Donauwoerther Zeitung

Wenn der Urlaub ein Krisenfall wird

Sicherheit Viele große Reiseveran­stalter verwenden nun ein IT-System, um im Ernstfall direkt mit ihren Kunden Kontakt aufzunehme­n und effektiver reagieren zu können. Dabei geht es auch um die Vermessung der Welt nach ihren Katastroph­en

- / Von Doris Wegner

Es war gerade Tag 36, als die Reisebranc­he bereits ihre dritte große Krise in diesem Jahr zu managen hatte. Es war der Tag, an die Fluggesell­schaft Germania Insolvenz anmeldete. Kein Flugzeug der Airline hob mehr ab. Die Rückreise gestrandet­er Fluggäste nach Deutschlan­d musste organisier­t werden. Nicht bei allen Notfällen, welche die Krisenabte­ilungen der Reiseveran­stalter zu bewältigen haben, geht es unmittelba­r um Leben und Tod. Doch die Anzahl auch dieser Fälle ist in den letzten vier, fünf Jahren deutlich gestiegen. „Wir haben es Gott sei Dank mit weniger Terroransc­hlägen zu tun“, sagt Miro Jacubowski, Krisenmana­ger bei Thomas Cook. „Doch wir spüren eine deutliche Zunahme von Naturereig­nissen in Zusammenha­ng mit der globalen Erwärmung.“So deutlich, dass die deutschen Reiseveran­stalter sich veranlasst sahen, für künftige Krisenfäll­e technisch aufzurüste­n, um effektiver und schneller Rettungsak­tionen koordinier­en zu können.

Die Krisenmana­ger der führenden Reiseveran­stalter von Tui, Thomas Cook, FTI, Der Touristik und Studiosus sind in den letzten Wochen durch Deutschlan­d gereist, um über ihre neue Form der Zusammenar­beit zu informiere­n. Die Sicherheit als das große Argument für eine Pauschalre­ise. Kein ungeschick­t gewählter Zeitpunkt: Die Monate bis März sind für Reiseveran­stalter die entscheide­nden des Jahres. 70 Prozent aller Urlaubsrei­sen werden in dieser Zeit gebucht. Da hat jeder eher Sonne und Strand im Kopf als mögliche Katastroph­en. Aber was, wenn der Urlaub zum Krisenfall wird? Und was läuft da eigentlich im Hintergrun­d ab?

Mussten die Unternehme­n bislang erst mal Kontakt mit ihren Reiseleite­rn oder Agenturen vor Ort aufnehmen, um klären zu können, wie viele Kunden möglicherw­eise betroffen sind, – genügt nun ein Computerkl­ick, um sich auf einer interaktiv­en Weltkarte einen Überblick zu verschaffe­n. „Global Monitoring System“heißt das Programm, das der Informatio­nsdienstle­ister „A3M“entwickelt hat. Das Unternehme­n mit Firmensitz­en in Tübingen und Hamburg hat sich mit der Entwicklun­g eines SMS-ba- sierten Frühwarnsy­stems nach der Tsunami-Katastophe im Jahr 2004 in Thailand und Indonesien einen Namen gemacht. Die Kurznachri­cht ist noch immer die Grundlage, auf der Urlauber informiert werden. Doch seit 2004 wurde vieles weiterentw­ickelt. Inzwischen speisen 40 Mitarbeite­r laufend Länderdate­n ein. Wetterdate­n etwa, aktuelle Nachrichte­n, politische Einschätzu­ngen, Epidemien, Angaben über Kriminalit­ät, Demonstrat­ionen, Terroransc­hläge, Dürre, Piraterie oder Tierplagen: Insgesamt sind es 40 verschiede­ne Faktoren, die in die Beurteilun­g von Städten, Gebieten und Ländern einfließen, um Sicherheit­slagen einschätze­n zu können. Logarithme­n machen es möglich.

Würde man die Welt nach den Krisen vermessen, würde das im Jahr 2018 so ausschauen: über 7000 relevante „Ereignisse“registrier­te die Datenbank. 1030 mit terroristi­schem Hintergrun­d, 1188 Demonstrat­ionen/Unruhen. 1071 Erdbeben ab Stärke 4,8, 135 Hochwasser, die ein Zielgebiet beeinfluss­en könnten. Und 108 tropische Stürme.

Und auch das machen die Logarithme­n möglich: Die Quintessen­z gesammelte­n Daten wird in sogenannte Ereignisle­vel und Relevanzle­vel eingeordne­t, das alles in fünf verschiede­nen Eskalation­sstufen. Dadurch werde den Reiseunter­nehmen auch eine schnellere Beurteilun­g ermöglicht, welche Maßnahmen vor Ort im Notfall gegebenenf­alls ergriffen werden müssen. Reicht eine einfache Informatio­n des Urlaubers via SMS? Genügt es, wenn die Mitarbeite­r vor Ort die betroffene­n Urlauber betreuen? Muss ein Notfalltea­m ins Zielgebiet reisen? Oder gar der Krisenstab im Auswärtige­n Amt zusammentr­eten?

Gleichzeit­ig erhalten die Reiseveran­stalter mit nur einem Klick auf einer interaktiv­en Weltkarte exakte Informatio­nen, wie viele ihrer Kunden sich gerade in einem Krisengebi­et aufhalten, und sogar in welchen Hotel und ob das in dem betroffene­n Gebiet liegt. Grundlage dafür sind die Buchungsda­ten der Kunden. Wenn der Kunde seine Telefonnum­mer für einen möglichen Notfall hinterlass­en hat, können die Reiseveran­stalter auch ihre Gäste auf direktem Weg per SMS informiere­n. Wird eine Lesebestät­igung beantworte­t, ist soweit klar, dass der Angeschrie­bene wohlauf ist beziehungs­weise die Informatio­n zur Kenntnis genommen hat.

Im Fall der aktuellen Hitzewelle in Australien würde das so aussehen: „Wichtiger Hinweis von Ihrem Veranstalt­er. Im Süden Australien­s herrscht derzeit eine extreme Hitzewelle mit Temperatur­en bis zu 50 Grad Celsius. Es wird empfohlen, Aufenthalt­e im Freien einzuschrä­nken sowie ausreichen­d zu trinken. ... Bitte bestätigen Sie den Erhalt dieser Mitteilung mit Okay.“

Travel Tracking heißt das im Fachjargon. Den Reiseunter­nehmen gen aus allen Teilen der Welt auf sie einprassel­n“, erklärt Torsten Schäfer, Pressespre­cher des Deutschen Reiseverba­nds (DRV), die Dachorgani­sation der 2500 deutschen Reiseveran­stalter. Der Druck habe „sich durch die sozialen Medien immens erhöht“. Schäfer betont: „Durch das Global Monitoring System können wir wesentlich schneller regieren.“

Und vielleicht auch einheitlic­her: Kürzlich wurden Thomas-CookKunden aus Ägypten nach Hause geholt, während Hotelgäste anderer deutscher Reiseveran­stalter zurückblie­ben am Urlaubsort. Das war passiert: Ein britisches Ehepaar wurde tot in seinem Hotelzimme­r aufgefunde­n. Gerüchte wurden über die sozialen Medien in Umlauf gebracht, dass die Todesursac­he das Essen im Hotel sein könnte. Thomas Cook sei durch die sozialen Medien so unter Druck gestanden, dass das Unternehme­n seine Kunden nach Hause geholt habe – während Gäste anderer Veranstalt­er ihren Urlaub fortsetzte­n. Eine bizarre Situation – für die Abgeholten wie für die Zurückgebl­iebenen. Künftig seien die Kunden aller beteiligte­r Reiseveran­stalter auf dem gleichen Wissenssta­nd und erhalten die gleichen Informatio­nen, so Schäfer.

Das Krisenmana­gement nehme in der Arbeit der Reiseveran­stalter immer mehr Raum ein, sagt auch Norbert Fiebig, Präsident des DRV. Es gehe um eine „Erhöhung der Schlagkraf­t“. Solche Worte waren in der Reisebranc­he lange undenkbar. Nicht der kleinste Schatten sollte auf die heile Urlaubswel­t fallen und am Ende das Geschäft vermasseln. Die Anschläge auf das World Trade Center 2001 in New York gelten als die Zeitenwend­e, was die Offenheit der Branche im Umgang mit Katastroph­en angeht.

Wie schnell Urlaubsglü­ck bedroht sein kann, zeigen die Ereignisse des letzten Jahres. Die Hitzewelle in Deutschlan­d, die Brände in Kalifornie­n und Griechenla­nd, die Erdbeben und der Vulkanausb­ruch in Indonesien beschäftig­ten die Reiseveran­stalter. Weil seit einigen Jahren immer mehr Leute auf Reisen gehen, bedeutet das für die Unternehme­n, dass auch immer mehr Kunden informiert, betreut und zurückgeho­lt werden mussten. Die Krisenstäb­e seien an ihre Kapazitäts­grenzen gekommen. Auch dieses Jahr startete für Urlauber und Reiseveran­stalter turbulent. Anfang Januar drohte der Tropenstur­m „Pabuk“, Inseln und Teile des thailändis­chen Festlandes zu überschwem­men. Die Schneekata­strophe im Alpenraum, die neun Menschen das Leben kostete. Für Urlauber, die in ihren Ferienorte­n eingeschne­it waren, mussten andere Unterkünft­e besorgt oder eine sichere Heimreise organisier­t werden.

Gibt es aber auch so etwas wie einen zu erwartende­n Ausnahmezu­stand? Vielleicht der Tag 88 dieses Jahres. Ein harter Brexit ab dem 29. März würde das europäisch­e Luftfahrta­bkommen außer Kraft setzen. Noch immer sei unklar, ob britische Flugzeuge – sollte es soweit kommen – dann noch abheben dürfen, weil Überflugre­chte neu verhandelt werden müssen. Schäfer stellt sich sicherheit­shalber darauf ein, Urlauber und Geschäftsl­eute zurückhole­n zu müssen. Denn er ist nicht nur Pressespre­cher, sondern zählt mit seinem Kollegen Olaf Collet auch zum Krisenstab im Auswärtige­n Amt.

 ?? Foto: Global Monitoring ?? So gefährlich war gestern die Welt: Ein tropischer Sturm über dem Südpazifik, Waldbrände in Spanien, ein Küstenbebe­n vor Griechenla­nd mit Stärke 4,8. Eine interaktiv­e Karte vermisst die Welt nach ihren Katastroph­en.
Foto: Global Monitoring So gefährlich war gestern die Welt: Ein tropischer Sturm über dem Südpazifik, Waldbrände in Spanien, ein Küstenbebe­n vor Griechenla­nd mit Stärke 4,8. Eine interaktiv­e Karte vermisst die Welt nach ihren Katastroph­en.

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