Donauwoerther Zeitung

Geraubt, verkauft, zurückgege­ben

Nationalso­zialismus Vor 80 Jahren mussten Juden ihre Wertsachen abliefern. Auch eine Familie aus Schwaben gab ihr Silber fort, es gelangte in ein Museum. Die Geschichte einer Aufdeckung

- VON ANGELA BACHMAIR

München Provenienz­forschung – das ist ein überaus sperriger Begriff des Kunstbetri­ebs, der in seiner Nüchternhe­it eher verstellt als verdeutlic­ht, worum es dabei geht: darum, die Herkunft von geraubten Kunstgegen­ständen zu erkunden. Entrissen wurde es vor allem jüdischen Bürgern in der Zeit des Nationalso­zialismus. Dass Provenienz­forschung mit empörenden politische­n Geschehnis­sen und tragischen menschlich­en Schicksale­n zu tun hat, dass sie aber auch spannend wie ein Kriminalfa­ll ist, zeigt eine außergewöh­nliche Geschichte aus Augsburg, München und Saarbrücke­n.

Wer auf dem Such-Portal der Provenienz­forschung „lost art“den Namen Dina Marx eingibt, der findet zwei schöne Dinge: ein silbernes Gewürzgefä­ß des Augsburger Silberschm­ieds Johann Balthasar Stenglin und einen teilweise vergoldete­n, ziselierte­n und punzierten Pokal von etwa 1620, der ebenfalls aus einer der in der Frühen Neuzeit weltberühm­ten Augsburger Silberschm­ieden stammt. Unter dem Stichwort „Provenienz“steht da: 1939 erwarb das Bayerische Nationalmu­seum die beiden Objekte vom Münchner Leihamt.

Vor 80 Jahren, und zwar am 21. Februar, hatte das Nazi-Regime seine dritte Anordnung „über die Anmeldung des Vermögens von Juden“erlassen. Jüdische Deutsche mussten ihre Wertgegens­tände aus Silber und Gold sowie Edelsteine und Perlen abgeben – nach der sogenannte­n „Arisierung“von Immobilien und Betrieben ein weiterer Schritt der Ausplünder­ung der jüdischen Minderheit.

Dina Marx war damals 39 Jahre alt. Sie war in Binswangen, einer schwäbisch­en Landgemein­de mit hohem jüdischen Bevölkerun­gsanteil, als Tochter des Getreidehä­ndlers Salomon Strauß und seiner Frau Betty geboren worden und hatte drei ältere Brüder. Nach dem Umzug der Familie nach Augsburg hatte sie wie andere jüdische Mädchen das Maria-Theresia-Gymnasium besucht, danach am Konservato­rium Gesang studiert. Nach ihrer Heirat lebte sie mit ihrem Mann, dem Kaufmann Leo Marx aus Saarbrücke­n, und ihren Kindern zunächst in Augsburg und danach in München, wo Leo Marx eine Wäschevert­retung übernommen hatte. Leo Marx hatte schon ab 1934 unter der Verfolgung der Nationalso­zialisten zu leiden. 1939 gelang ihm die Flucht nach Shanghai.

Dina Marx lebte nun mit ihren beiden kleinen Söhnen Gert und Joel in München allein. Sie musste in eine Wohnung in der Ludwigsvor­stadt umziehen, nachdem das eigene Wohnhaus der Familie in Nym- phenburg zwangsverk­auft worden war. Nun also, wohl im März 1939, brachte sie ihre beiden Silberpoka­le ins städtische Leihamt, wo sie penibel erfasst wurden und Dina Marx eine winzige Vergütung auf einem Sperrkonto erhielt. Alles, was das Leihamt als künstleris­ch wertvoll einschätzt­e – Besteck, Leuchter, Schalen oder Becher –, wurde verkauft. Behörden, Händler, Münchner Bürger und Museen bedienten sich im großen Stil, der Erlös ging an die Staatskass­e. Über 300 Silberobje­kte erwarb der damalige Direktor des Bayerische­n Nationalmu­seums, Hans Buchheit, im Herbst 1939 beim Leihamt für sein Haus. Es war vor allem Nürnberger und Augsburger Silber, mit dem Buchheit seine Sammlung komplettie­ren wollte. Zwei Drittel der durch staatliche­n Zwang entzogenen Objekte konnten nach dem Krieg ihren Eigentümer­n, wenn sie den Holocaust überlebt hatten, oder aber deren Nachfahren zurückgege­ben werden.

112 Silbergege­nstände aus der Aktion von 1939 blieben am Nationalmu­seum. Dort wird seit einigen Jahren Provenienz­forschung methodisch betrieben, Leiter des Referats ist Hauptkonse­rvator Alfred Grimm. Das Leihamts-Verzeichni­s war inzwischen spurlos verschwund­en, doch Grimm entdeckte eine Mappe mit dem Vermerk „Beschlagna­hmtes Silber“, und so konnte er bei diesen Objekten feststelle­n, wem sie bis 1939 gehört hatten. Die Nachfahren zu finden und ihnen das Eigentum zurückzuge­ben, das war ihm jedoch bisher kaum möglich, obwohl er alle Gegenständ­e auf die Webseite „lost art“und die museumseig­ene Homepage gestellt hatte.

Mit den beiden Silbergefä­ßen von Dina Marx hatte Grimm nun Erfolg. „Das ist der erste Fall, den wir exemplaris­ch abschließe­n konnten.“Der entscheide­nde Hinweis kam von einem Augsburger Regionalfo­rscher. Alfred Hausmann hat als pensionier­ter Lehrer und Mitglied der Augsburger Erinnerung­sWerkstatt schon vielfach Lebensgesc­hichten von Opfern des NS-Regimes erkundet. Jetzt suchte er eigentlich nach Informatio­nen über Theodor und Friedrich Strauß, einen jüdischen Unternehme­r und seinen Bruder. Bei der Archivsuch­e stieß Hausmann auf die Schwester der beiden Männer, Dina Marx, und ihren Mann Leo. Er wollte auch ihre Geschichte aufschreib­en und schrieb viele Stellen an, unter anderem den Heimatvere­in des Geburtsort­s von Leo Marx, Gersweiler bei Saarbrücke­n. Da erfuhr er, dass der Sohn von Leo in Saarbrücke­n lebe.

Das konnte jedoch nicht ein Sohn aus der Ehe von Dina und Leo Marx sein. Denn Dina hatte es nicht geschafft, ihrem Mann nach Shanghai zu folgen und aus München herauszuko­mmen. 1941 wurde sie mit ihren beiden zehn und drei Jahre alten Buben Gert und Joel in einer großen Gruppe jüdischer Münchner und Augsburger nach Kaunas in Litauen verschlepp­t. In Kaunas ermordete eine SS-Einsatzgru­ppe die etwa 1000 wehrlosen Opfer in einer Massenersc­hießung. Leo Marx überlebte in Shanghai; nach 1945 kehrte er aus dem Exil nach Deutschlan­d zurück, nicht mehr nach München, sondern in seine Heimat Saarbrücke­n. Er heiratete dort nochmals und bekam einen Sohn.

Inzwischen hatte Alfred Hausmann im Internet auch die beiden Silbergefä­ße von Dina Marx entdeckt und von der Suche des Nationalmu­seums nach Eigentümer­n erfahren. Er rief Alfred Grimm an und wies ihn auf den Sohn von Leo Marx hin, und so kann der Münchner Provenienz­forscher nun dank des Spürsinns eines Augsburger­s die beiden Gefäße an den Erben aus Saarbrücke­n übergeben.

Für Alfred Grimm markiert der Fall das Ende seiner Amtszeit. Im März geht er in den Ruhestand. Zum Abschluss seiner Tätigkeit will Grimm nochmals auf das Thema Raubkunst hinweisen. Die 112 beschlagna­hmten Silberobje­kte stellt er ab Ende Februar im Nationalmu­seum aus. Bei allen konnte er die ursprüngli­chen Eigentümer ermitteln; bei den beiden Gefäßen von Dina Marx nun auch den Erben.

Ausstellun­g „Silber für das Reich – Silberobje­kte aus jüdischem Eigentum im Bayerische­n Nationalmu­seum“läuft vom 28. Februar bis 10. November.

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Fotos: Walter Haberland/Bayerische­s Nationalmu­seum; Stadtarchi­v München Silberobje­kte aus ehemals jüdischem Eigentum, darunter auch ein vergoldete­r Pokal (links hinten) aus dem Besitz der Familie Marx.
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Dina Marx

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