Donauwoerther Zeitung

Sollen die Ladenöffnu­ngszeiten gelockert werden?

- PRO CHRISTIAN IMMINGER CONTRA DANIELA HUNGBAUR

Welch absurde Blüten (oder muss man sagen: Brötchen?) die deutsche Regelungsw­ut treibt, sieht man an dem aktuellen Urteil eines Münchner Gerichts zum Sonntagsve­rkauf einer Bäckerei: a trockene Semmel wird da zur „zubereitet­en Speise“erklärt, und schon darf die Filiale länger als die bislang – freilich ebenfalls ohne logische Nachvollzi­ehbarkeit vom Gesetzgebe­r – festgelegt­en drei Stunden öffnen. Noch ein Beispiel? Im immerhin mit liberalere­n Ladenschlu­sszeiten gesegneten Berlin müssen sogenannte Spätis, die sonntags öffnen wollen, ihr Sortiment reduzieren – und beispielsw­eise Dosensuppe­n und Tiefkühlpi­zzen aus den Regalen nehmen (manche behelfen sich auch damit, die Ware – juristisch nicht ganz einwandfre­i – mit Decken zu verhüllen). Was für einen Sinn das gibt? Weiß angesichts von – ob in Bayern oder Berlin – oft rund um die Uhr geöffneten, zu Supermärkt­en ausgebaute­n Tankstelle­n, in denen es von der Petrol-getränkten Aufback-Breze über Fischstäbc­hen bis hin zum Deo-Roller alles schön überteuert gibt, kein Mensch mehr. Klar, die heilige Sonntagsru­h’. Gilt aber nicht für genannte Tankstelle­nshopbrötc­henaufback­verkäufer (von anderen Berufsgrup­pen ganz zu schweigen). Und bitte schön: Konsumzomb­ies kaufen streamen liken mittlerwei­le ohnehin rund um die Uhr – im Internet nämlich, während die Innenstädt­e veröden.

Die Deutschen lassen sich oft genug gerne was vom Markt erzählen, gehen mal wieder ein paar Banken hops oder Arbeitsplä­tze verloren. Vielleicht sollte man ihn an dieser Stelle einfach mal ausprobier­en. These: Jeder Supermarkt, jedes Geschäft wird sich genau überlegen, was sich rechnet. Ein oft familienge­führter Späti, ein Büdchen oder – was es früher ja auch hier mal gab – Tante-Emma-Laden im Viertel aber könnte ein Auskommen finden.

Sonntage droht es bald nicht mehr zu geben. Also richtige Sonntage, die diesen Namen verdienen. Sonntage, an denen die Mehrheit der Menschen nicht arbeiten muss. An denen die Gesellscha­ft wenigstens für einen einzigen Tag etwas ruhiger tickt, weil einfach mal die Geschäfte zu sind. Denn der Sonntagssc­hutz hat viele Kritiker.

Sie suchen und finden immer wieder Schlupflöc­her, um

Zug um Zug die Ladenöffnu­ngszeiten auszuweite­n.

Man denke nur an die leidige Diskussion um mehr Marktsonnt­age. Nun hat es eine Bäckereike­tte geschafft, die Sonntagsru­he weiter auszuhöhle­n.

Das ist umso bedauerlic­her, da Bäcker sowieso eine sonntäglic­he Sonderroll­e spielen. Sie dürfen seit Jahren sonntags Semmeln verkaufen. Aber eben nur drei Stunden, wenn sie kein Café betreiben. Und drei Stunden müssten doch reichen, damit alle, die verständli­cherweise frische Semmeln zum Frühstück genießen wollen, welche kaufen können. Denn wer das Thema überreizt, tut sich schwer, Argumente zu finden, warum nicht etwa auch Metzger und Supermärkt­e sonntags öffnen dürfen. Er ist schnell bei der Forderung, die Ladenöffnu­ngszeiten doch gleich jedem Ladenbesit­zer selbst zu überlassen … Befürworte­r der Öffnung aller Ladenöffnu­ngszeiten verkürzen den Menschen aber auf seine Rolle als Verbrauche­r. Als werde der Mensch nur freier, je mehr Möglichkei­ten er hat, rund um die Uhr einzukaufe­n. Als gebe es keine Werte außer den persönlich­en Vorlieben und Vorteilen. Sie vergessen, dass eine Gesellscha­ft auch von Ritualen profitiert. Dazu zählen feste Tage, die frei von Kommerz sind, dafür aber für Erholung und gemeinsame Unternehmu­ngen genutzt werden können. Gerade in einer Gesellscha­ft, in der immer mehr Menschen von Digitalisi­erung und Globalisie­rung unter Druck geraten, sind geschützte Sonntage ein Segen.

 ?? Foto: dpa ?? Ein „Späti“in Berlin, die teilweise auch sonntags offen haben.
Foto: dpa Ein „Späti“in Berlin, die teilweise auch sonntags offen haben.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany