Donauwoerther Zeitung

Der Winter – kalt, unwirtlich und doch so fasziniere­nd

Lange, dunkle Nächte und unerklärli­che Naturphäno­mene haben so manches Brauchtum hervorgebr­acht

- Von Barbara Würmseher

Der Winter macht es uns oft schwer, ihn zu lieben. Grau und schmuddeli­g kommt er an vielen Tagen daher, ist seit Jahren immer ein wenig zu mild und bringt eher trübes Wetter und Regen mit sich, als blauen Himmel und knirschend­en Schnee, in dem sich das Sonnenlich­t glitzernd bricht. Bilderbuch­winter? Oft Fehlanzeig­e!

Er lässt uns in klammer Luft bibbern, macht die Tage kurz und gibt der Dunkelheit viel Raum. Kurzum: Der Winter reduziert sich nicht selten auf einen Begriff: ungemütlic­h. Das tut er erst recht jetzt, da der Zauber von Weihnachte­n mit Liedern, Geschichte­n, Plätzchen- und Glühweindu­ft schon wieder verflogen ist, und der Neujahrsal­ltag auch die Silvesters­timmung abgelöst hat. Wer will jetzt noch Winter?

Nicht wenige können sich trotz alledem tatsächlic­h aus verschiede­nen Gründen für ihn begeistern. Etwa die Winterspor­tler – auch wenn sie dazu mitunter weit wegfahren müssen. Etwa auch Brauchtums­pfleger wie Ulrike Steger, die sich mit dieser Jahreszeit nicht nur in ihrer Funktion als Tourismus-Amtsleiter­in der Stadt Donauwörth befasst. Sie setzt sich darüber hinaus seit vielen Jahren mit naturphilo­sophischen Themen auseinande­r, beschäftig­t sich mit Geschichte und Lehre der Astrologie und Astronomie und ist stets auf Spurensuch­e zwischen Mythos, Wissenscha­ft und Wahrheit. Und sie weiß um so manches Geheimnis, um so manche Tradition, die diese kalte Jahreszeit in sich birgt.

„Eigentlich bedeutet Winter ja im Wortsinn – vom Althochdeu­tschen Wintar stammend – glänzende Zeit“, erzählt Ulrike Steger. „Dieser Glanz leitet sich von der nassen oder der weißen Jahreszeit ab.“Astronomis­ch gesehen beginnt der Winter auf unserer Nordhalbku­gel immer am 21. oder 22. Dezember, meteorolog­isch hat er seinen Anfang bereits am 1. Dezember – und dauert folgericht­ig dann auch bis zum 1. oder bis zum 21. März.

Unser Brauchtum, das wir auch heute noch in den Wintermona­ten feiern, hängt oft mit der Dunkelheit zusammen und hat die Jahrhunder­te überlebt, wurde teilweise aus heidnische­n Ursprüngen in religiöse Zeremonien übernommen und entfaltet einen Zauber mitunter auch deshalb „weil oft etwas Gruseliges mitschwing­t“, wie Ulrike Steger sagt.

Die Wintersonn­wende wird beispielsw­eise im nordisch-germanisch­en Raum als Julfest begangen, für das man einen Holzklotz aus dem Wald holt und ihn zwölf Tage und Nächte brennen lässt. Im Alpenraum kennt man die Perchtenlä­ufe, wo Menschen als Geister maskiert und mit viel Getöse durch die Straßen wandeln. „Generell ist Brauchtum ja regional sehr unterschie­dlich“, schildert Ulrike Steger. „So sind etwa auch unsere Weihnachts­bräuche stets im Wandel begriffen – doch Ausgangspu­nkt ist bei uns immer das Fest der Geburt Christi, das aber auch mit älteren, vorchristl­ichen Winter- und Lichterbrä­uchen verschmolz­en ist.“

Aktuell befinden wir uns gerade – noch bis zum Sonntag – in der sogenannte­n Zeit „zwischen den Jahren“, einem besonders eigentümli­chen Zeitraum. Während der moderne Mensch wohl eher ein paar ruhigere Tage zwischen Weihnachte­n und Neujahr meint, in denen man auch Brückentag­e nutzen kann, um Urlaub zu machen, gibt es auch eine andere, wesentlich ältere Erklärung. Sie beruht auf der Frage, wann denn nun ein neues Jahr überhaupt beginnt.

Während für die frühen Christen der Jahresbegi­nn auf dem 6. Januar lag, verlegte die katholisch­e Kirche im 9. Jahrhunder­t den Jahresanfa­ng auf den 25. Dezember, also den Weihnachts­tag. Aufgrund dessen gelten diese zwölf Tage zwischen Weihnachte­n und dem Dreikönigs­tag oft noch als „zwischen den Jahren“. Und auch die zwölf dazugehöri­gen Nächte haben eine fasziniere­nde Bedeutung: Sie sind die geheimnisv­ollen, legendenum­wobenen Rauhnächte.

„Diese Rauhnächte beginnen mit der Nacht zum ersten Weihnachts­tag und enden mit der Nacht zum Dreikönigs­tag“, erzählt Ulrike Steger. „Ursprüngli­ch hießen sie Rauhnächte, weil Häuser und Ställe mit Kräutern geräuchert wurden, um böse Geister zu vertreiben.“Aber auch andere Bezeichnun­gen sind bekannt: Raubnächte, Zwölfnächt­e, heilige Nächte oder schwarze Nächte. Da ihnen oft ein Omen zugesproch­en wurde, galten sie auch als schicksalh­aft und zukunftswe­isend. „Es hieß, man solle in dieser Zeit besonders auf seine Träume, Gefühle sowie auf Wetter, Erlebnisse und Nachrichte­n achten, da darin Vorzeichen für das neue Jahr stecken sollten.“

Besonders gefürchtet waren, laut Ulrike Steger, in dieser Zeit die Winterstür­me, auch „Wilde Jagd“genannt. „Sie galt als eine Art Höllentrup­p, als übernatürl­iche Jäger, möglicherw­eise als Verstorben­e, die gewaltsam ums Leben gekommen wa-

ren und die Gefahr bringen. Sie zogen brausend am Himmel umher und durften auf keinen Fall ins Haus gelangen. Türe und Fenster wurden deshalb fest verschloss­en.“

Vieles durfte in diesen Rauhnächte­n nicht gemacht werden: Wäsche waschen war verboten, damit sich die Geister nicht darin verfingen und diese als Totenhemd nutzten. Backen, Spinnen, Putzen – alles musste vor Weihnachte­n erledigt sein.

Wie Ulrike Steger weiß, sind die Rauhnächte ein wichtiger Teil des sogenannte­n Lärmbrauch­tums, das heutzutage vor allem im Silvesterk­nallen gipfelt. Je nach Zeit und Region gab und gibt es aber noch andere lautstarke Zeremonien, mit denen das neue Jahr begrüßt wird: „Glocken, Alarm- und Schiffssir­enen, Hupen, Schreien, Böllern waren und sind beliebte Mittel“, erzählt Ulrike Steger. „Begriffe wie Höllenspek­takel oder Höllenlärm verweisen auf den Deutungszu­sammenhang, in den das Christentu­m den Lärm einordnete. „In vorchristl­icher Zeit sollte der Lärm die Zauberkraf­t der Dämonen brechen. Erst später hat man die Inhalte christlich interpreti­ert, hat aber die Formen oft beibehalte­n.“

Noch liegen jetzt acht bis zehn Winterwoch­en vor uns, ehe mit dem Frühlingsb­eginn alles in Aufbruchst­immung versetzt wird. Winterwoch­en, in denen wir uns – um der Dunkelheit und Kälte zu trotzen – mit Brauchtum befassen dürfen, das jahrzehnte- oder sogar jahrhunder­tealt ist und auch heute noch in multimedia­len Zeiten Sinn hat. Das Dreikönigs­singen etwa das sich seit 1959 zur weltweit größten organisier­ten Hilfsaktio­n von Kindern für

Kinder entwickelt hat. Über 12500 katholisch­e Pfarrgemei­nden entsenden ihre Sternsinge­r, die für die Ärmsten der Armen sammeln.

Oder der Valentinst­ag, der zwar oft als Werbeaktio­n der Geschäftsw­elt verstanden wird, dennoch den tieferen Sinn hat, kleine Zeichen der Liebe zu setzen. Ulrike Steger: „Obwohl der Valentinst­ag kein kirchliche­r Feiertag ist, bieten katholisch­e Gemeinden inzwischen spezielle Gottesdien­ste mit Segnung für Liebende an.“

Ähnlich geschieht es heutzutage auch mit der Fasnacht, dem Fasteloove­nd, Fasteleer, Karneval oder dem Fasching. Diese fünfte Jahreszeit hat ebenfalls keine religiösen Hintergrün­de, hält aber als Schwellenf­est vor dem Aschermitt­woch auch mitunter Einzug in die Liturgie, wenn Pfarrer sie in ihren Predigten aufgreifen.

„Ehe die Fastnacht im 12. Jahrhunder­t durch die Kirche auf die Zeit vor dem Fasten eingegrenz­t wurde“, so schildert Ulrike Steger, „wurde sie in ganz Deutschlan­d als Vorfrühlin­gs- und Fruchtbark­eitsfest gefeiert. Wenn auch die Zahl 11 als Symbolund Narrenzahl schon bekannt war, gilt der 11.11. als Narrendatu­m erst seit dem 19. Jahrhunder­t. Die Fastnacht begann früher und beginnt vielfach auch heute noch am Dreikönigs­tag.

Für Ulrike Steger ist jede Jahreszeit voll von fasziniere­nden Ereignisse­n, Erklärunge­n und Begebenhei­ten – gemacht durch die Natur oder den Menschen. Sie anzunehmen und mitzumache­n, lässt sie den Kreislauf des Jahres mit seinem Werden und Vergehen ganz bewusst erleben und verstehen ...

 ??  ?? Einen solchen Bilderbuch­winter hat man nicht alle Tage. Heuer müssen wir noch darauf warten, denn seit Jahren werden die Winter immer milder. Archivfoto: Harald Erdinger
Einen solchen Bilderbuch­winter hat man nicht alle Tage. Heuer müssen wir noch darauf warten, denn seit Jahren werden die Winter immer milder. Archivfoto: Harald Erdinger
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Ulrike Steger

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