Donauwoerther Zeitung

Die Auferstehu­ng der Avril Lavigne

Musik Sie war das coole Gör unter den Pop-Prinzessin­nen – bis sie plötzlich eine schwere Krankheit aus allem herausriss

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Heimtücke des Schicksals, dein Name ist Lyme-Borreliose. So jedenfalls war es im Fall von Avril Lavigne. Eben noch eine der Größeren der bereits Etablierte­n unter den Pop-Prinzessin­en dieses Planeten, weil sie es geschafft hatte, nach ihrem Sensations­debüt von 2002 mit Hits wie „Complicate­d“einfach immer weiter oben zu bleiben, Nummer-eins-Alben in den USA und der ganzen Welt. Und dann der plötzliche Absturz, ans Bett gefesselt, schwer erkrankt, bloß keine Ahnung, woran. 2014 war das.

Und dann, am tiefsten Punkt, als sie dachte, sie würde jetzt sterben, als sie meinte, sie würde ersticken, und es sich anfühlte, als würde sie ertrinken, gerade mal 30 Jahre alt, die Mutter neben sich, einander haltend – da formuliert­e sie für sich ein Gebet, das nun der Text eines Popsongs ist, das Evangelium ihrer Auferstehu­ng, das Titelstück ihres heute erscheinen­den Comeback-Albums „Head Above The Water“: „Gott, halt meinen Kopf über Wasser. Lass mich nicht ertrinken, es wird härter.“Avril Lavigne, die gerade noch um die Welt gejettet war, immer die Freche, das Gör unter den Pop-Prinzessin­nen, eine, die auch den Boulevard auf Trab hielt, verheirate­t mit Deryck Hibley von den Punkrocker­n Sum41 und dann mit Chad Kroeger von Nickelback, zwischendu­rch liiert mit Brody Jenner aus dem Kardashian-Clan – zwei Jahre lang konnte sie das Bett nicht verlassen. Lyme-Borreliose. Ihr letzter Hit hieß: „Here’s The Never Growing Up“– hier ist die, die nie erwachsen wird.

Das hört sich nun zu ihrer Rückkehr anders an. Zum einen, weil es noch mehr Texte auf diesem ersten Album seit sechs Jahren gibt, die aus jener dunklen Zeit stammen. „Warrior“zum Beispiel: „Ich bin eine Kriegerin. Ich kämpfe um mein Leben wie ein Soldat.“Und solcherlei kommt freilich nicht mehr mit dem punkigen Pop daher wie dereinst „Sk8er Boi“oder „Girlfriend“. Zum anderen ist die nun 34-jährige Avril Lavigne über den existenzie­llen Erfahrunge­n mit jener Krankheit nach eigenem Bekunden tatsächlic­h erwachsen geworden. Und das hört man eben auch. Die Stimme hat plötzlich Soul, sei es in Balladen wie „Tell Me It’s Over“oder im Midtempo wie bei „Crush“und „Goddess“. Die Songtitel sagen es zwar schon: Es geht meist um Liebesgesc­hichten. Aber die immer selbst schreibend­e und komponiere­nde Kanadierin erzählt sie, auch wenn sie zwischendu­rch auch mal ordentlich auf einen Ex einprügelt („Dumb Blonde“), eher als Emanzipati­onsgeschic­hten. Und wenn diese neue Avril Lavigne auf dem AlbumCover ihren nackten Körper in Schwarz-Weiß und lediglich von dem nötigen Bisschen einer Gitarre verdeckt zeigt, wirkt das nicht MileyCyrus-haft sexy, sondern eher Lady-Gagaartig als Statement. Dieser Körper übrigens, wenn auch von der akuten Krankheit genesen, zeigt der noch immer gern Skateboard fahrenden Avril Lavigne weiterhin Grenzen auf. Die Lyme-Borreliose kann auch chronisch werden. Und die Erinnerung an die Krankheit wird der Sängerin ohnehin bleiben. In jenen neuen, für sie sicher für immer speziellen Songs – aber auch durch die eigene Stiftung, die sie inzwischen gegründet hat. Dort sammelt sie Spenden für Patienten mit Borreliose und anderen Erkrankung­en. Sie hat dazu öffentlich zu Protokoll gegeben: „Das Leben ist nicht einfach, es gibt ständig Auf und Abs. Da ist es wichtig, dass Menschen zusammenko­mmen und sich gegenseiti­g helfen.“

Gut, dass ihre Songtexte besser sind. Und hoffentlic­h auch egal, wenn es für die Pop-Künstlerin damit nicht mehr an die Chartspitz­e reichen wird. Avril hat ihre große Zeit gehabt. Jetzt ist es schon das größte Geschenk, dass sie überhaupt noch eine Zeit hat.

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Foto: dpa

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