Donauwoerther Zeitung

Wenn Kinder Pornos schauen

Mediennutz­ung Schon Grundschül­er haben Smartphone­s und kommen mit ihnen leicht an Sex-Videos im Internet. Eine große Gefahr, warnt die Polizei. Worauf Eltern achten müssen

- VON DANIEL WIRSCHING UND SANDRA LIERMANN

Augsburg Lucy Cat ist Pornodarst­ellerin, auf Instagram hat die 24-Jährige aus Rostock mehr als 750000 Follower. Sie ist auch auf Youtube, auf Twitter, auf Facebook. Sogar einen Wikipedia-Eintrag hat Lucia Berger. In den sozialen Medien lässt sie Hunderttau­sende an ihrem Alltag teilhaben. „Die Leute finden es einfach cool, dass ich auch meinen Sex eben mitteile“, sagt sie in der WDR-Doku „Wenn Kinder Pornos schauen“, die am späten Mittwochab­end gesendet wurde. Sie bezeichnet sich als Influencer­in, als jemand, der andere durch seine Präsenz im Netz beeinfluss­t. Um einen ihrer Hardcore-Pornos sehen zu können, bedarf es nur eines Klicks.

„Was macht das mit Jugendlich­en, wenn sie schon früh Kontakt mit Pornostars und Hardcore-Filmen im Netz haben?“, fragt die Sprecherin in der WDR-Doku, die 190000 Zuschauer sahen.

Klaus Kratzer weiß das nur zu genau. Und er weiß, dass es längst nicht mehr bloß um Jugendlich­e geht. Er hält am Mittwochab­end in einer Augsburger Grundschul­e einen Vortrag vor mehr als hundert Eltern, mit dem er aufrütteln möchte. „Leute, passt’s auf eure Kinder auf!“Kratzer, Kriminalha­uptkommiss­ar bei der Kriminalpo­lizeiliche­n Beratungss­telle der Kripo Augsburg, hält diesen und ähnliche Vorträge oft, die Nachfrage ist groß. Bereits Eltern von Erstklässl­ern wollen wissen: Wie schützen wir unser Kind vor Mobbing, vor Gewalt, vor all dem Dreck im Internet?

Ihre Sorge ist berechtigt. Einer Studie der Universitä­ten Münster und Hohenheim aus dem Jahr 2017 zufolge sagte fast die Hälfte der 1048 befragten 14- bis 20-Jährigen, „Hardcore-Pornografi­e“gesehen zu haben. 14- und 15-Jährige gaben an, im Durchschni­tt 12,7 Jahre alt gewesen zu sein, als sie zum ersten Mal damit in Kontakt kamen. Der „Erstkontak­t“finde immer früher statt, stellten die Forscher fest. Andere, auch aktuellere Studien bestätigen diese Befunde.

Kratzer sagt, dass schon Grundschül­er auf ihren Smartphone­s Pornos schauten. Dass sie bis tief in die Nacht hinein hunderte von WhatsApp-Nachrichte­n verschickt­en. Dass sie in Gefahr seien. Zwei seiner Tipps: Kinder sollten so spät wie möglich ein eigenes Smartphone bekommen, und zwar eines ohne Flatrate; im Kinderzimm­er habe es nachts nichts zu suchen.

Auch die Augsburger Sexualther­apeutin Birgit Andree weiß: „Durch die mediale Präsenz entkommen Kinder in der heutigen Zeit Pornografi­e nicht mehr.“Und: Durchschni­ttlich im Alter zwischen 15 und 17 Jahren hätten Jugendlich­e zum ersten Mal Geschlecht­sverkehr. Sie und Kratzer plädieren dafür, dass Eltern für ihre Kinder da sein müssen. Präsenz zeigen. Mit ihnen reden. Sie nicht alleinlass­en mit ihren Problemen. Und mit den Medien. Aufgabe der Eltern sei es, sagt Birgit Andree, ihren Kindern klarzumach­en: Das, was sie im Internet oder im Fernsehen – etwa in den Castingsho­ws „Germany’s Next Topmodel“oder „Deutschlan­d sucht den Superstar“– vorgeführt bekommen, entspreche nicht der Realität. Schon gar nicht das, was in Pornos gezeigt wird. Die Jugendlich­en „fühlen sich sonst unter Druck gesetzt. Jungs meinen, sie müssen performen, das ganze Repertoire beherrsche­n, das in Pornos gezeigt wird – inklusive teilweise bizarrer Praktiken. Mädels meinen, sie müssen zu allem bereit sein.“

Doch wie können Eltern mit ihren Kindern darüber sprechen, ohne dass es peinlich wird? „Wie mit der kompletten Aufklärung wird es schwierig, wenn darüber noch nie gesprochen wurde“, sagt Andree. Den einen perfekten Satz, mit dem Eltern ein Gespräch über Pornografi­e beginnen können, gebe es nicht. Wichtig sei, den Kindern Gesprächsa­ngebote zu unterbreit­en. „Spätestens nach der Grundschul­e, so mit zehn oder elf Jahren, sobald Kinder eigene Handys haben und ins Internet kommen, gehen solche Videos herum.“Andree hat zwei Töchter, sie weiß, wovon sie spricht. „Wenn Eltern merken, da ist Getuschel und Gekicher, können sie ihren Kindern sagen: ,Du, ich merke, da ist etwas, das dich beschäftig­t. Komm auf mich zu, wenn du darüber sprechen möchtest.‘“Kinder sollten merken, „dass sie Fragen stellen können und die Eltern nicht abblocken oder sich beschämt zurückzieh­en“. Als Gesprächse­instieg schlägt sie vor: „Für mich ist das auch ein komisches Thema, ich bin da auch nicht so locker. Lass uns gemeinsam einen Weg und Worte finden, wie wir damit umgehen können.“

Wenn Kinder Pornos schauen, macht das etwas mit ihnen: Es überforder­t sie. Und es kann ihnen viele falsche Eindrücke vermitteln. Unter anderem den, dass es in Ordnung sei, Nacktfotos oder -videos von sich zu machen und diese an die Freundin, den Freund zu schicken. Wenn die Aufnahmen dann in einer WhatsApp-Gruppe geteilt werden – etwa nach einem Streit mit der Freundin, dem Freund –, kann das Folgen fürs ganze Leben haben.

Auch davon erzählt Kommissar Kratzer in der Augsburger Grundschul­e. Er kennt Schülerinn­en, die sich nicht mehr in die Schule trauen, die die Schule wechseln mussten. Das Netz vergesse nichts, mahnt er.

 ?? Foto: WDR, Chris Caliman ?? Die 24-jährige „Lucy Cat“ist Pornodarst­ellerin. Ihren ersten Porno im Internet habe sie im Alter von 13 Jahren gesehen, sagt sie.
Foto: WDR, Chris Caliman Die 24-jährige „Lucy Cat“ist Pornodarst­ellerin. Ihren ersten Porno im Internet habe sie im Alter von 13 Jahren gesehen, sagt sie.

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