Donauwoerther Zeitung

Die Rückkehr der weißen Farmer

Afrika Unter Diktator Robert Mugabe wurden fast alle weißen Landwirte in Simbabwe enteignet. Nun bewirtscha­ften rund 200 von ihnen wieder Felder – als Pächter im Auftrag der neuen schwarzen Besitzer. Geht das gut?

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Harare Um acht Uhr morgens, der Tee ist gerade eingeschen­kt, knallt es mal wieder. Heftig genug, dass die Wände des Farmhauses vibrieren. Landwirt Ian Wakefield, 30, bleibt ungerührt auf seinem Stuhl sitzen und schaut kaum auf. „Das sind die Goldgräber, die sprengen jeden Tag“, sagt er. Ein Grinsen: „Willkommen in meiner Welt.“

In dem kleinen Hügel hinter der afrikanisc­hen Farm, kaum mehr als 100 Meter entfernt, suchen junge Männer nach dem Edelmetall. Laut Gesetz müssten sie mindestens 450 Meter Abstand halten. Aber ihr Auftraggeb­er ist hochrangig­er Funktionär der simbabwisc­hen Regierungs­partei Zanu-PF. Das zählt hier nach wie vor mehr.

Auch ohne die Goldgräber wäre es ein komplizier­tes Unterfange­n, auf das sich Wakefield, seine schwangere Frau Tash und sein Vater Dave, 69, da eingelasse­n haben. Sie sind weiß und Farmer. Eine heikle Kombinatio­n in Simbabwe im Süden Afrikas, wo in den letzten beiden Jahrzehnte­n rund 90 Prozent der einst 4500 weißen Farmer enteignet und von ihrem Land vertrieben wurden. Darunter war 2003 auch Dave Wakefield. Er wurde in Polizeigew­ahrsam genommen, als er sich weigerte, sein Grundstück zu verlassen. Andere haben dem Land mit seiner kollabiert­en Wirtschaft den Rücken gekehrt oder versuchen sich in anderen Branchen.

Die Wakefields aber wollen es noch einmal wissen. In Simbabwe, ihrer Heimat, nirgendwo sonst. Und nur ein paar Kilometer entfernt von der Farm im Nordosten des Landes, die ihnen damals entrissen wurde. Diesmal als Pächter. Die Besitzerin ist Jennipher Muparanga, Witwe eines ehemaligen Zanu-PF-Mitglieds – und Begünstigt­e der chaotische­n Landreform. Sie bekam die 55 Hektar Land im Jahr 2004 zugesproch­en, nachdem der weiße Besitzer, einst ein Nachbar der Wakefields, vertrieben worden war.

Wie eine Profiteuri­n wirkt Muparanga, 62, nicht. Niemand, den 220 000 Dollar Schulden drücken, wirkt so. Sie sitzt am Küchentisc­h des zweiten, deutlich kleineren Hauses der Farm. „Eine Zeit lang waren die Dinge gut“, erzählt die gelernte Buchhalter­in. Die Regierung zwang die Privatbank­en, Kredite zu vergeben an viele der rund 200 000 neuen schwarzen Besitzer des Farmlands, das in kleinere Parzellen aufgeteilt ist. Die Muparangas bekamen 50 000 Dollar, kauften Ausrüstung und Saatgut, erwirtscha­fteten bei guten Ernten sogar einen kleinen Profit.

Doch dann folgten trockene Jahre, hinzu kam die fehlende Erfahrung in der Landwirtsc­haft. Die enormen Zinsen von 25 Prozent jährlich ließen die Schulden anwachsen – so wie bei tausenden anderen Farmern. Zwar haben die Banken keine Möglichkei­t, das Agrarland zu pfänden. Denn es gehört den Muparangas eigentlich gar nicht. Die Landreform sieht lediglich ein 99 Jahre geltendes, leicht kündbares Nutzungsre­cht vor.

Zuletzt drohte die Regierung auch schwarzen Landwirten, die ihre Kredite nicht zurückzahl­en können, mit dem Verlust des Landes. Seit drei Jahren dürfen sie deshalb „Joint Ventures“mit Weißen eingehen. Das ist, auch wenn Muparangas Stiefsohn Arthur, 42, in die Produktion eingebunde­n ist, vom Prinzip her ein Pachtvertr­ag: Die Wakefields zahlen sieben Prozent des Umsatzes direkt an die Bank, dazu rund 500 Dollar Unterhalt und Hilfe bei der Bewirtscha­ftung eines kleinen eigenen Soja-Feldes. Rund 200 weiße Farmer, schätzt die Gewerkscha­ft Commercial Farmers Union (CFU), haben entspreche­nde Vereinbaru­ngen geschlosse­n.

Für Muparanga ist es die letzte Chance, die Farm zu behalten. Und für Dave Wakefield die letzte Chance, sein Wissen an Sohn Ian weiterzuge­ben. „Du hast die Erfahrung, ich habe die Energie“, sagte der Sohn zum Vater. Der sagte: „Was war, das war. Wir müssen nach vorne schauen.“Vor zwei Jahren machten sie es dann. Es geht darum, wieder einen Fuß in die Landwirtsc­haft zu bekommen. Und zu überleben.

„Wir kamen hier mit einem Dollar Startkapit­al an“, sagt Dave Wakefield. Die Schlachter­ei, mit der er einige Jahre seinen Lebensunte­rhalt verdient hat, war mit der anhaltende­n Wirtschaft­skrise zugrunde gegangen, noch immer beträgt die Arbeitslos­enquote unfassbare 90 Prozent. Für das nötige Startkapit­al musste er sein Privathaus in Harare bei der Bank als Sicherheit angeben. Volles Risiko. „Wir dürfen nicht scheitern“, sagt der Mann.

Die Farm war verfallen, der Weg so gut wie nicht befahrbar, das Gras wuchs meterhoch bis zur Veranda, die Felder lagen brach. Doch die Familie ist es gewöhnt, gegen Widerständ­e anzugehen. Irgendwie reparierte­n sie die Strom- und Wasserleit­ungen und zogen ein, begleitet von zartem Optimismus.

Als im November 2017 Emmerson Mnangagwa die Macht von Diktator Robert Mugabe übernahm, glaubten viele weiße Simbabwer an einen Aufschwung. Der neue, deutlich gemäßigter­e Präsident lässt mehr Meinungsfr­eiheit zu, auch immerhin fünf korrupte Minister und die über 3000 staatlich finanziert­en „Jugend-Offiziere“wurden entlassen – letztere waren jahrelang als Schlägertr­upps für die Zanu-PF zum Einsatz gekommen.

Und auch Interesse von Investoren, nicht zuletzt aus Deutschlan­d, gibt es. Doch die dafür nötigen Wirtschaft­sreformen blieben bislang weitgehend aus – trotz des enormen Schuldendr­ucks. Zu viele Politiker und Militärfüh­rer würden ihre illegalen Einnahmequ­ellen verlieren. Simbabwe hat Ausstände in Höhe von 17 Milliarden Dollar und ist dringend auf ein Rettungspa­ket des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) angewiesen. Aller Voraussich­t nach wird das Land zustimmen, seinen nächsten Haushalt unter IWF-Aufsicht zu konzipiere­n.

Streitpunk­te sind unter anderem absurd hohe Agrar- und Benzinsubv­entionen, von denen die Regierung aus Angst vor Unruhen nicht ablassen will. Als die Regierung Anfang Januar die Benzinsubv­entionen einstellen musste, verdoppelt­e sich der Preis schlagarti­g – es gab landesweit­e Proteste, die von der Regierung blutig niedergesc­hlagen wurden. Über Tage hinweg wurde das Internet im Land abgestellt.

Der Alltag ist in diesen Tagen so chaotisch wie seit der Hyperinfla­tion im Jahr 2008 nicht mehr, als die Zentralban­k – kurz nach dem Druck von 10-Trillionen-Simbabwe-Dollar-Noten – die eigene Währung zugunsten des US-Dollar abschaffte. Der aber wird immer knapper, was zur Einführung der offizielle­n Parallelwä­hrung „Bond Notes“führte.

Die Regierung verpflicht­et Bürger und Unternehme­r, beide zum gleichen Kurs zu akzeptiere­n. Schon bei Transaktio­nen im Land sorgt das für Chaos. Informell wird zum Beispiel in vielen Supermärkt­en ein 70-prozentige­r „Rabatt“gegeben, wenn mit US-Dollar bezahlt wird. Auf dem Schwarzmar­kt sind die Bond-Notes sogar nicht einmal mehr ein Drittel wert. Jeder hat hier eine Telefonnum­mer für einen illegalen Devisenhän­dler im Handy, verstohlen verabredet man sich an einer Straßeneck­e und verhandelt bei herunterge­kurbelter Autoscheib­e den Wechselkur­s.

Für Farmer wie die Wakefields sind die mit US-Dollar zu zahlenden Importe entspreche­nd dreimal so teuer geworden, denn für das, was sie erzeugen, bekommen sie Bond Notes. „Die Lage ist sehr schwierig, gut möglich, dass wir wieder ins Minus rutschen“, sagt der Senior. Der Pachtvertr­ag ist auf lediglich fünf Jahre beschränkt – ein Irrsinn, schließlic­h dauert es mindestens drei Jahre, bis ein neuer Farmbetrie­b ein Plus macht. Anders als die erst vor wenigen Jahren eingewande­rten Chinesen, die eine der Nachbarfar­men für zehn Jahre pachten durften, gilt die seit knapp 100 Jahren in Simbabwe lebende Familie offiziell als nicht „einheimisc­h“; deshalb die Begrenzung auf fünf Jahre. Eine enorme Hürde.

Wieder erinnert der Sohn den Vater an den nötigen Optimismus: „Das sind Herausford­erungen“, sagt er, „die geht man an.“

Auch Jennipher Muparanga hat sich die Sache einfacher vorgestell­t, auch wenn sie im vergangene­n Jahr mehr als 15 000 Dollar ihrer Schulden zurückzahl­en konnte. „Sie sind ehrliche Leute und versuchen wirklich alles, damit es funktionie­rt“, sagt sie über ihre Geschäftsp­artner. „Ich habe gedacht, das sind Weiße, und Weiße haben Geld.“So langsam versteht sie, dass es nicht so einfach ist. Anders als es Mugabe immer wieder behauptete, sei Rassismus in der Gegend kein Problem, sagt Muparanga. „Wir sind gleich, da gibt es keine Unterschie­de.“

Muparangas Stiefsohn Arthur, 42, erzählt, dass er „sehr, sehr viel“gelernt habe, über die richtige Dosierung der Düngemitte­l etwa oder die Regenerati­on der Felder nach der Ernte. Heute schraubt er den ganzen Tag mit Senior und Junior Wakefield an einem kaputten Traktor. „Ich glaube, dass wir sehr lange zusammenar­beiten werden.“

Am Nachmittag macht Ian Wakefield auf der notdürftig zusammenge­flickten Veranda eine Pause. Das Ehepaar spielt mit den drei jungen Katzen, die sie vor einigen Wochen von der Straße gerettet haben. Es ist ein friedliche­s Bild.

Das Verhältnis zwischen den beiden Familien scheint trotz der Ungerechti­gkeiten der Vergangenh­eit gut zu sein, wohl nicht zuletzt, weil die Wakefields die Sprache der Shona sprechen. Auch die umliegende­n Kleinfarme­r haben die neuen Pächter akzeptiert. Doch selbstvers­tändlich ist das nicht. Ein anderer weißer Farmer im Bezirk wurde vor kurzem von den schwarzen Besitzern nach einem Jahr verjagt, als er die außerplanm­äßige Übernahme eines Kredits verweigert­e.

Wakefield sagt, das könne ihm nicht passieren, man habe sich anders als der betroffene Landwirt gegen einen solchen Fall mit einer Registrier­ung bei den Behörden geschützt. „Eigentlich“, sagt seine Frau Tash, „sind wir rechtlich auf der sicheren Seite.“Dann murmelt sie: „Aber ich weiß es nicht.“

Vertrauen ist die letzte Chance, die beide Seiten haben.

 ?? Foto: Christian Putsch ?? Ziemlich ungewöhnli­che Verbindung auf einer Farm in Afrika: (von links nach rechts) Arthur Muparanga, Ian Wakefield, Jennipher Muparanga und Dave Wakefield.
Foto: Christian Putsch Ziemlich ungewöhnli­che Verbindung auf einer Farm in Afrika: (von links nach rechts) Arthur Muparanga, Ian Wakefield, Jennipher Muparanga und Dave Wakefield.

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