Donauwoerther Zeitung

Wenn das Volk mehr Demokratie wagen will

Hintergrun­d In den Streit, ob es auch auf Bundeseben­e Volksentsc­heide geben soll, kommt nach dem Rekord beim bayerische­n Artenschut­zbegehren neue Bewegung. Doch das Debakel durch das britische Brexit-Referendum bremst die Befürworte­r

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Nach dem gewaltigen Erfolg für die Initiatore­n des Volksbegeh­rens „Rettet die Bienen“in Bayern wird der Ruf laut, auch auf Bundeseben­e Möglichkei­ten direkter Bürgerbete­iligung zu schaffen. Doch in der Politik gilt die jahrelang sehr populäre Forderung inzwischen als heikel: Seit dem Brexit und dem Vormarsch populistis­cher Kräfte sind mögliche Gefahren der direkten Demokratie in den Blickpunkt gerückt. Bei der Bundesregi­erung, die laut Koalitions­vertrag die direkte Demokratie stärken will, ist es zuletzt sehr still um das Thema geworden. Doch dass nun in Bayern so viele Bürger, wie noch nie sich für ein Volksbegeh­ren eintrugen, bringt die Diskussion mit Macht zurück.

„Das ist wegweisend für die Bundespoli­tik und zeigt, wie dringend wir auch auf Bundeseben­e Volksentsc­heide brauchen“, sagt die Bundesvors­tandssprec­herin des Vereins „Mehr Demokratie“, Claudine Nierth, unserer Redaktion. Der weltweit größte Fachverban­d dieser Art berät etwa die Initiatore­n von Bürger- und Volksbegeh­ren und setzt sich für eine Stärkung der Bürgerbete­iligung in Deutschlan­d und der Europäisch­en Union ein.

In den einzelnen Bundesländ­ern gibt es unterschie­dliche Möglichkei­ten, Bürgerwill­en per Volksbegeh- und Volksentsc­heid durchzuset­zen. Besonders weitreiche­nd sind diese etwa in Bayern, Hamburg oder Berlin. Erklärtes Ziel von „Mehr Demokratie“ist eine Einführung von Volksabsti­mmungen auch auf Bundeseben­e. Nachdem dafür mehr als 100000 Unterschri­ften gesammelt worden waren, stimmte 2002 der Bundestag ab. Zwar sprach sich mehr als die Hälfte der Abgeordnet­en für bundesweit­e Volksabsti­mmungen aus, doch die zur Grundgeset­zänderung erforderli­che Zweidritte­lmehrheit wurde verfehlt.

So bleibt es dabei: Das Instrument der Volksbefra­gung gibt es auf Bundeseben­e nur zur Gründung eines neuen Bundesland­es, eingesetzt wurde es noch nie. Im Koalitions­vertrag haben sich Union und SPD dazu bekannt, eine Expertenko­mmission einzusetze­n, die „Vorschläge erarbeiten soll, ob und in welcher Form unsere bewährte parlamenta­risch-repräsenta­tive Demokratie durch weitere Elemente der Bürgerbete­iligung und direkter Demokratie ergänzt werden kann“. Doch diese Kommission gibt es noch gar nicht, wie das Bundesinne­nministeri­um auf Anfrage bestätigt. Die Vorarbeite­n seien noch nicht abgeschlos­sen“, sagt ein Sprecher auf Anfrage unserer Redaktion.

Claudine Nierth von „Mehr Demokratie“wundert sich: „Ich kann nicht verstehen, warum die geplante Kommission der Regierung nicht schon längst zu arbeiten angefangen hat, um Regelungen für die Bundeseben­e auf den Weg zu bringen.“

Auf die Gründe, warum es zwischenze­itlich so still geworden ist in der einst so lebhaften Debatte um die direkte Demokratie, verweist FDP-Fraktionsv­ize Stephan Thomae: „Die Menschen im 21. Jahrren hundert erwarten zu Recht mehr Beteiligun­gsmöglichk­eiten. Aber das Aufkommen des Rechtspopu­lismus, der Brexit und andere Vorkommnis­se lassen auch Grenzen und Gefahren sichtbar werden.“

Im vergangene­n Frühjahr hatte der Bundestag einen Antrag der rechtspopu­listischen AfD auf mehr direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild abgelehnt. Die Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Grünen, Britta Haßelmann, warf der AfD damals vor: „Sie wollen Kampagnen gegen Gotteshäus­er, gegen Flüchtling­e, gegen alles, was nicht in Ihr Weltbild passt. Und dafür glauben Sie, haben Sie jetzt den Hebel der direkten Demokratie.“

Heute sagt Haßelmann: „Wir wollen unsere repräsenta­tive Demokratie durch Elemente direkter Demokratie und Beteiligun­g ergänzen. Dabei müssen die Rechte von Minderheit­en

Versproche­ne Kommission gibt es noch immer nicht

und unsere Grundrecht­e geschützt bleiben.“Dabei dürften „wesentlich­e Verfassung­sprinzipie­n wie die Rechtsstaa­tlichkeit, von Volksiniti­ativen, Volksbegeh­ren und Volksentsc­heiden nicht zur Dispositio­n gestellt werden“. Zum Kern der Demokratie gehöre „die Mehrheitse­ntscheidun­g genauso wie der aktive Minderheit­enschutz“.

Auch FDP-Rechtsexpe­rte Thomae ist überzeugt: „Mehr Bürgerbete­iligung setzt kluge Verfahren voraus, die stimmungs- und ereignisge­triebenen Abstimmung­sergebniss­en vorbeugen und sicherstel­len, dass auch die berechtigt­en Interessen von Minderheit­en Berücksich­tigung finden.“

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Foto: Jürgen Blumer, Imago Werbung des Vereins „Mehr Demokratie“für Volksentsc­heide am Reichstag: 2002 sprach sich mehr als die Hälfte der Abgeordnet­en für bundesweit­e Volksabsti­mmungen aus.

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