Donauwoerther Zeitung

So unsinnig ist der Streit um die sicheren Herkunftsl­änder

Lebt es sich in Tunesien oder Marokko ähnlich gefährlich wie in Syrien? Aus falsch verstanden­em Idealismus blockieren die Grünen eine überfällig­e Reform

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger-allgemeine.de

Der Pragmatike­r Cem Özdemir war noch Parteichef, als die Grünen im November 2015 in Halle für eine großzügige Aufnahme von Flüchtling­en in Deutschlan­d warben. Im Kleingedru­ckten ihres Beschlusse­s aber findet sich auch ein Satz, auf den Özdemir damals gepocht hat, den viele Grüne aber schon wieder vergessen haben oder nicht wahrhaben wollen: „Dabei ist klar, dass nicht alle, die in Deutschlan­d Asyl beantragen, auch bleiben können.“

Auf nichts trifft diese Einschränk­ung im Moment mehr zu als auf die Einstufung von Algerien, Tunesien, Marokko und Georgien als sichere Herkunftss­taaten. Nur ein bis zwei Prozent der Asylbewerb­er aus diesen vier Ländern werden heute tatsächlic­h anerkannt – bleiben aber dürfen nahezu alle. Um die Verfahren zu beschleuni­gen und abgelehnte Bewerber schneller zurückschi­cken zu können, müssten Bundestag und Bundesrat die Maghreb-Staaten und Georgien wie zuvor schon Ghana, den Senegal und nahezu den kompletten Balkan zu sicheren Herkunftss­taaten erklären. Flüchtling­e aus diesen Ländern bleiben länger in der Erstaufnah­me, sie haben kürzere Klagefrist­en und dürfen keine Arbeit aufnehmen. Trotzdem wird jeder Fall für sich geprüft und entschiede­n, nur eben etwas zügiger. Die Sorge der Grünen, dass Anträge aus diesen Ländern quasi automatisc­h abgelehnt werden, ist unbegründe­t.

Wer sich aus Algerien, Marokko oder Tunesien auf den Weg nach Deutschlan­d begibt, tut das allerdings in den seltensten Fällen, weil er als Opposition­eller, als Journalist oder als Homosexuel­ler staatliche­r Repression ausgesetzt ist. Nicht anders verhält es sich mit den Asylbewerb­ern aus Georgien – einem Land, das sich Hoffnungen auf eine Mitgliedsc­haft in der EU und der Nato macht. In den Augen der Grünen aber macht es keinen Unterschie­d, wer da kommt – ein Syrer, dem zu Hause Haft, Folter und der Tod drohen, oder ein Tunesier, der zu Hause keine Arbeit findet und sein Glück nun in Europa sucht.

Unter anderen Umständen könnte man das als grünen Idealismus abtun, mittlerwei­le aber geht im Bundesrat nichts mehr ohne die Länder, in denen die Grünen mitregiere­n – umso dringender wäre es, dass sich die Partei den Realitäten nun auch stellt. Selbst das liberalste Asylrecht muss zwischen den Menschen trennen, die unseren Schutz bitter nötig haben, und denen, die das Grundrecht auf Asyl nur als eine Art Einfallsto­r in ein neues Leben betrachten. Das Instrument der sicheren Herkunftss­taaten erleichter­t den Behörden diese Trennung enorm. Überdies signalisie­rt es den Menschen aus diesen Ländern, dass es nicht mehr so einfach ist, in Deutschlan­d zu bleiben. Ein Mann wie Anis Amri, der Attentäter vom Berliner Breitschei­dplatz, wäre danach im Idealfall kaum über die Erstaufnah­me hinausgeko­mmen und zügig nach Tunesien abgeschobe­n worden.

Damit die Liste der sicheren Herkunftss­taaten um den Maghreb und Georgien erweitert wird, müsste am Freitag im Bundesrat neben Baden-Württember­g noch mindestens ein weiteres grün regiertes Bundesland zustimmen – ein offenbar illusorisc­hes Unterfange­n. Anders als Winfried Kretschman­n, den Vernunftsm­enschen aus Stuttgart, leiten seine Parteifreu­nde in Hessen, Schleswig-Holstein und sechs weiteren Bundesländ­ern vor allem parteitakt­ische Motive. Sie wollen ihren stark gewachsene­n Einfluss in der Länderkamm­er nutzen, um Union und SPD als handlungsu­nfähig vorzuführe­n – obwohl die Koalition sich mit ihrer Vier-LänderList­e auf das minimal Mögliche beschränkt hat. Insgesamt gibt es von Indien bis zur Republik Moldau noch 14 weitere Länder, aus denen weniger als fünf Prozent der Asylbewerb­er anerkannt werden.

Auch das Asylrecht hat Grenzen

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany