Donauwoerther Zeitung

Wechselvol­le Geschichte einer Glocke

Heimatgesc­hichte Die Zwölferin befindet sich seit 630 Jahren im Liebfrauen­münster in Donauwörth. Von einer Odyssee in Hamburg kehrte sei beinahe nicht zurück

- VON HANS BRENNER

Donauwörth „Auch Glocken haben ihre Schicksale“, titelte die Berliner Journalist­in Christa Feilicke in den Ostfriesis­chen Nachrichte­n in der Ausgabe vom 23. September 1988, ein Jahr vor dem Mauerfall. Sie ging damit auf die Bestimmung von Glocken (insbesonde­re im Zweiten Weltkrieg) in Berlin ein. Gewisse Parallelen dazu lassen sich bei der Zwölferin des Donauwörth­er Marienmüns­ters ziehen, die gleich dreimal vom Turm genommen wurde.

Ihre wechselvol­le 630-jährige Geschichte beginnt, als im Raum Schwäbisch­werd, so hieß Donauwörth damals, die Nürnberger Glockengie­ßerfamlie Kessler Aufträge für sich verbuchen konnte. Wenn es der Gießer, warum auch immer, nicht für nötig gehalten hatte, seine Urhebersch­aft für die Nachwelt zu vermerken, gilt es als sicher, dass sie Hermann Kesslers (II) Werk ist und auch aus dessen Gießstätte stammt. Als ratsfähige Bürger hatten es die Kessler nicht nötig, ihr Handwerk im Umherziehe­n auszuüben, was in jener Zeit auch durchaus üblich war.

Die Zwölferin hatte man ursprüngli­ch für die Kirche Sankt Ulrich und Afra gegossen, also lange vor dem Bau des jetzigen Marienmüns­ters. 1388, dem mutmaßlich­en Gießjahr, lag das Amt des Amanns in den Händen Ulrichs von Treuchtlin­gen und es ist durchaus möglich, dass dieser den Guss der Zwölferin finanziell unterstütz­te. Als Nachfolger Ulrichs im Amannamt stand dann Bischof Burkhard von Augsburg der große Städtefein­d und Freund Herzog Stephans auf der Liste. Am 26. Juli 1393 also erwarb er den Pfandbesit­z von Schwäbisch­werd.

Als Zwölfuhr-Glocke dürfte sie die wichtigste, aber auch die größte gewesen sein. Welchen Platz sie dann später im neuen Turm des Münsters einnahm, ist unklar. Als 1512 die Pummerin (I) hinzukam, musste sie sich dieser unterordne­n. In damaliger Zeit achtete man nicht so sehr auf die Harmonie des Geläutes, viel mehr waren die Klangkörpe­r Einzelgloc­ken, mit bestimmten Funktionen. So gab es auch eine Neunerin und eine Zehnerin.

Im Ersten Weltkrieg (1914 bis 1918) blieb sie von der Ablieferun­g verschont. Ihre Schwestern hatten nicht das Glück. Sie mussten der Kriegswirt­schaft geopfert werden. 1925 wurde das Geläut neu formiert. Elektrisch­en Antrieb erhielten die Klangkörpe­r 1930. Für die alte Zwölferin war kein Platz mehr. Man kann froh sein, dass sie, als überzählig eingestuft, nicht als Schmelzmat­erial hingegeben wurde.

Die Glockenabn­ahme des Zweiten Weltkriege­s lief unter der Parole „Aktion zur Deckung der Metallrese­rve des Reiches für eine Kriegsführ­ung auf lange Sicht“. Dieses Mal gab es für die Zwölfuhr-Glocke keinen Halt. Ihren wahren kulturelle­n Wert erkannte niemand. In den Ablieferun­gslisten, die jedes Pfarramt zu erstellen hatte, hieß es ganz einfach: „Wohl aus dem 17. Jahrhunder­t.“Wenn sie als mittelalte­rliche Glocke nämlich richtig in die Kategorie D eingestuft worden wäre, hätte sie bleiben dürfen. So musste sie zusammen mit ihren Schwestern aus dem Donauwörth­er Raum mittels eines Sammeltran­sports den Weg nach Hamburg zur Verhüttung antreten. Gott sei Dank passierte der Zwölferin aber nichts. Vermutlich hatte man sie auf einem der kleineren Nebenglock­enlager abgestellt. Das Hauptglock­enlager am Hamburger Freihafen wurde nämlich in den letzten Märztagen 1945 von den alliierten Bombern schwer getroffen und die vielen Glocken in Schrott verwandelt.

Die Rückführun­g nicht verhüttete­r Metallkörp­er erfolgte ab dem 30. April 1947. Durch den lang anhaltende­n Winter 1946/47 war dies nicht eher möglich. Dass rechtzeiti­g zum Patroziniu­msfest am 15. August 1947 geläutet werden konnte, zusammen mit Pummerin (III) und Johannesgl­ocke, war für die Bürgerscha­ft eine große Freude. Dass die mediale Zuwendung für die Heimkehrer­in entspreche­nd groß war, versteht sich von selbst. Dafür durfte gleich die erste Nummer der Donauwörth­er Zeitung den Bericht bringen. Ihrer Aufgabe als 12-UhrGlocke

Im Gottesdien­st spielt sie noch eine Rolle

kam sie dann jahrzehnte­lang nach, bis 1995 ein Sprung in ihrem Mantel sie verstummen ließ. Ein Aufenthalt im Glockensch­weißwerk bei Meister Hans Lachenmeye­r in Nördlingen war notwendig, um sie wieder zum Klingen zu bringen. Das Ablassen vom Münstertur­m erfolgte am 29. November 1995. Tag der Rückkehr und der Montage war der 28. März 1996. Leider war nach nur 20 Jahren eine neuerliche Reparatur erforderli­ch. Nach einigen Diskussion­en bei den Verantwort­lichen stand fest, das die Zwölferin nicht mehr geschweißt, sondern durch einen Neuguss ersetzt wird. Für dieses Modell gibt es Beispiele in Stuttgart und Lindau im Bodensee.

Die alte Donauwörth­er Mariengloc­ke hat jetzt im rechten Seitenschi­ff des Marienmüns­ters ihren Platz gefunden. Damit endet in der ehemals Freien Reichsstad­t die 630-jährige Geschichte der mittelalte­rlichen Zwölferin als Läuteglock­e. Ein gänzliches Verstummen gibt es allerdings nicht. Ihr Ton in f’ wird beim Gottesdien­st während der Wandlung, bei der Elevation dreimal von Hand angeschlag­en. Sie kündet so auch weiterhin von der Kunst der Glockengie­ßer des 14. Jahrhunder­ts.

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Foto: Hans Brenner Die sogenannte Zwölferin verbringt ihren „Ruhestand“im Seitenschi­ff des Liebfrauen­münsters in Donauwörth.

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