Die Frage der Woche In Sende-Echtzeit fernsehen?
Morgens um halb acht eine Pizza bestellen, Homeoffice aus der Badewanne, um 2 Uhr nachts ins Fitnessstudio gehen, im Restaurant das Gegenüber vergessen, die Gabel rechts halten und mit links das Smartphone checken: Wir können heute alles zu jeder Zeit machen – wann und wo immer uns danach ist. 24/7 ist das Signum unserer Zeit: 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Niemand muss sich mehr irgendeinem Diktat der Konvention beugen oder dem Gängelband der Uhr. Just do it.
Das gilt selbstverständlich auch für das Fernsehen. Mediathek heißt der Supermarkt der Allgegenwärtigkeit. Gucken, wann man will – jenseits oller Programme und Sendeordnungen. Streamen = Souveränität des Konsumenten. Sagen die TV-Streamer. Jeder sein eigener Programmdirektor, 24/7. Nie mehr versäumen, was einem wichtig ist. Alles zur passenden Zeit anschauen und nicht dann, wenn irgendwelche Heinis meinen, das muss jetzt zu dieser dämlichen Uhrzeit ausgestrahlt werden …
Ich bin kein Streamer. Ich bin kein Zeitversetztgucker. Ich bin 1 zu 1 oder Garnichtgucker. Schon im Videozeitalter, eine Art Holozän des Streamings, zeigte sich: Was du zur Ausstrahlung nicht gesehen hast, schaust du auch als Aufzeichnung nicht mehr an. Vielleicht ist es eine Altersfrage (darauf wird bei technischen Neuerungen ja gerne alles reduziert) – aber ich mag die Jederzeitverfügbarkeit nicht, dieses Mäandern bis zum Versickern des Interesses. Hingegen: Verpasst ist verpasst. Abgeschlossene Vorgänge, abgefahrene Züge sind wohltuend. Ich bin ein passionierter Verpasser, der mit der Verbindlichkeit von Fernsehprogrammen und Spielplänen der Theater und Kinos ganz gut gefahren ist. Lieber ein Gängelband mit viel Zug drauf als streamend abhängen.
Okay, zugegeben, ich habe es neulich noch einmal versucht mit dem linearen Fernsehen, also Fernsehgucken nach Programm, zur festen Sendezeit. Es war Feiertag und bei den Sendern tobte die Blockbusterschlacht. Einer meiner Lieblings-Star-Trek-Kinofilme lief – warum also nicht … Nach einer gefühlt halben Ewigkeit also mal wieder pünktlich um 22.15 Uhr vor den Fernseher gesetzt, war fast ein bisschen wie Mini-Kino, irgendwie besonders, jedenfalls nicht alltäglich. Noch schnell den Staub vom Bildschirm gewischt – schließlich dient sonst nur noch das Tablet zum Fernsehen.
Doch dann kam der erste Werbeblock, natürlich an einer total spannenden Stelle, weil Cliffhanger, klar, damit wir schön dran bleiben, klar, Werbung finanziert Privatfernsehen, auch klar, Teil des Deals, aber nach dem fünften Werbeblock (mit saudummem Inhalt) und einer bereits künstlichen Verlängerung des Filme um über 30 Minuten war dann Schluss. Welche Nerven halten das aus? Meine nicht! Nicht mal mit Star Trek.
Dabei sind die Werbeblöcke nicht einmal das Hauptargument gegen lineares Fernsehen, sondern die feste Sendezeit. Besonders Eltern wissen etwa zu schätzen, dass sie per Streaming selbst bestimmen können, wann ihr Film, ihre Serie oder ihre Doku beginnt. Wenn der Nachwuchs mal nicht wie gewünscht einschlafen möchte, muss man nicht mehr auf die Leiche am Anfang verzichten. Dann geht der Tatort ganz einfach etwas später los. Und wer Lust auf mehr Mord und Totschlag hat – sieht sich noch einen von voriger Woche an. Oder gleich alle Folgen einer neuen Serie, ohne eine Woche auf die Fortsetzung warten zu müssen. Kurzum: Wer streamt, ist sein eigener Programmdirektor – und spart Zeit wie Nerven.