Verantwortlich: Wir doch nicht!
Gastbeitrag Politiker und Medienschaffende haben 2018 ihre Verantwortung für die Gesellschaft vernachlässigt. Was muss sich ändern? Eine Bilanz des Jahres aus medienethischer Perspektive /
Wenn dem Medienjahr 2018 ein ethisches Thema zugeordnet werden soll, dann ist „Verantwortung“ein höchst geeigneter Kandidat dafür. Wenn Menschen das tun, was gemeinhin als „Verantwortung wahrnehmen“bezeichnet wird, dann handeln sie verantwortlich. Zugleich gibt dies Außenstehenden die Möglichkeit, verantwortliches Handeln zu erkennen und zu bewerten. Unter diesem Vorzeichen haben 2018 viele der Akteure, die zur öffentlichen Kommunikation beitragen, erhebliche Mängel offenbart, Journalistinnen und Journalisten ebenso wie Politiker/innen, Vertreter/innen von Medienunternehmen und Social-Media-Plattformen ebenso wie Werbeagenturen.
Dies lässt sich an vielen Beispielen nachweisen. Erinnern wir uns an einige davon. Der deutsche Ableger von Buzzfeed, dem listenformatierten journalistischen Onlineportal, hat Mitte Dezember 2018 mal wieder ein Ranking veröffentlicht. Die Redaktion hat acht der erfolgreichsten Falschmeldungen auf Facebook 2018 gezählt. Es ist weniger die Absurdität der Falschmeldungen, die erschreckt (wie etwa die, dass das kanadische Fernsehen beweise, dass Merkel Deutschland hasst und wahnsinnig ist), sondern die Tatsache, dass die AfD und die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach die zentralen Verbreiter der Falschmeldungen auf Plattformen sind.
Allerdings sollte niemand der Ansicht folgen, dass systematische Verzerrung von Wahrheit bis hin zur Lüge eine Alleinstellung von Rechtspopulisten ist. Focus Online hat dem amtierenden Gesundheitsminister Jens Spahn vergleichbare Verdrehungen nachgewiesen. Spahn hatte von einem Ort berichtet, der angeblich von fünf abgelehnten, straffällig gewordenen, gewaltbereiten Asylbewerbern drangsaliert wird. Diese Darstellung wurde unter anderem vom Bürgermeister des Ortes widerlegt. Darauf angesprochen, zeigte Spahn keinerlei Anzeichen von verantwortungsvollem Handeln, er habe den Ort nur „beispielhaft genannt“für das, was er regelmäßig höre.
Die systematische Verdrehung der Wahrheit, die bewusste Falschinformation bis hin zur Lüge wird offensichtlich zu einem Teil der strategischen Kommunikation derjenigen, die an den Kreis der Mächtigen in der Gesellschaft gelangen wollen. Ihre bewusst betriebenen rhetorischen Fehlleistungen verschieben die Grenzen dessen, was gesagt wird und gesagt werden darf. Mit demagogischen Mitteln wird Polarisierung betrieben, die demokratiegefährdend werden kann. Verantwortlich gemacht zu werden, keiner dieser Akteure fürchten, denn es fehlen die Instanzen, die verantwortungsloses Handeln sanktionieren können.
Immerhin werden manche der strategisch geplanten Täuschungen durch den Journalismus aufgedeckt. Das ist ja auch seine Aufgabe. Eine Wächterfunktion allerdings kann damit nicht verbunden sein, dazu ist die Zahl an Fake News, an Verdrehungen, Verfälschungen und Täuschungen über die Realität viel zu hoch. Und auch der Journalismus ist nicht gefeit dagegen, Fehler zu machen oder sich zu fragwürdigen Kampagnen hinreißen zu lassen. Jüngstes Beispiel ist der Fall Claas Relotius, ein Journalist, der über Jahre hinweg Teile seiner vielfach ausgezeichneten Reportagen fälschte.
Bekannt für Kampagnen ist die Bild-Zeitung, doch auch sogenannte Qualitätsmedien wie die Zeit verirren sich in dem Versuch, aus gesellschaftlich vermuteten Meinungen ökonomisch Profit zu schlagen. So jedenfalls muss man den Pro- und Contrabeitrag der Wochenzeitung in einer Juliausgabe wohl deuten. Unter der Überschrift „Oder soll man es lassen“diskutieren zwei Autor/innen die Frage, ob schiffbrüchige Flüchtende gerettet werden sollen. Immerhin: Die Wochenzei- ist ihrer Verantwortung nachgekommen und hat sich für diese Berichterstattung entschuldigt.
Problematisch an diesen Fällen ist natürlich das offensichtliche Fehlen von Kontrollmechanismen (VierAugen-Prinzip). Problematischer ist vor allem aber, dass solche Fälle von Rechtspopulisten direkt wieder verwendet werden, um Stimmung zu machen gegen die „Lügenpresse“und die sogenannten Medieneliten. Das macht es nicht leichter, die unbedingt notwendige Medienfreiheit argumentativ zu verteidigen.
Solcherart ethische Reflexion ist von den sozialen Plattformen und den dahinterstehenden Konzernen nicht zu erwarten. Ganz im Gegenteil: deren Chefs, wie Mark Zuckerberg von Facebook oder Susan Wojcicki, die Chefin von Youtube (gehört zu Google) halten Verantwortung für eine Idee, die das Geschäftsmodell bedroht. Zuckerberg variiert daher Fragen nach der Verantwortung von Facebook je nachdem, welche Antwort dem Unternehmen nützt. Geht es um die Verantwortung für die Inhalte, dann bezeichnet er Facebook als Technologieunternehmen, das keine Verantwortung für die Inhalte hat. Wojcicki geht sogar noch weiter. Als die EU im Herbst 2018 die Entwürfe für eine härtere Haftung für Internetmuss plattformen vorgelegt hat, hat sie ihre Netzgemeinde aufgewiegelt nach dem Motto: Die EU zerstört das Internet. Der Hintergrund: Die risikolose Werbevermarktung fremder Inhalte – beispielsweise all der sogenannten Influencer im Netz – ist das höchst profitable Geschäftsmodell von Youtube. Härtere Haftung bedeutet mehr Kosten, bedeutet Profitschmälerung.
In die gleiche Kerbe schlagen die Werbeagenturen. Nachdem Julia Jäkel, die Chefin des Hamburger Verlags Gruner + Jahr, ergänzend zu Standards für gute Unternehmensführung eine Corporate Media Responsibilty vorgeschlagen hatte, fertigte Klaus-Peter Schulz vom Mediaagentur-Verband OMG diesen Vorschlag mit dem Hinweis ab, dass es nicht Aufgabe der Werbung sei, „die publizistische Qualität zu stützen“. Während also die Verlagschefin sich Gedanken darüber macht, dass sich Medienunternehmen „für Pressefreiheit, für unabhängige Medien, gegen Fake News oder Ähnliches aussprechen“sollten, lehnen die Profiteure der Medienbranche jegliches auch nur Nachdenken darüber ab.
Eine Corporate Media Responsibility ist schon länger im Gespräch, sie setzt sich zusammen aus der allgemeinen Unternehmensveranttung wortung (Corporate Social Responsibility) und den spezifischen Verantwortungserwartungen an Medien und ihre Berichterstattung. Dass an diesen Erwartungen noch intensiv gearbeitet werden muss, zeigt das Beispiel der ARD-Talkshow „Hart, aber fair“. Deren Redaktion konterte den Vorwurf, dass mit Titeln wie „Flüchtlinge und Kriminalität“populistisches Framing betrieben würde, mit einer zynischen Antwort: „Framing? Als Journalisten können wir mit diesem Begriff wenig anfangen. Wir versuchen das, was Menschen beschäftigt, so darzustellen, wie es ist.“Da ist die ganze intensive Berichterstattung des vergangenen Jahres über die Bedeutung und Macht von Sprache gerade unter populistischen Bedingungen komplett an dieser Redaktion vorbeigelaufen, auch eine Art von Wirklichkeitsverweigerung. Bedenklich ist die Tatsache, dass sich in der Antwort wieder einmal
AfD ist zentraler Verbreiter von Falschmeldungen
Wir brauchen eine digitale Verantwortungsdebatte
zeigt, wie gedankenlos manche Redaktionen mit ihrer Verantwortung umgehen.
Das lässt für 2019 nichts Gutes hoffen. Wenn selbst öffentlichrechtliche (wenn auch quotengetriebene) Redaktionen offensichtliche Kritik routinemäßig und arrogant an sich abprallen lassen, wie sollen dann die schon jetzt absehbaren ethischen Probleme des digitalen Netzes aufgefangen werden? Aus Jäkels Corporate Media Responsibility müsste schon heute eine digitale Verantwortungsdebatte entstehen, denn das allumfassende Eindringen des Internets in jede Pore gesellschaftlichen Lebens kann ohne eine Corporate Digital Responsibility nicht sozial bewältigt werden.