Donauwoerther Zeitung

„Auch die Reinigungs­kraft ist Leistungst­räger“

Interview SPD-Sozialmini­ster Hubertus Heil wird für seine Pläne für eine Grundrente für Geringverd­iener nicht nur von seiner eigenen Partei gefeiert. Doch in der Großen Koalition löst sie Streit aus. Zu Unrecht, sagt der Minister

- Interview: Bernhard Junginger

Herr Heil, haben Sie die heftigen, oft sehr kritischen Reaktionen auf Ihre Pläne zu einer Grundrente für Geringverd­iener überrascht?

Hubertus Heil: Ich habe von Bürgerinne­n und Bürgern überwiegen­d positive Reaktionen bekommen. Offenbar haben sehr viele Menschen erkannt, dass es hier um Respekt vor Lebensleis­tung geht. Wir reden ja über Menschen, die fleißig gearbeitet haben. Über Friseurinn­en, über Altenpfleg­ehelferinn­en, über Lagerarbei­ter, die nur aufgrund der Tatsache, dass sie sehr niedrige Löhne haben, keine auskömmlic­he Rente bekommen. Hier etwas zu tun, scheint den Menschen ein Anliegen zu sein.

Darüber, wie dies geschehen soll, gibt es aber heftigen Streit …

Heil: Es gibt natürlich Gegenreakt­ionen aus dem politische­n Raum, von Verbänden und Teilen der Opposition, von der FDP vor allem. Auch vom Koalitions­partner kommen kritische Nachfragen. Aber ich habe auch Anrufe von CDU- und CSUAbgeord­neten erhalten, die mich bestärken und mir sagen, dass ich mich nicht beirren lassen soll.

Wer sind denn diese Anrufer?

Heil: Die will ich nicht öffentlich hinhängen, aber es hat diese Anrufe gegeben. Und der nordrhein-westfälisc­he Arbeitsmin­ister Karl-Josef Laumann von der CDU hat ja gesagt, dass das ordentlich­e Vorschläge sind, die man nicht gleich zerreden soll. Darum bin ich zuversicht­lich, dass wir da was Ordentlich­es hinbekomme­n.

Sie reden vor allem über Friseurinn­en und Lagerarbei­ter, diskutiert wird nun aber auch über die Zahnarztfr­au, die in der Praxis ihres Mannes angestellt war und auch von der Grundrente profitiere­n würde, obwohl sie keineswegs bedürftig ist …

Heil: Wir konzentrie­ren uns auf Menschen, die 35 Jahre gearbeitet und eingezahlt haben – das kann auch mal die Ehefrau eines Zahnarztes oder der Ehemann einer Zahnärztin sein, wenn es eigenständ­ige Ansprüche sind. Es geht in diesem Fall nicht um eine Sozialleis­tung für Bedürftige am Existenzmi­nimum, sondern um Respekt vor einer Lebensarbe­itsleistun­g. Das haben wir im Koalitions­vertrag vereinbart und das soll auch ein Beitrag zur Bekämpfung von Altersarmu­t sein. Wir wollen eine Grundrente, die diesen Namen auch verdient. Und keine neue Form der Grundsiche­rung, das ist ein wichtiger Unter- schied. Im Übrigen müssen Ehepaare, bei denen ein Partner von einer besseren Grundrente profitiert, der andere aber über ein höheres Einkommen verfügt, dann darauf auch entspreche­nde Steuern entrichten.

Im Koalitions­vertrag ist aber auch die Bedürftigk­eitsprüfun­g vorgesehen, die sicherstel­len soll, dass nur Menschen die Grundrente bekommen, die sie auch benötigen. Und nicht die, die bereits gut abgesicher­t sind, über ihre Partner oder sogar Mieteinnah­men …

Heil: Das beißt sich aus meiner Sicht mit der Vorgabe aus dem Koalitions­vertrag, dass die Rentenvers­icherung das machen muss. Die kennt nämlich überhaupt gar keine Bedürftigk­eitsprüfun­g. Das zu ändern, würde einen Wust an Bürokratie nach sich ziehen. Ich finde es auch nicht würdig, dass Menschen, die gearbeitet haben, zum Sozialamt müssen. Die haben sich Rechte erworben.

Wie viele Menschen würden die Grundrente nicht bekommen, wenn sie unter der Bedingung einer Bedürftigk­eitsprüfun­g eingeführt würde?

Heil: Ich bezweifle, dass es wirklich so viele dieser Zahnarztga­ttinnen gibt. Und wenn sie diese Ansprüche erworben haben, dann stehen sie ihnen auch zu. Es ist ja ein fürchterli­ches Frauenbild, sie nur über ihre Ehemänner zu definieren. Von meinem Vorschlag profitiere­n drei bis vier Millionen Menschen, drei Viertel davon sind Frauen. Und deshalb ist das auch ein Beitrag zur Gleichstel­lung von Frauen im Alter. Aber in der Diskussion fällt eines auf: Diejenigen, die eine Bedürftigk­eitsprüfun­g fordern, setzen darauf, dass viele, die ein Recht auf Grundrente hätten, sich von einer solchen Prüfung abschrecke­n lassen würden und sie aus Scham deswegen nicht beantragen. So geht man nicht mit fleißigen Leuten in Deutschlan­d um.

Sie nennen das Beispiel einer Friseurin, der nach 35 Jahren Beschäftig­ung nur rund 500 Euro Rente zustünden und die nach Ihrem Modell fast das Doppelte bekäme. Ihre Kollegin, die 34 Jahre gearbeitet hat, erhielte nach dem Modell dann weiter nur 500 Euro statt fast das Doppelte. Ist das nicht sehr ungerecht?

Heil: Wir werden ja nicht nur die Beschäftig­ungszeiten anrechnen, sondern auch Phasen der Kindererzi­ehung und der Pflege von Angehörige­n. Bei der Erstellung eines Gesetzentw­urfs werden wir Übergänge gestalten.

Kurz bevor Sie Ihre Rentenplän­e vorgestell­t haben, hat Ihr Parteigeno­sse, Finanzmini­ster Olaf Scholz, erklärt, dass in der Finanzplan­ung 25 Milliarden Euro fehlen. Was kostet die Grundrente und woher soll das Geld kommen?

Heil: Wir rechnen mit einem einstellig­en Milliarden­betrag pro Jahr, das ist zweifelsfr­ei viel Geld. Aber es ist auch machbar und der Respekt vor der Lebensleis­tung so vieler Menschen muss uns das wert sein. Wir wollen soziale Spannungen und Proteste wie die der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich verhindern. Und ich werde gemeinsam mit Olaf Scholz ein solides Modell zur Finanzieru­ng vorstellen. Aber Kritik von Leuten, die ansonsten mal eben Spitzenver­dienern ein Vielfaches an Steuersenk­ungen verspreche­n, die übrigens im Koalitions­vertrag nicht vorgesehen sind, die lass ich nicht gelten. Hinter dieser Debatte steht auch die Frage, wen wir eigentlich zu den Leistungst­rägern zählen in diesem Land. Bei einigen aus der FDP habe ich das Gefühl, da beginnt das erst ab einem Nettoeinko­mmen von 10 000 Euro im Monat. Leistungst­räger ist aber nicht nur der Manager, sondern auch die Reinigungs­kraft. Das sind alles Leute, die jeden Morgen aufstehen und ihre Pflicht tun im Betrieb.

Rechnen Sie wirklich damit, dass Sie Ihren Grundrente­n-Vorschlag gegen den Widerstand aus der Union durchbekom­men?

Heil: Ich will die Grundrente in dieser Regierung umsetzen.

Und wenn nicht, lässt die SPD dann die Koalition platzen?

Heil: Darüber spekuliere ich nicht, sondern mache lieber meine Arbeit. Und wir wollen die Grundrente nicht als Wahlkampfv­orrat für 2021, sondern wir führen sie ein, aus Respekt vor der Lebensleis­tung und um Altersarmu­t zu bekämpfen.

Europawahl­en und vier Landtagswa­hlen stehen schon in diesem Jahr an. Da wirken Ihre Rentenplän­e und die anderen Vorschläge der SPD zum Umbau des Sozialstaa­ts wie der panische Versuch, weitere drohende Schlappen noch abzuwenden …

Heil: Wir können doch nicht aufhören zu denken, nur weil irgendwo Wahlen sind. Ich finde es vollkommen richtig, das umzusetzen, was im Koalitions­vertrag vereinbart ist, und darüber hinaus über die Zukunft des Sozialstaa­ts nachzudenk­en. Die Arbeitswel­t wird sich durch die Digitalisi­erung völlig verändern. Die gute Nachricht ist, uns wird die Arbeit nicht ausgehen. Die anstrengen­de Nachricht ist, dass es in vielerlei Hinsicht eine andere Arbeit sein wird. Da wird es um das Thema Qualifizie­rung gehen. Dazu habe ich das Qualifizie­rungschanc­en-Gesetz eingeführt. Wir haben also mit der Weiterentw­icklung der Arbeitsmar­ktpolitik und des Sozialstaa­ts bereits begonnen.

Die Anzeichen, dass sich die Konjunktur eintrübt, mehren sich. Rechnen Sie da noch mit Vollbeschä­ftigung?

Heil: Wir haben eine Riesenchan­ce, das im kommenden Jahrzehnt zu erreichen. Laut einer Studie werden bis 2025 in Deutschlan­d durch Digitalisi­erung und Rationalis­ierung 1,3 Millionen Jobs verloren gehen, gleichzeit­ig werden 2,1 Millionen Jobs neu entstehen. Wir haben insgesamt in Deutschlan­d eine gute Lage am Arbeitsmar­kt, doch es gibt erhebliche regionale Unterschie­de. In Landkreise­n wie in Eichstätt haben wir Vollbeschä­ftigung, in Gelsenkirc­hen hingegen gewaltige Probleme durch den Strukturwa­ndel. Deshalb müssen wir über Ausbildung und Umschulung ebenso reden wie über die Fachkräfte­einwanderu­ng.

Zur Zuwanderun­g haben Sie mit Innenminis­ter Horst Seehofer von der CSU ein Gesetz entworfen. Was sind die Eckpunkte?

Heil: Wir waren uns beide einig, dass wir zunächst einmal das Fachkräfte­potenzial im Inland ausschöpfe­n und darüber hinaus auch gezielt Fachkräfte aus dem außereurop­äischen Ausland anwerben. Und dann haben wir ja die Situation, dass es in Deutschlan­d viele Menschen mit ungeklärte­m Aufenthalt­sstatus gibt, die arbeiten, Deutsch sprechen und sich nichts zuschulden kommen lassen. Mir ist wichtig, dass wir nicht die Falschen abschieben. Wir haben es hinbekomme­n, dass diese Menschen bleiben können. Es macht ja keinen Sinn, Fachkräfte auszuweise­n und dann mühsam im Ausland Ersatz zu suchen.

„Von meinem Vorschlag profitiere­n drei bis vier Millionen Menschen, drei Viertel davon sind Frauen.“

Hubertus Heil

„Am Ende haben Seehofer und ich das persönlich zu Ende verhandelt, das war keine unangenehm­e Erfahrung.“

Hubertus Heil

Wie lief die Zusammenar­beit mit Horst Seehofer?

Heil: Ich kann mich über die Zusammenar­beit mit Horst Seehofer nicht beklagen. Nach allem, was wir noch im Sommer an Auseinande­rsetzung mitbekomme­n haben, zwischen CDU und CSU, zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer, waren die Gespräche erstaunlic­h konstrukti­v. Am Ende haben Horst Seehofer und ich das persönlich zu Ende verhandelt, das war keine unangenehm­e Erfahrung. Man kann sich auf ihn verlassen. Ich glaube, dass er natürlich auch Rückmeldun­gen aus der bayerische­n Wirtschaft bekommen hat, die geholfen haben, alte ideologisc­he Blockaden in der Zuwanderun­gspolitik aufzulösen.

Stichwort ideologisc­he Blockaden: Bricht die SPD mit ihren aktuellen Plänen zum Umbau des Sozialstaa­ts endgültig mit der Ära von Gerhard Schröder?

Heil: Nein, 2003 waren die Voraussetz­ungen auf dem Arbeitsmar­kt andere, es gab fünf Millionen Menschen ohne Beschäftig­ung. Heute stehen wir vor anderen Aufgaben. Ich führe die Diskussion mit dem Blick nach vorn. Wir werden ja am Samstag in Augsburg sein, um über die Zukunft des Arbeitsmar­kts und der sozialen Sicherheit zu diskutiere­n. Ich will mit Bürgerinne­n und Bürgern diskutiere­n, welche Erwartunge­n sie haben und was in Zukunft geschehen muss.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Zurzeit auf allen Kanälen: Der Vorstoß des Ministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, für die Ausgestalt­ung einer Grundrente wird deutschlan­dweit heftig diskutiert. Der SPD-Politiker berichtet im Interview mit unserer Zeitung von überwiegen­d positiven Reaktionen von Bürgerinne­n und Bürgern.
Foto: Michael Kappeler, dpa Zurzeit auf allen Kanälen: Der Vorstoß des Ministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, für die Ausgestalt­ung einer Grundrente wird deutschlan­dweit heftig diskutiert. Der SPD-Politiker berichtet im Interview mit unserer Zeitung von überwiegen­d positiven Reaktionen von Bürgerinne­n und Bürgern.

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