Der Ruhm und das Risiko
Er hat Tragödien erlebt auf dem Weg zum Star des Bergsteigens – eine davon ist jetzt im Kino zu sehen. Was bewegt Hans Kammerlander?
Der Film „Manaslu“erzählt nicht nur die Tragödie am namensgebenden Berg, bei dem Sie als Einziger überlebt haben und zwei Ihrer besten Freunde starben. Ihr Leben wird geschildert. Erkennen Sie sich in allen Spielszenen des Filmes weitgehend wieder, vom kleinen Hans bis zum Erwachsenen? Kammerlander: Ja. Vom Kleinen schon. Die Jugendzeit war der schönste Teil der Dreharbeiten. Wenn ich dabei war, ist wirklich die Erinnerung zurückgekommen. Diese Jahre sind ganz gut wiedergegeben. Was die Geschichte auf den hohen Bergen betrifft, so sollen die Bilder einfach helfen, dass auch der Laie versteht, wie es dort oben abgeht. Die Szenen von der ManasluTragödie sind schon hart. Ich habe gesagt, dass sie da richtig loslegen können. Noch schlimmer, als es damals war, als sich da oben in dem brutalen Sturm das Gewitter entladen hat, kann man es auf der Leinwand gar nicht zeigen.
Der Film setzt sich auch durchaus kritisch mit Ihrer Person auseinander. Hat Sie dies Überwindung gekostet oder war Ihre Einstellung: Ganz oder gar nicht?
Kammerlander: Das war für mich klar, als Gerald Salmina mit der Film-Idee auf mich zu kam. Das hat mich natürlich gefreut, es ist etwas Bleibendes. Aber wenn wir so ein Projekt angehen, muss natürlich auch viel Platz für meine Fehler und meine Rückschläge sein. Das muss man freigeben. Wenn man nur Erfolge runterleiert, dann ist ein solches Produkt überhaupt nicht glaubwürdig. Trotzdem machen es die meisten so. Ich wollte völlig offen sein. Man sieht nicht weiß Gott was für Helden. Ich habe auch viele Fehler gemacht. Ich habe ein paar Mal Glück gehabt. Und ich habe wunderbare Augenblicke erleben dürfen, Momente des Glücks. Der Preis, den ich dafür bezahlt habe, war teilweise sehr hoch.
Hat sich die Quelle Ihres Antriebs im Laufe der Jahre verändert? Kammerlander: Ja, schon. Das macht auch das Alter. Ich war 50, als ich meine Tochter in den Armen gehalten habe. Da war mir klar, dass ich jetzt Verantwortung trage. Und auch die Kräfte sind nicht mehr da, um am Limit mitzuhalten. Ich habe angefangen, alles wieder mehr zu genießen. Inzwischen sind meine Reisen viel runder geworden. Wenn ich aufbreche, dann ist der Berg nur ein Teil. Ich erlebe die fremden Kulturen und das ganze Drumherum des Berges viel intensiver. Vorher hätte ich nicht geglaubt, wie schön das ist.
War für den jungen Hans auch der Ruhm eine Triebfeder? Kammerlander: Ja, natürlich. Für mich als Kind waren diese Bergsteiger komplette Helden. Es hat mich immer fasziniert, was die da oben geleistet haben. Ich bin dann nach und nach mit kleinen Erlebnissen da hineingewachsen. An der Seite vom Messner bin ich in das ganze Treiben hineingeraten, in diesen Wettlauf, den ich lange durchgemacht habe. Wenn du dich entscheidest und die Herausforderung des Wettlaufs annimmst, musst du schon sehr konsequent nach vorne gehen. In der Vorbereitung sowieso. Aber du musst immer auch ein hohes Restrisiko in Kauf nehmen. Sonst spielst du sofort in der dritten oder vierten Liga.
Im Film klingt auch an, wie sehr die globale Erwärmung die Gletscher des Manaslu in 26 Jahren verändert hat. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie diese weltweiten Entwicklungen? Kammerlander: Ich sehe es gerade an diesen Bergen, auf denen ich schon vor zwanzig Jahren war und zu denen ich wieder zurückkehre. Das ist schon besorgniserregend. Aber trotz allem: Wenn ich zu Hause vom Tauferer Ahrntal zur Rieserfernerhütte aufsteige, treffe ich dort oberhalb der Waldgrenze auf ganz viele, dicke Baumstümpfe. Das bedeutet, dass vor knapp tausend Jahren die Waldgrenze viel höher war. Also war das Klima wärmer. Diese Schwankungen hat es wahrscheinlich immer gegeben, aber vor vielen Jahren hat man nicht so darauf geachtet. Heute wird das alles gemessen, und die Leute kriegen das präsentiert. Die Informationen gehen viel tiefer raus. Wenn mal irgendwo ein Stück Fels herunterfällt, steht das am nächsten Tag ganz massiv in den Medien, so als ob fast die Welt untergehen würde. Wenn früher mal etwas runtergekommen ist, hat man gesagt: „Du, heut Nacht, da hat’s richtig gekracht. Da ist ’n Stück Fels runter!“Und dann war das Thema vom Tisch. Aber natürlich ist mir die Natur sehr wichtig. Und wir müssen wirklich aufpassen, soweit es in unserer Macht steht. Die Natur gehört uns bekanntlich nicht, sie wurde uns nur geliehen.
Wie steht es um das massive Müllproblem an den viel frequentierten Bergrouten?
Es ist inzwischen besser geworden. Die Auflagen wurden verschärft, es wird besser kontrolliert und das ist mit Strafen verbunden. Es macht mich sehr stolz, dass ich am Everest nicht ein einziges Zündholz zurückgelassen habe. Er ist so geblieben, wie er vor mir war. Aber auch sportlich gesehen ist es eine wahnsinnige Erinnerung. Mein Rekord am Everest steht bis heute. Sie haben ihn allweil nicht geknackt. Ich sage das ganz offen: Ein bisschen stolz macht mich das schon.
Sind Sie ein religiöser oder spiritueller Mensch?
Mich fasziniert der Buddhismus, wenn ich die Menschen beobachte. Ansonsten beziehe ich in dieser Hinsicht keinen sehr großen Rückhalt. Religionen sagen mir eher wenig, weil sie ja von Leuten geschaffen wurden. Wenn jemand durch eine Religion eine Stütze für sich selbst findet, bewundere ich das und freue mich für die betreffende Person.
„Gasherbrum – Der leuchtende Berg, „Cerro Torre: Schrei aus Stein“: Sie sind auch durch die Arbeit mit Werner Herzog wiederholt mit der Welt des Films in Berührung gekommen. Schauen Sie selbst Spielfilme oder ist für Sie die Realität deutlich spannender?
Ich schau mir ab und zu Filme an, aber nicht so viel. Ich erlebe ja vieles selber. Bei den meisten Filmen, in denen es um ein Porträt geht, habe ich irgendetwas vermisst. Ich habe nur von Erfolgen, Erfolgen, Erfolgen gehört. Dann möchte ich gern fragen, ob diese Leute nie Fehler gemacht haben…
Reinhold Messner hat sich auch anderen Projekten gewidmet, etwa den Polen und der Durchquerung der Gobi. Hat Sie das nie gereizt?
Ich war schon am Nordpol. Aber der Berg hat mich viel mehr gereizt. Du gehst zum Nordpol mit dem Schlitten hintendran und irgendwann bist du dort und an einem Punkt wie die ganzen Tage zuvor auch. Einfach nur Fläche, weit, eben. Ich muss sagen, dass mich das nicht so gereizt hat. Wenn du am Gipfel eines Berges ankommst, hast du ein Ziel erreicht. Das empfinde ich bei diesen Eisdurchquerungen nicht so. Das wird nicht meine Zukunft sein. Da fehlt mir der Kick. Das ist mir ein bisschen zu langweilig, ehrlich gesagt.