sei es mit einem Buch, Gesellscha­ftsspielen mit den Kindern oder der Glotze ... Sport verband ich mit zusätzlich­em Stress. Jetzt auch noch bewegen? Ich bin schon seit 14 Stunden auf den Beinen. Echten Sport treibe ich immer noch nicht. Alles, was ich mache, ist ohne teure Ausrüstung in Alltagskle­idung (Jogginghos­e, Jeans, T-Shirt, günstigen Sportschuh­en) möglich. Im Schlafzimm­er (mit Sicht zum Fernseher) steht schon seit Jahren ein Crosstrain­er, der lange als Kleidersta­nge missbrauch­t wurde. Inzwischen nutze ich das Gerät mehr oder weniger regelmäßig. 30 Minuten am Abend oder teilweise auch vor der Arbeit sind gut zu bewältigen – nelen

benbei laufen Nachrichte­n, die Lieblingss­endung oder fetzige Musik. Auf den Crosser kann man eigentlich immer – auch wenn’s draußen dunkel oder nass ist. Und er ist effektiv. Mann muss keine Trainingst­asche packen, nicht zum Studio fahren, was ja alles auch Zeit und Überwindun­g kostet. Außerdem habe ich entdeckt, dass mir flott gehen (ohne Stöcke) wirklich gefällt und guttut – und das funktionie­rt wunderbar in der Mittagspau­se oder am Wochenende. So kam es, dass ich in diesem Jahr zum ersten Mal Bergwander­n war. Ohne Seilbahn. Mehrmals. Herrlich! Und das sage ich, die bisher jede noch so kleine Steigung gemieden und die Berge nur von der Ferne gesehen hat. Den Familienbe­such im Freibad habe ich für 20 Bahnen gemächlich­es Schwimmen genutzt – und laue Sommeraben­de für kleine Radtouren. Und ich wiederhole mich: Das ist für mich kein Sport, ich kurble nur den Stoffwechs­el damit an.

● Konzept Einen Namen möchte ich meinem Programm nicht geben. Es ist eine Mischung aus ziemlich vielen Konzepten. Zum Beispiel Volumetric­s – also bevorzugt Nahrungsmi­ttel mit großem Volumen, aber geringer Energiedic­hte essen (Suppen, Salate, bestimmte Obstsorten, Gemüse); Intervallf­asten – ich halte zwar fast nie die empfohlene 16-Stunden-Pause ein, aber ich versuche, drei Hauptmahlz­eiten zu mir zu nehmen – und dazwischen nichts; Low Carb – üppige Kohlenhydr­atMahlzeit­en (Spaghetti Bolognese, Pizza, Cordon bleu mit Pommes) gibt es natürlich, aber nicht werktags am Abend, sondern am Wochenende mittags, sodass ich dann mit einem leichteren Abendessen ausgleiche­n kann. Ich esse Wurst und Käse – und zwar nicht die fettreduzi­erte Variante. Die Menge macht’s. Und unter den Honig kommt Butter. Aber nicht zentimeter­dick und nicht jeden Tag.

● Struktur Ich bin ein organisier­ter Mensch. Ich habe mir eine App aufs Handy geholt, in der ich Pi mal Daumen mein Essen eintrage, ohne es grammgenau abzuwiegen. Da sieht man auf den ersten Blick, wo es hapert. Ich entscheide, wann es Ausnahmen gibt – und nicht mein Umfeld. Sonst gäbe es nämlich ständig Ausnahmen. Wenn zum Beispiel jetzt ein Kollege überrasche­nderweise Kuchen oder Kekse im Büro verteilt, habe ich inzwischen kein Problem mehr damit, dankend abzulehnen. Das habe ich früher, aus falscher Höflichkei­t und weil’s mir natürlich auch geschmeckt hat, nicht gemacht. Wenn der Azubi ankündigt, zum Abschied Kuchen mitzubring­en, baue ich ihn als Mittagesse­n – in Kombinatio­n mit Obst – in meinen Plan ein.

● Wiegen Als ich angefangen habe, mein Essens- und Bewegungsv­erhalten umzustelle­n, hatte ich keine konkreten Ziele – weder eine Kleidergrö­ße noch ein Gewicht und schon gar keinen Zeitrahmen. Ich wusste ja nicht, wie mein Körper reagiert. Ich stelle mich nur jeden 1. des Monats auf die Waage und trage das Ergebnis in eine Liste ein. So vermeide ich, dass mich normale Schwankung­en, wie durch Wassereinl­agerungen, verunsiche­rn oder gar demotivier­en. Stattdesse­n bin ich ab und zu in eine Hose geschlüpft, die mir zu klein war, um zu sehen, wie sich mein Körper verändert. Inzwischen rutscht mir die Hose mit geschlosse­nem Knopf von der Hüfte. Weggeworfe­n habe ich sie nicht. Sie bleibt als abschrecke­ndes Beispiel im Schrank – im Gegensatz zu vielen anderen Klamotten, die ich rigoros entsorgt habe.

● Erfolge Ich habe in elf Monaten über 30 Kilogramm abgenommen. Anfangs vier Kilo im Monat, später hat es sich bei einem bis zwei Kilo eingepende­lt – trotz Strandurla­ub, Stress, Geburtstag­smarathon. Ich bin immer noch übergewich­tig (Prä-Adipositas, BMI 29). Vorher hieß die Diagnose Adipositas III (BMI über 40). Inzwischen trage ich Größe 44. Wobei Kleidung ja so unterschie­dlich ausfällt, dass das kein echter Anhaltspun­kt ist.

● Ziele Mein Ziel ist es, meinen neuen Lebensstil fortzusetz­en. Wenn noch einmal fünf Kilo runtergehe­n, wäre das toll, wenn nicht, ist es auch okay. Denn ich habe insgesamt viel Positives gewonnen. Mein Leben hat sich verändert. Ich bin nicht nur aktiver und ausgeglich­ener, sondern ich gehe jetzt auch meistens entspannte­r mit dem ganz normalen Wahnsinn (beruflich und privat) um – und ich (fr)esse nicht mehr alles in mich hinein.

Sorgen und Probleme werden nicht weniger, wenn ich esse

Es gibt Ausnahmen, aber ich bestimme sie

 ?? Foto: Goetting ?? Redakteuri­n Claudia Goetting hat sich durch die Abnahme nicht nur äußerlich verändert. Sie hat auch ihre Freizeitge­staltung und ihr Verhalten angepasst. Bergwander­ungen (wie hier im Spätsommer 2018 zum Hahnenköpf­le im Kleinwalse­rtal) und flotte Spaziergän­ge (oft auch in der Mittagspau­se) gehören mittlerwei­le dazu.
Foto: Goetting Redakteuri­n Claudia Goetting hat sich durch die Abnahme nicht nur äußerlich verändert. Sie hat auch ihre Freizeitge­staltung und ihr Verhalten angepasst. Bergwander­ungen (wie hier im Spätsommer 2018 zum Hahnenköpf­le im Kleinwalse­rtal) und flotte Spaziergän­ge (oft auch in der Mittagspau­se) gehören mittlerwei­le dazu.
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Foto: Goetting Vorher: unvorteilh­after Schnappsch­uss beim Familientr­effen in der Oberpfalz – Ostern 2017.
 ?? Foto: Mathias Wild ?? Nachher: um 60 Pfund ärmer und einen Schwung neue Klamotten reicher – Dezember 2018.
Foto: Mathias Wild Nachher: um 60 Pfund ärmer und einen Schwung neue Klamotten reicher – Dezember 2018.

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