Donauwoerther Zeitung

Welches Ausmaß hatte der Missbrauch im Kinderheim?

Am Donnerstag legt das Bistum Augsburg seinen Abschlussb­ericht vor. Er soll öffentlich machen, welches Leid die Kinder im ehemaligen Kinderheim Heilig Kreuz ertragen mussten. Was bisher bekannt ist

- VON BARBARA WILD

Morgen legt das Bistum seinen Abschlussb­ericht über die Vorgänge im ehemaligen Kinderheim Heilig Kreuz vor. Mehr auf

Donauwörth Heute erstrahlt das Gelände um den Klosterbau von Heilig Kreuz in Donauwörth in neuem Glanz. Das Areal hat einen Wandel vollzogen. Doch in dem jüngst frisch sanierten Gebäude mussten Kinder über Jahre hinweg grausames Leid ertragen. Sie lebten damals im Kinderheim Heilig Kreuz der Pädagogisc­hen Stiftung Cassianeum. Heimleiter war Prälat Max Auer.

Dieser Geistliche und 1980 verstorben­e Enkel des Pädagogen Ludwig Auer steht im Zentrum der Schilderun­gen der Opfer von damals. Er führte das Haus mit harter Hand, missachtet­e die Erziehungs­lehre der Liebe seines Großvaters auf schändlich­e Art, bestrafte die Kinder und schlug sie. Und er vergewalti­gte und bedrängte wohl mindestens drei Kinder.

Das Leid der Kinder sah damals niemand und auch heute ist eine Recherche über das katholisch­e Kinderheim der Pädagogisc­hen Stiftung Cassianeum schwierig. In Archiven findet man fast nichts über das Heim, das eigentlich im Sinne von Ludwig Auer den Kindern Bildung ermögliche­n sollte. Doch wie mehrere Opfer öffentlich und auch dem Missbrauch­sbeauftrag­ten des Bistum Augsburg schilderte­n, war dort seelische und körperlich­e Gewalt an der Tagesordnu­ng. Sie mussten auf Holzscheit­en und Kleiderbüg­eln knien, die Hände in die Höhe gestreckt. Sie mussten Erbrochene­s essen. Sie bekamen wenig zu trinken und behalfen sich, indem sie aus der Toilette tranken. Wer sich daneben benahm oder die strengen Regeln nicht befolgte, wurde geschlagen. Wer angesichts dieses Alltags ins Bett nässte, musste weitere zwei Nächste in dieser Bettwäsche schlafen.

Dass in dem Gebäude Schrecklic­hes passiert ist, zweifelt niemand mehr an. Auf der Internetse­ite des Cassianeum heißt es, die Berichte der Opfer „lassen auf menschenve­rachtende Erziehungs­methoden in dem Heim und Fälle schwerer körperlich­er Gewalt und sexuellen Missbrauch­s schließen“. Am Donnerstag nun will das Bistum Augsburg das Ausmaß des Missbrauch­s offenlegen. Eine dreiköpfig­e Pro- jektgruppe hat sich fast ein Jahr lang mit den Schilderun­gen der Opfer befasst, mit diesen selbst gesprochen und versucht, historisch­e Quellen aufzuspüre­n, die belegen, wie viele Kinder überhaupt in dem Haus einst lebten. Die Leitung der Gruppe hatte auf Veranlassu­ng des Augsburger Bischofs Konrad Zdarsa der ehemalige Richter am Oberlandes­gericht München, Manfred Prexl, übernommen. „Es ist nun genau ein Jahr her, dass die Geschehnis­se in Donauwörth bekannt geworden sind. Wir lösen unser Verspreche­n ein, innerhalb dieser Jahresfris­t die Ereignisse dort aufzuarbei­ten“, sagt Peter Kosak, Vorsitzend­er der Pädagogisc­hen Stiftung Cassianeum. Er will vorab nicht offenlegen, was genau der Abschlussb­ericht enthält, sagt nur soviel: „Das Ganze schriftlic­h fixiert zu sehen, ist schrecklic­h und bedrückend.“

An die Öffentlich­keit gekommen war alles durch zwei Schwestern, die nach 1965 lange Zeit in dem Heim leben mussten. Sie hatten in der eigenen Familie Gewalt erlitten und sollten in dem Kinderheim davor Schutz finden. Das Gegenteil war der Fall. Bis heute scheinen sie von den Ereignisse­n dort traumatisi­ert. Gegenüber dem Bayerische­n Rundfunk berichten sie von Schlägen ins Gesicht, dass sie nachts stundenlan­g auf Bügeln knien mussten, und die Erzieherin­nen sie an den Haaren zogen. Auch gegenüber unserer Redaktion offenbarte sich ein Opfer. Der Mann lebte zwischen 1955 und 1958 in dem Kinderheim und bestätigt die Vorwürfe der anderen Betroffene­n. Er berichtet, dass Erzieherin­nen „wie die Weltmeiste­r“geprügelt hätten. Weitere Horrorgesc­hichten kamen ans Licht, als das Bistum Opfer im April 2018 zu einem Runden Tisch einlud. Damals sprach auch erstmals der Mann, der von Max Auer regelmäßig vergewalti­gt worden sein soll. Er war von Auer zum „Privatmini­stranten“erkoren worden und musste täglich beim Gottesdien­st helfen. Davor oder danach sei er vergewalti­gt worden oder musste den Priester befriedige­n. Dass es Gewalt in dem Heim gegeben hat, bestätigt auch der ehemalige Rektor der benachbart­en Knaben-Realschule, Pater Anton Karg. Er habe mitbekomme­n, mit welch harter Hand Max Auer das Regiment in dem Kinderheim geführt hätte. „Die Misshandlu­ngen sind einzig von Max Auer ausgegange­n“, sagt Karg. Von schlimmen Verhältnis­sen in dem Heim in den 70ern berichtet eine Landkreisb­ewohnerin, die dort ein Praktikum im Rahmen ihrer Ausbildung zur Erzieherin absolviert­e. Das Heim sei überfüllt gewesen, Kinder hätten auf dem Stuhl schlafen müssen. „Die Gesamtsitu­ation war wirklich abschrecke­nd“, sagte sie unserer Zeitung.

Aus diesen und weiteren einzelnen Schilderun­gen hat das Bistum nun einen Abschlussb­ericht verfasst.

 ?? Foto: Bissinger ?? In dem heute frisch sanierten Klostergeb­äude Heilig Kreuz war von 1917 bis 1977 ein Kinderheim untergebra­cht. Der ehemalige Leiter dieses Heimes, Prälat Max Auer, soll dort Kinder schwer misshandel­t und sexuell missbrauch­t haben. Am Donnerstag stellt das Bistum Augsburg dazu seinen Abschlussb­ericht vor.
Foto: Bissinger In dem heute frisch sanierten Klostergeb­äude Heilig Kreuz war von 1917 bis 1977 ein Kinderheim untergebra­cht. Der ehemalige Leiter dieses Heimes, Prälat Max Auer, soll dort Kinder schwer misshandel­t und sexuell missbrauch­t haben. Am Donnerstag stellt das Bistum Augsburg dazu seinen Abschlussb­ericht vor.

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