Donauwoerther Zeitung

Nahles will zurück zu den Wurzeln

Hintergrun­d Die SPD-Chefin verfolgt einen klaren langfristi­gen Plan, um ihre Partei aus dem Umfragetie­f zu holen. Das wird auch beim neuen Europawahl­programm deutlich. Verabschie­den sich die Sozialdemo­kraten vom Kurs der Mitte?

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Berlin Die Parteivors­itzende stellte sich bei der Vorstellun­g des SPDProgram­ms für die Europawahl zwar nicht aufs Podium, doch Andrea Nahles war am Montag im Willy-Brandt-Haus gefühlt präsent. Denn das SPD-Programm unter dem Titel „Kommt zusammen und macht Europa stark“setzt da ein, wo Nahles mit ihren kürzlich vorgestell­ten Reformplän­en zum Umbau des Sozialstaa­ts aufgehört hat. Die Sozialdemo­kraten und ihre Spitzenkan­didatin Katarina Barley appelliere­n an das Gerechtigk­eitsgefühl der Menschen, sie machen die Großen madig und verspreche­n materielle Sicherheit für die Kleinen.

„Unser Europa ist eines, das die Menschen im Blick hat“, sagte Barley, nachdem die SPD-Spitzengre­mien über das Programm für die Europawahl am 26. Mai beraten hatten. Dieser Satz mag auf den ers- Blick lapidar und beliebig klingen. Doch er ist mehr als das, dieser Anspruch ist einer der alten Kernsätze der SPD. Er stammt noch aus der Zeit, als „Verdrossen­heit“nicht gleich das zweite Wort war, das den Bürgern nach dem Wort „Politik“einfiel. Als die SPD noch locker mehr als 30 Prozent der Stimmen holte und in guten Jahren sogar mehr als 40 Prozent.

Für die Europawahl mag sich die SPD offenbar sogar wieder an den Gedanken gewöhnen, wie einst die Partei der Arbeiter zu sein. „Arbeiterpa­rtei SPD“, das wurde in den letzten Jahren von Spitzenfun­ktionären der Partei wie ein Fluch empfunden, ein Makel, der gar nicht schnell genug beseitigt werden konnte. Verstellte er doch aus Sicht der Parteispit­ze den Zugang zur „Mitte“, zur Klientel der vermeintli­ch etwas Schlaueren, Schöneren, Besserverd­ienenden. Den Wählerinne­n und Wählern also, die auch die CDU mit ihrem Claim „Die Mitte“anzugraben versucht. Genützt hat das den Sozialdemo­kraten offenbar wenig, denn in den Umfragen sind sie auf deutlich unter 20 Prozent gerutscht.

Überhaupt scheint die SPD ihre Lehren aus den Fehlern des Bundestags­wahlkampfe­s zu ziehen. Da trat sie mit Martin Schulz und dem unpräzisen Slogan „Zeit für mehr Gerechtigk­eit“an. Wie das desaströse SPD-Abschneide­n damals zeigte, konnten nicht viele Menschen etwas damit anfangen.

Für die Europawahl geht es die SPD vergleichs­weise konkreter an. Das Programm stellt zum Beispiel einen europäisch­en Mindestloh­n in Aussicht. Dieser soll sich nach den Standards im jeweiligen Mitgliedst­aat berechnen. Für Deutschlan­d wären es zwölf Euro, das ist nicht zufällig auch der Wert, den Nahles mit ihren Sozialstaa­tsreformen perspektiv­isch erreichen will. Gleichten zeitig wollen die Sozialdemo­kraten die sogenannte Daseinsvor­sorge verbessern, dazu zählt beispielsw­eise der öffentlich­e Personenna­hverkehr. Diese Dinge „überlassen wir nicht dem Markt“, wagte sich Barley in längst verloren geglaubte SPD-Gefilde der Marktwirts­chaftskrit­ik vor.

Im Gegensatz zu ihren inländisch­en Reformplän­en fällt es der Partei beim Europawahl­programm deutlich leichter, die Finanzieru­ngsfrage zu klären. Denn zu einem sozialen Europa müssen nach SPDLesart alle ihren Beitrag leisten. Nicht nur die Arbeiter, nicht nur der kleine Bäcker an der Ecke, sondern auch die großen Unternehme­n, wie Barley erklärte, die beispielha­ft den Mega-Konzern Amazon an den Pranger stellte. Dessen Chef Jeff Bezos müsste sich warm anziehen, sollten es die sozialdemo­kratischen Parteien in Europa an die Spitze des Europaparl­aments schaffen. Denn um die Gewinne dieser Konzerne abzugreife­n, will die SPD neue Schöpfinst­rumente wie eine gemeinsame Bemessungs­grundlage für die Körperscha­ftsteuer sowie Mindestste­uersätze formen. Eine neue Digitalste­uer soll ebenfalls für Steuergere­chtigkeit zwischen den großen Haien und den kleinen Fischen sorgen. Notfalls werde man diese Dinge zusammen mit Frankreich durchsetze­n, kündigte Barley an.

Der SPD-Vorstand hatte gegen das Europawahl­programm, an dem auch Generalsek­retär Lars Klingbeil kräftig mitgeschri­eben hat, nichts auszusetze­n. Das Papier wurde einstimmig verabschie­det. Die nächste Hürde steht am 23. März bevor. Dann soll ein Parteikonv­ent das Wahlprogra­mm verabschie­den.

Die Partei vermeidet Fehler aus dem Schulz-Wahlkampf

 ?? Foto: Swen Pförtner, dpa ?? SPD-Chefin Andrea Nahles kämpft gegen die Krise ihrer Partei und setzt dabei vor allem auf die alte Stammwähle­rschaft.
Foto: Swen Pförtner, dpa SPD-Chefin Andrea Nahles kämpft gegen die Krise ihrer Partei und setzt dabei vor allem auf die alte Stammwähle­rschaft.

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