Wie sich das Leben am Lech verändert hat
Landschaft Für ein spannendes Buchprojekt haben Studenten 20 Zeitzeugen porträtiert, deren Leben der Fluss prägte. Unter ihnen ist Wasserwerker und Imker Alfons Lunzner aus Lechsend. Er hat eine klare Botschaft
Marxheim-Lechsend Einst war der Lech ein sich immer wieder verändernder Gebirgsfluss – bis ihm der Hochwasserschutz und die Nutzung der Wasserkraft seine Wildheit nahmen. Seit 2013 beschäftigen sich Studierende der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde mit den Landschaften am Lech. Im Februar interviewten zwölf Studenten Menschen, die an diesem Fluss leben, darunter auch Alfons Lunzner aus Lechsend.
Denn ohne die in einer Landschaft agierenden Menschen sei Landschaft nicht zu verstehen, heißt es im Vorwort der Professorin Dr. Uta Steinhardt. „Landschaftskommunikation“nenne sich diese Herangehensweise, die das Erfahrungswissen des Menschen miteinbezieht. Herausgegeben vom Verein „Lebensraum Lechtal“ist aus diesen Gesprächen ein Bildband entstanden, der den 250 Kilometer lan- gen Weg des Lechs nachzeichnet und dank der Erinnerungen der Befragten davon erzählt, wie er einst war. Die Fotos stammen vom Finninger Fotografen Detlef Fiebrandt, die Textredaktion hatte Harald Jungbold. Ein Glossar informiert über Fachbegriffe.
Der Fluss suchte sich früher bei Hochwasser einen breiten Weg durch die Landschaft. Diese Dynamik und die Materialien, die er transportierte, gestalteten die unterschiedlichsten Lebensräume. Die Kraftwerke und der Forggensee als großer Stausee haben diese Dynamik gestoppt und spezialisierten Arten fehlen jetzt diese Lebensräume wie beispielsweise Kiesbänke. Dies erläutert der Gebietsbetreuer vom Verein Lebensraum Lechtal, Stephan Jüstl, in seiner Einführung. Dann kommen die 20 Menschen zu Wort – zuerst Bergbauern und Umweltaktivisten am Tiroler Lech, der vor derartiger Verbauung bewahrt und 2004 zum Naturpark wurde. Jeder der Befragten hat eine ganz ei- Verbindung zum Lech, seiner Geschichte und seinem Wandel. Den Schlusspunkt der lesenswerten Porträtserie setzt der Bericht über Alfons Lunzner aus Lechsend.
Der Wasserwerker kennt den Fluss von unten, denn er war schon dabei, als erste Pumpversuche im Jahr 1969 anliefen – aus dem 40 Meter mächtigen Schotter im Untergrund der Lechmündung bei Genderkingen wird seitdem Trinkwasser für den fränkischen Raum um Nürnberg gewonnen. Der Sohn des ehemaligen Bürgermeisters von Graisbach sorgte für den Unterhalt der Anlagen des 1973 gebauten Wasserwerkes. Er überwachte das Wasserschutzgebiet, sammelte Messdaten, unterstütze Revisionsarbeiten – und das 25 Jahre lang.
Doch neben dieser technischen Seite ist vor allem seine mit der Natur eng verbundene Lebensgeschichte lesenswert. Sie offenbart, wie kostbar ein Stück Fleisch auf dem Teller war – heute Alltag. Denn damals durften die Bauern im Jahr nur zwei Schweine schlachten. Offen erzählt Lunzner von seinen unbeschwerten, aber auch arbeitsreichen Kindheitstagen. Schon vor der Schule halfen die Kinder auf dem elterlichen Hof, nach dem Unterricht mussten die Kühe gehütet werden.
Sein Vater, der von 1948 bis 1963 Bürgermeister von Lechsend war, brachte die Elektrifizierung in den Ort, sorgte für den Anschluss an die Trinkwasserleitung und den Bau der Donautalstraße. Annehmlichkeiten, die heute selbstverständlich sind, waren damals Errungenschaften, die sich die Bürger selbst erarbeitet hatten und folglich mit großer Andacht genutzt wurden.
So ist die Geschichte von Alfons Lunzner nicht nur ein Blick in das Leben von vor über 70 Jahren, sondern auch ein Appell an die heutige Generation, behutsam mit den Ressourcen umzugehen, die die Natur uns schenkt. Gerade als passionierter Imker kann Lunzner davon berichten, wie die moderne Landwirtschaft das Gleichgewicht der Umgene welt durcheinanderbringt. „Es kann in der Landwirtschaft nicht mehr so weitergehen. Es muss sich was ändern“, sagt der 80-Jährige. Ein grundsätzlicher Wandel und eine Rückkehr zu alten Tugenden ist für ihn unerlässlich.
Eins ist vielen dieser Geschichten gemeinsam: Sie erzählen von harten und entbehrungsreichen Zeiten, in denen oft auch die Kinder mitarbeiten mussten. Sie erzählen aber auch von einer Kindheit draußen in der Natur, jenseits der Kontrolle von Erwachsenen an den Ufern des Lechs, der damals noch ein anderes Gesicht hatte.
Der unter anderem vom Bundesumweltministerium geförderte Band macht Lust darauf, auch das andere, noch ursprünglichere Gesicht dieses Flusses auf der Tiroler Seite kennenzulernen.
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Info „Vom Lech – Zeitzeugen erzählen“ist im Finninger Lechrain Verlag erschienen und kostet 35 Euro. ISBN 9783942985260