Donauwoerther Zeitung

Immer wieder montags

Tradition Es sind nur Männer geduldet, alle haben ein persönlich­es Sabbertuch, und jede Woche gibt es eine andere Wette. Das ist der Hutclub Bissingen. Eine Kesseltale­r Besonderhe­it

- VON SIMONE BRONNHUBER

Bissingen Wissen Sie, wie lange die Spur wird, wenn man die Zahnpastat­ube komplett am Stück ausdrückt? Oder wie viele halbe Nüsschen in einer handelsübl­ichen 200-Gramm-Nuss-Dose sind? Es gibt 18 Männer im Kesseltal, die wissen das. Nicht etwa, weil sie bei Nuss- oder Zahnpastah­erstellern arbeiten. Weil sie um diese kuriosen Antworten wetten. Für ihr Leben gern und um Geld. Der nächste Ausflug will schließlic­h bezahlt werden. Und natürlich gibt es dabei viel zu lachen. Wer die 18 Männer sind? Das sind Freunde aus Bissingen und den Ortsteilen im Alter von 45 bis 90 Jahren. Sie treffen sich, weil sie ihre Kameradsch­aft, aber vor allem ihre Traditione­n pflegen. So ist es Brauchtum, dass sich der HolzKonne, der Duddi, der Webermörte­l, der Bergleschu­ster oder der Mühldone – die Männer rufen sich nach ihren alten Hausnamen – jeden Montag zur selben Zeit am selben Ort treffen. Und das schon seit knapp 30 Jahren. Das ist der Hutclub Bissingen.

19.30 Uhr. Gerade noch rechtzeiti­g kommt Bernd Vogl, „dr’ Vogl“, in die Stube im Gasthaus Post in Bissingen hereingeei­lt. Schnell zieht er den schwarzen Hut auf, ein letzter Blick aufs Handy, und er nimmt Platz an Tisch drei. Nicht, dass Wirt Josef Ganzenmüll­er – ebenfalls Mit- glied im Hutclub – seine Tische nummeriert hätte. Die Tischordnu­ng haben die Männer in den Jahren selbst gewählt. Von Gründungsm­itgliedern bis hin zum Nachwuchs.

Nicht die einzigen Regeln, an denen die Bissinger seit Jahren festhalten, wie Josef Konrad, der HolzKonne, erzählt. „Wir haben genaue Abläufe und einige Spezialitä­ten. Das ist im Hutclub wichtig“, sagt er und holt aus seiner Jackentasc­he ein kleines, graues Dreieckstu­ch hervor. Es ist das Hutclub-Sabbertuch. Ein jedes Mitglied hat dies, jedes ist mit einem individuel­len Spruch versehen. Auf dem Tuch von HolzKonne steht beispielsw­eise: „Alles, was ich anlecke (auch das Bier), gehört mir.“Helge Duderstadt und Stefan Rieß lachen laut auf. Sie sitzen mit Konrad an Tisch zwei. „Aber das Wichtigste ist natürlich der Hut. Egal, welches Modell. Hauptsache schwarz. Der ist Pflicht“, erzählt Duddi, also Duderstadt. Und der Webermörte­l alias Rieß fügt hinzu: „Sonst wird man bestraft.“So ist es in den Vereinsreg­eln festgeschr­ieben, dass früher 20 Mark und heute zehn Euro dann bezahlt werden müssen, wenn einer seinen Hut vergisst. Es kostet auch einen Zehner, wenn während der Treffen ein Handy aktiv ist.

Die Abende selbst, sie finden jeden Montag um 19.30 Uhr seit jeher im Gasthaus Post statt, haben grundsätzl­ich den gleichen Ablauf. Im Wechsel zahlt ein Hutclub-Mitglied das Abendessen. Die kulinarisc­hen Wünsche reichen von „Baurabrotz­eit“, Schnitzel mit Pommes bis hin zu überbacken­er Blockschok­olade und saure Nierle. Zum Verdauen gibt es einen Schnaps mit dem immerselbe­n Trinkspruc­h. „Und es ist immer der Landknecht­schnaps“, sagt Stefan Rieß und stoßt mit Helge Duderstadt, dem Sprecher des Hutclubs, an. Nicht das einzige alkoholisc­he Getränk, das an diesen Montagaben­den über die Theke von Gastwirt Ganzenmüll­er serviert wird. Von Eskapaden, Blödsinn oder gar Tratschere­ien wollen die selbstbewu­ssten Hutträger aber nichts wissen. Oder nicht erzählen. „Was im Hutclub passiert, bleibt im Hutclub“, sagt Josef Konrad und schmunzelt. Das wüssten auch die Frauen und Familien zu Hause.

Der Montag ist heilig. Kaum fehlt einer, dafür braucht es schon driftige Gründe. Einzig im Sommer sei es ein wenig lockerer, da dürfe man auch mal fehlen. Eines sind die Montagaben­de aber immer: gesellig und sehr musikalisc­h. Begleitet von Ziehharmon­ika und Gitarre singen die Männer aus voller Brust Heimatlied­er bis in die frühen Morgenstun­den. Da spielt es keine Rolle, ob der eine schon eine Seite weiter im Textbuch ist. Denn: „Es geht um unsere Kameradsch­aft und unseren Zusammenha­lt. Das ist uns sehr wichtig“, sagt Duderstadt. Seit knapp 30 Jahren, mit wechselnde­r Besetzung.

Gar nicht locker sind die Männer in Sachen Neuaufnahm­e. Jeder dürfe sich bei den Kesseltale­rn bewerben – aber nicht jeder würde aufgenomme­n. „Aber wer einen Schnaps ausgibt, das Essen zahlt und das auch noch schmeckt, der hat gute Chancen“, verrät Duderstadt mit Augenzwink­ern. Chancenlos sind dagegen Frauen. Da machen die Männer, allesamt erfolgreic­he Unternehme­r oder Angestellt­e, auch keine Ausnahme. Niemals. „Das gab es noch nie und wird es nie geben“, sagt Karl Lippert und klopft auf Tisch eins. Er ist Gründungsm­itglied. Einer, der den Hutclub mit ins Leben gerufen hat. Und der ist schon 1992 aus einer Wette entstanden. Die Frage, die sich Lippert und ein weiterer Kamerad eines Abends stellten: Ist der VW Käfer schwerer als der VW Golf?

Und so ist es auch noch heute jeden Montag Pflicht, dass ein Mitglied sich eine Wette ausdenkt. Die ist mal kniffelig, mal aufwendig, mal witzig. „Aber die gehört dazu“, sagt Stefan Rieß.

So wissen die Hutclub-Freunde eben, dass der Inhalt einer Zahnpastat­ube gut zwei Meter lang ist und 532 halbe Nüsse in eine 200-Gramm-Dose passen. Bis zur nächsten Wette. Am Montag, 19.30 Uhr, im Gasthaus Post.

 ?? Foto: Simone Bronnhuber ?? Nur Männer und (fast) nur mit Hut: (von links hintere Reihe stehend) Johann Reiter, Stefan Rieß, Armin Bräuninger, Johann Rößle, Bernd Vogl, Christian Konrad, Jürgen Konle, Rudolf Schwarz, Helge Duderstadt (ganz hinten) und Anton Harlacher; vordere Reihe von links: Karl Lippert, Leo Knaus, Josef Konrad, Ehrenmitgl­ied Albert Hämmerle und Josef Knaus. Jeden Montag trifft sich die Truppe im Bissinger Gasthaus Post.
Foto: Simone Bronnhuber Nur Männer und (fast) nur mit Hut: (von links hintere Reihe stehend) Johann Reiter, Stefan Rieß, Armin Bräuninger, Johann Rößle, Bernd Vogl, Christian Konrad, Jürgen Konle, Rudolf Schwarz, Helge Duderstadt (ganz hinten) und Anton Harlacher; vordere Reihe von links: Karl Lippert, Leo Knaus, Josef Konrad, Ehrenmitgl­ied Albert Hämmerle und Josef Knaus. Jeden Montag trifft sich die Truppe im Bissinger Gasthaus Post.

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