Der Winter – kalt, unwirtlich und doch so faszinierend
Lange, dunkle Nächte und unerklärliche Naturphänomene haben so manches Brauchtum hervorgebracht
Der Winter macht es uns oft schwer, ihn zu lieben. Grau und schmuddelig kommt er an vielen Tagen daher, ist seit Jahren immer ein wenig zu mild und bringt eher trübes Wetter und Regen mit sich, als blauen Himmel und knirschenden Schnee, in dem sich das Sonnenlicht glitzernd bricht. Bilderbuchwinter? Oft Fehlanzeige!
Er lässt uns in klammer Luft bibbern, macht die Tage kurz und gibt der Dunkelheit viel Raum. Kurzum: Der Winter reduziert sich nicht selten auf einen Begriff: ungemütlich. Das tut er erst recht jetzt, da der Zauber von Weihnachten mit Liedern, Geschichten, Plätzchen- und Glühweinduft schon wieder verflogen ist, und der Neujahrsalltag auch die Silvesterstimmung abgelöst hat. Wer will jetzt noch Winter?
Nicht wenige können sich trotz alledem tatsächlich aus verschiedenen Gründen für ihn begeistern. Etwa die Wintersportler – auch wenn sie dazu mitunter weit wegfahren müssen. Etwa auch Brauchtumspfleger wie Ulrike Steger, die sich mit dieser Jahreszeit nicht nur in ihrer Funktion als Tourismus-Amtsleiterin der Stadt Donauwörth befasst. Sie setzt sich darüber hinaus seit vielen Jahren mit naturphilosophischen Themen auseinander, beschäftigt sich mit Geschichte und Lehre der Astrologie und Astronomie und ist stets auf Spurensuche zwischen Mythos, Wissenschaft und Wahrheit. Und sie weiß um so manches Geheimnis, um so manche Tradition, die diese kalte Jahreszeit in sich birgt.
„Eigentlich bedeutet Winter ja im Wortsinn – vom Althochdeutschen Wintar stammend – glänzende Zeit“, erzählt Ulrike Steger. „Dieser Glanz leitet sich von der nassen oder der weißen Jahreszeit ab.“Astronomisch gesehen beginnt der Winter auf unserer Nordhalbkugel immer am 21. oder 22. Dezember, meteorologisch hat er seinen Anfang bereits am 1. Dezember – und dauert folgerichtig dann auch bis zum 1. oder bis zum 21. März.
Unser Brauchtum, das wir auch heute noch in den Wintermonaten feiern, hängt oft mit der Dunkelheit zusammen und hat die Jahrhunderte überlebt, wurde teilweise aus heidnischen Ursprüngen in religiöse Zeremonien übernommen und entfaltet einen Zauber mitunter auch deshalb „weil oft etwas Gruseliges mitschwingt“, wie Ulrike Steger sagt.
Die Wintersonnwende wird beispielsweise im nordisch-germanischen Raum als Julfest begangen, für das man einen Holzklotz aus dem Wald holt und ihn zwölf Tage und Nächte brennen lässt. Im Alpenraum kennt man die Perchtenläufe, wo Menschen als Geister maskiert und mit viel Getöse durch die Straßen wandeln. „Generell ist Brauchtum ja regional sehr unterschiedlich“, schildert Ulrike Steger. „So sind etwa auch unsere Weihnachtsbräuche stets im Wandel begriffen – doch Ausgangspunkt ist bei uns immer das Fest der Geburt Christi, das aber auch mit älteren, vorchristlichen Winter- und Lichterbräuchen verschmolzen ist.“
Aktuell befinden wir uns gerade – noch bis zum Sonntag – in der sogenannten Zeit „zwischen den Jahren“, einem besonders eigentümlichen Zeitraum. Während der moderne Mensch wohl eher ein paar ruhigere Tage zwischen Weihnachten und Neujahr meint, in denen man auch Brückentage nutzen kann, um Urlaub zu machen, gibt es auch eine andere, wesentlich ältere Erklärung. Sie beruht auf der Frage, wann denn nun ein neues Jahr überhaupt beginnt.
Während für die frühen Christen der Jahresbeginn auf dem 6. Januar lag, verlegte die katholische Kirche im 9. Jahrhundert den Jahresanfang auf den 25. Dezember, also den Weihnachtstag. Aufgrund dessen gelten diese zwölf Tage zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag oft noch als „zwischen den Jahren“. Und auch die zwölf dazugehörigen Nächte haben eine faszinierende Bedeutung: Sie sind die geheimnisvollen, legendenumwobenen Rauhnächte.
„Diese Rauhnächte beginnen mit der Nacht zum ersten Weihnachtstag und enden mit der Nacht zum Dreikönigstag“, erzählt Ulrike Steger. „Ursprünglich hießen sie Rauhnächte, weil Häuser und Ställe mit Kräutern geräuchert wurden, um böse Geister zu vertreiben.“Aber auch andere Bezeichnungen sind bekannt: Raubnächte, Zwölfnächte, heilige Nächte oder schwarze Nächte. Da ihnen oft ein Omen zugesprochen wurde, galten sie auch als schicksalhaft und zukunftsweisend. „Es hieß, man solle in dieser Zeit besonders auf seine Träume, Gefühle sowie auf Wetter, Erlebnisse und Nachrichten achten, da darin Vorzeichen für das neue Jahr stecken sollten.“
Besonders gefürchtet waren, laut Ulrike Steger, in dieser Zeit die Winterstürme, auch „Wilde Jagd“genannt. „Sie galt als eine Art Höllentrupp, als übernatürliche Jäger, möglicherweise als Verstorbene, die gewaltsam ums Leben gekommen wa-
ren und die Gefahr bringen. Sie zogen brausend am Himmel umher und durften auf keinen Fall ins Haus gelangen. Türe und Fenster wurden deshalb fest verschlossen.“
Vieles durfte in diesen Rauhnächten nicht gemacht werden: Wäsche waschen war verboten, damit sich die Geister nicht darin verfingen und diese als Totenhemd nutzten. Backen, Spinnen, Putzen – alles musste vor Weihnachten erledigt sein.
Wie Ulrike Steger weiß, sind die Rauhnächte ein wichtiger Teil des sogenannten Lärmbrauchtums, das heutzutage vor allem im Silvesterknallen gipfelt. Je nach Zeit und Region gab und gibt es aber noch andere lautstarke Zeremonien, mit denen das neue Jahr begrüßt wird: „Glocken, Alarm- und Schiffssirenen, Hupen, Schreien, Böllern waren und sind beliebte Mittel“, erzählt Ulrike Steger. „Begriffe wie Höllenspektakel oder Höllenlärm verweisen auf den Deutungszusammenhang, in den das Christentum den Lärm einordnete. „In vorchristlicher Zeit sollte der Lärm die Zauberkraft der Dämonen brechen. Erst später hat man die Inhalte christlich interpretiert, hat aber die Formen oft beibehalten.“
Noch liegen jetzt acht bis zehn Winterwochen vor uns, ehe mit dem Frühlingsbeginn alles in Aufbruchstimmung versetzt wird. Winterwochen, in denen wir uns – um der Dunkelheit und Kälte zu trotzen – mit Brauchtum befassen dürfen, das jahrzehnte- oder sogar jahrhundertealt ist und auch heute noch in multimedialen Zeiten Sinn hat. Das Dreikönigssingen etwa das sich seit 1959 zur weltweit größten organisierten Hilfsaktion von Kindern für
Kinder entwickelt hat. Über 12500 katholische Pfarrgemeinden entsenden ihre Sternsinger, die für die Ärmsten der Armen sammeln.
Oder der Valentinstag, der zwar oft als Werbeaktion der Geschäftswelt verstanden wird, dennoch den tieferen Sinn hat, kleine Zeichen der Liebe zu setzen. Ulrike Steger: „Obwohl der Valentinstag kein kirchlicher Feiertag ist, bieten katholische Gemeinden inzwischen spezielle Gottesdienste mit Segnung für Liebende an.“
Ähnlich geschieht es heutzutage auch mit der Fasnacht, dem Fasteloovend, Fasteleer, Karneval oder dem Fasching. Diese fünfte Jahreszeit hat ebenfalls keine religiösen Hintergründe, hält aber als Schwellenfest vor dem Aschermittwoch auch mitunter Einzug in die Liturgie, wenn Pfarrer sie in ihren Predigten aufgreifen.
„Ehe die Fastnacht im 12. Jahrhundert durch die Kirche auf die Zeit vor dem Fasten eingegrenzt wurde“, so schildert Ulrike Steger, „wurde sie in ganz Deutschland als Vorfrühlings- und Fruchtbarkeitsfest gefeiert. Wenn auch die Zahl 11 als Symbolund Narrenzahl schon bekannt war, gilt der 11.11. als Narrendatum erst seit dem 19. Jahrhundert. Die Fastnacht begann früher und beginnt vielfach auch heute noch am Dreikönigstag.
Für Ulrike Steger ist jede Jahreszeit voll von faszinierenden Ereignissen, Erklärungen und Begebenheiten – gemacht durch die Natur oder den Menschen. Sie anzunehmen und mitzumachen, lässt sie den Kreislauf des Jahres mit seinem Werden und Vergehen ganz bewusst erleben und verstehen ...