Hilft die Notfalldose im Kühlschrank?
Gesundheit Wird der Rettungsdienst gerufen, muss es oft schnell gehen. Informationen über Vorerkrankungen und Medikamentenbedarf sind jetzt wichtig. Aber oft nicht zu finden
Augsburg Klingt einfach: Eine Dose, in der die wichtigsten Gesundheitsdaten drinstecken, steht für den Notfall griffbereit in der Kühlschranktür. Wird der Rettungsdienst gerufen und kann der Patient nicht mehr selbst Auskunft geben, hilft den Einsatzkräften ein Griff in den Kühlschrank und ein Blick in die sogenannte Notfalldose. Viele Rettungsdienste empfehlen den handlichen Behälter, der zwischen Eiern und Butter gut Platz findet. Doch es gibt auch Bedenken.
Zu den Befürwortern zählt der Sozialverband VdK Bayern. Der Kreisverband Landsberg etwa hat bereits eine kostenlose Verteilaktion der „SOS-Notfalldosen“auf die Beine gestellt. Notarzt Dr. Wolfgang Weisensee begrüßt die Initiative. Eindrücklich schildert er seine Not bei Einsätzen, wenn keinerlei Informationen zum Patienten vorliegen, er selbst als Notarzt an keine kommt und der Patient selbst nichts sagen kann. Vor allem Menschen mit chronischen Erkrankungen, mit Allergien, mit bösartigen Tumoren kann er so eine Dose nur empfehlen. Erhältlich ist sie auch im Internet. Dort variieren die Preise allerdings stark und liegen bei etwa vier Euro.
Weisensee spricht sich für die Dosen auch aus, weil er weiß, dass selbst Angehörige, die im Notfall vor Ort sind, oft so aufgeregt sind, dass verlässliche Informationen von ihnen nur schwer erhältlich sind.
Und: Neben den wichtigsten Daten über Vorerkrankungen, einem aktuellen Medikamentenplan, einer Patientenverfügung, Name und Anschrift des Hausarztes findet Weisensee noch eine andere Verfügung sehr wichtig, die in den Notfalldosen vorzufinden ist: Wer kümmert sich um mein Haustier? Der erfahrene Notarzt hat es schon so oft erlebt, dass gerade ältere schwer kranke Menschen sich strikt weigern, in die Klinik gefahren zu werden, weil niemand da ist, der sich um den Dackel oder die Katze kümmert.
Allerdings macht Weisensee auch klar, dass so eine Notfalldose nur eine gute Lösung unter den gegebenen Umständen ist. Weil die Politik seit Jahren keine richtige elektronische Gesundheitskarte auf die Bahn bringt, die Notärzten wie ihm einen verlässlichen und schnellen Zugang zu lebensnotwendigen Krankendaten gibt. Dabei seien die Daten ja alle längst gespeichert. „Doch der Datenschutz bringt Patienten um“, betont Weisensee. Die große Politik habe hier „gänzlich versagt“.
Eine elektronische Gesundheitskarte fordert auch Sohrab TaheriSohi. Er ist Pressesprecher des Landesverbands des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) und selbst ehrenamtlicher Rettungsfahrer. Die Notfalldosen dagegen sehe der Landesverband skeptisch, auch wenn er es den Kreisverbänden selbst überlässt, ob sie dafür Werbung machen. Nach Ansicht des Landesverbands können sich die Rettungskräfte auf die Daten in der Dose einfach nicht verlassen, weil niemand weiß, wie aktuell sie sind. Hier werde dem Patienten viel Verantwortung übertragen. Und selbst wenn ein Patient regelmäßig seine Daten in der Dose erneuert, ist für Taheri-Sohi eine elektronische Gesundheitskarte die beste Lösung. Er gibt ein Beispiel: Ein Patient bekommt von seinem Hausarzt ein blutverdünnendes Medikament verschrieben, holt es sich aus der Apotheke, nimmt es ein und kollabiert. Der Rettungsdienst wird gerufen. Keiner weiß, wenn nicht die Medikamente noch zufällig herum liegen, was der Patient zuletzt eingenommen hat. Und was ist bei Notfällen außerhalb der eigenen Wohnung? Etwa bei Unfällen, die einen erheblichen Teil der Einsätze ausmachen: Die SOS-Dose helfe da wenig, betont Taheri-Sohi. Eine elektronische Gesundheitskarte dagegen sehr. Doch ist die elektronische Versichertenkarte für die Rettungskräfte immer greifbar? Lothar Ellenrieder wäre sich da nicht so sicher. Hat es der Leiter des Rettungsdienstes des BRK-Kreisverbands Augsburg-Stadt doch schon oft genug erlebt, dass die Versichertenkarte nicht im Geldbeutel des Patienten steckt. Da gebe es die merkwürdigsten Verstecke, gerade bei älteren Leuten. Die elektronische Gesundheitskarte ist für ihn zwar eindeutig auch die verlässlichere Lösung als eine Dose, von der niemand weiß, wann ihre gesammelten Datenblätter zuletzt aktualisiert worden sind. Doch dann dürften Ärzte auch nicht mehr die Medikation verändern, wenn es nicht sofort auf der Karte gespeichert wird, betont er. Daher verlässt sich Einsatzleiter Ellenrieder vor allem auch auf eines, wenn er zu einem Notfall gerufen wird: Auf seine Intuition, sein Bauchgefühl.