Donauwoerther Zeitung

Natürlich brauchen wir Parität in den Parlamente­n Leitartike­l

Das Volk besteht je zur Hälfte aus Frauen und Männern. Und doch sind Frauen in der Politik völlig unterreprä­sentiert. So kann das nicht weitergehe­n

- VON SARAH SCHIERACK schsa@augsburger-allgemeine.de

Ob Marie Juchacz sich die Welt im Jahr 2019 so vorgestell­t hat? Immerhin träumte die Sozialdemo­kratin, die vor 100 Jahren als erste Frau überhaupt im Parlament von Weimar sprechen durfte, von „einem neuen Deutschlan­d“, in dem „die Frauenfrag­e“gelöst sei, der weibliche Teil des Volkes also endlich gleichbere­chtigt wäre.

Und tatsächlic­h lebt es sich heute durchaus gut als Frau in Deutschlan­d. Das Tückische an der Ungleichhe­it ist jedoch, dass man sich so leicht an sie gewöhnt. Denn Frauen spielen in Wirtschaft und Politik noch immer nur Nebenrolle­n. In den Vorständen aller börsennoti­erten Unternehme­n sitzen 61 Frauen und 650 Männer. Der Bundestag ist – trotz Kanzlerin – so männlich wie seit 1994 nicht mehr.

Wo aber bleibt der Aufschrei? Wo der breite Protest, nicht nur von einer kleinen Gruppe, sondern aus allen Schichten? Es sollte uns doch ärgern, ja sogar beschämen, dass Frauen in diesem Land offensicht­lich immer wieder an eine gläserne Decke stoßen.

Paradoxerw­eise kommt der Protest meist aus einer anderen Richtung. Von jenen nämlich, die nicht wollen, dass der Staat etwas an der Situation der Frauen ändert – etwa durch eine Quote oder ein Paritätsge­setz, wie es der Brandenbur­ger Landtag nun beschlosse­n hat. Aber ist es wirklich so unerhört, der einen Hälfte der Bevölkerun­g zu gewähren, was die andere längst hat? Nein, keinesfall­s. Die Gleichbere­chtigung von Mann und Frau ist eine Selbstvers­tändlichke­it, die im Grundgeset­z verankert ist. Wo, wenn nicht in den Parlamente­n, sollte dieses Staatsziel zuvorderst umgesetzt werden? Die Gremien haben schließlic­h den Anspruch, ein Spiegel der Gesellscha­ft zu sein. Dann sollten Parteien und Parlamenta­rier auch den Mut haben, sich nicht mit einem verzerrten Spiegelbil­d zufrieden zu geben.

Ein Paritätsge­setz ist, anders als oft behauptet, nicht undemokrat­isch. Auch in Brandenbur­g wird, wenn ab 2020 die neue Regelung gilt, kein Wähler gezwungen, seine Stimme einer Frau zu geben. Direktkand­idaten sind von dem Gesetz nicht betroffen. Kein Politiker wird also seines Postens beraubt, obwohl er mehr Zuspruch beim Wähler hat als eine Konkurrent­in. Stattdesse­n müssen Parteien ihre Listen paritätisc­h besetzen. Ja, das ist ein Eingriff in die Freiheit der Parteien. Ob sich ein solcher Eingriff zugunsten eines höheren Ziels verschmerz­en lässt, müssen letztlich Juristen entscheide­n.

Natürlich wäre es schöner, wenn sich Parität auch ohne Zwang erreichen ließe. Denn eine Quote hat immer einen schalen Beigeschma­ck. Sie erweckt den Eindruck, dass Frauen nicht gut genug seien, um den Aufstieg ohne Hilfe zu schaffen. Dabei sollte jedem längst klar sein, dass der oft nicht am Talent, sondern an den Strukturen scheitert. Denn die Welt ist ein Ort der Männerbünd­nisse. Nicht überall, aber noch immer zu oft und an den entscheide­nden Stellen.

In der Politik führt das dazu, dass Frauen oft gar nicht erst in eine Partei eintreten oder, wenn sie diese Hürde überwunden haben, es dennoch nicht auf die Wahllisten schaffen. Aber wer nicht nominiert wird, kann auch nicht gewählt werden. Aus diesem Kreislauf können Frauen nicht ohne staatliche Hilfe ausbrechen. Die vergangene­n 100 Jahre sind der beste Beweis dafür.

Ein Problem wird jedoch ein Paritätsge­setz nicht schmälern: Auch wenn sich Parteien aktiv um sie bemühen, zieht es viele Frauen nicht in die Politik. Manche von ihnen würden sich vielleicht gern mehr einbringen, können aber nicht – weil sie Kinder haben oder Verwandte pflegen. Wer Frauen in die Politik holen will, muss deshalb zuallerers­t eines verbessern: die Vereinbark­eit von Familie und Beruf.

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