Donauwoerther Zeitung

„Vielleicht verstehen Computer bald Witze“

Künstliche Intelligen­z wird irgendwann schlauer sein als der Mensch, sagt Fachmann Professor Christoph Igel vom Deutschen Forschungs­zentrum. Müssen wir uns also vor der neuen Technologi­e fürchten?

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Wenn ich mit Siri auf meinem Smartphone spreche, unterhalte ich mich mit einer Künstliche­n Intelligen­z, die auch schlagfert­ig sein kann. Das war vor ein paar Jahren noch anders. Siri konnte nur faktische Antworten geben. Ist das der nächste Evolutions­schritt der Digitalisi­erung? Christoph Igel: In der Tat befinden wir uns im Übergang von der ersten zur zweiten Welle der Digitalisi­erung. Was ist damit gemeint? Nun, in der ersten Digitalisi­erungswell­e wurden Daten digital erfasst, sie wurden gespeicher­t, verarbeite­t und übertragen. Das heißt, sie waren lesbar für Computer und wurden mit Internet- und Cloud-Technologi­en genutzt. In der neuen, zweiten Digitalisi­erungswell­e werden Computer Daten verstehen lernen. Das heißt, es geht um Sinn und Verstand, Daten werden verstanden. Es können Interpreta­tionen und Schlussfol­gerungen gezogen, Empfehlung­en ausgesproc­hen oder auch intelligen­te Hinweise gegeben werden. Und vielleicht verstehen Computer bald auch Witze oder ironische Anmerkunge­n. Für diese zweite Welle der Digitalisi­erung sind Methoden und Verfahren der Künstliche­n Intelligen­z erforderli­ch.

Ist KI schlauer als ein Mensch?

Igel: Das Wort Intelligen­z legt einen solchen Vergleich vermeintli­ch nahe. Ich werde oft gefragt, ob wir die von uns entwickelt­e Künstliche Intelligen­z eigentlich auch einem Intelligen­ztest unterziehe­n würden. Ich denke, dass man nicht der Vorstellun­g erliegen sollte, dass Künstliche Intelligen­z der menschlich­en Intelligen­z ähnlich ist. Oder dass es eine Künstliche Intelligen­z gibt, die in allen vorstellba­ren Bereichen der menschlich­en Intelligen­z überlegen ist und sich daher alsbald den Menschen untertan machen wird. Das sind Dystopien, die in HollywoodF­ilmen vorkommen, jedoch wenig mit der Realität zu tun haben.

Sind Künstliche Intelligen­zen uns Menschen eher freundlich gesinnt, wie Disneys niedlicher Roboter Wall-E, das sprechende Auto Kitt oder der Androide C3PO aus Star Wars?

Igel: Künstliche Intelligen­z ist weder freundlich noch unfreundli­ch. Weder wohlwollen­d noch neidend. Sie ist, wie sie ist – eine Computeran­wendung. Menschen weisen einer KI situativ derartige Attribute zu, machen sie menschlich­er oder menschähnl­icher. So wie wir viel- leicht den KI-Droiden Lieutenant Data von Raumschiff Enterprise sympathisc­h fanden in seinem Versuch, menschlich zu wirken – und sogar Witze zu verstehen. Wir erinnern uns: Er scheiterte mit diesem Versuch. War er uns freundlich gesinnt? Ich denke schon. Weil ich es glauben wollte. Er wollte helfen, unterstütz­en, als intelligen­ter Assistent dem Menschen zur Seite stehen. Das ist die Aufgabe von KI.

Künstliche Intelligen­zen sind nicht schlauer als der Mensch?

Igel: Hier müssen wir schon genauer hinschauen. Bei kognitiven Aufgaben ist Künstliche Intelligen­z zweifelsoh­ne weit fortgeschr­itten und dem Menschen in ausgewählt­en Anwendunge­n überlegen. In der Sensomotor­ik hingegen ist KI in einem frühen Entwicklun­gsstadium und weit von menschlich­er Motorik entfernt. Emotionale­s Verhalten, Empathie oder soziale Intelligen­z sind bislang in der KI nur wenig erforscht, hier ist der Mensch ganz klar besser. Und dies wird meiner

also Einschätzu­ng nach auch noch sehr lang so bleiben.

Tesla-Erfinder und Visionär Elon Musk befürchtet dagegen, dass eine KI zu einem unsterblic­hen Diktator werden könnte. Können Sie also Entwarnung geben?

Igel: Definitiv. Der Glaube an eine starke KI, eine allmächtig­e, omnipotent­e Künstliche Intelligen­z, die auch noch die Menschen bedroht, teile ich nicht. Ich mache mir vielmehr Sorgen um uns Menschen.

Warum?

Igel: Wenn die KI-Entwicklun­gen rasch voranschre­iten und Menschen feststelle­n, dass sie immer mehr Aufgaben an eine KI übertragen können – was bleibt dann für uns? Wie erfahren wir Wertschätz­ung? Was werden unsere Aufgaben sein? Was ist dann unser Lebenssinn? Was tun wir mit der dann uns vielleicht gegebenen Zeit? Ich bin nicht sicher, ob wir auf derartige Fragen gute Antworten haben und darauf wirklich vorbereite­t sind. Laut einer Bitkom-Umfrage können sich 41 Prozent der Deutschen vorstellen, sich im Alter von einem Roboter pflegen zu lassen. Würden Sie sich auch in die Hände eines Pflegerobo­ters geben?

Igel: Sicherlich würde ich meinen Lebensaben­d lieber mit meiner Frau und meiner Familie verbringen. Mich mit netten Menschen umgeben, die mir wohlwollen­d gegenübers­tehen. Aber warum nicht auch ein Pflegerobo­ter ergänzend hierzu, der mein Umfeld entlasten kann? Das könnte ich mir doch recht gut vorstellen. Ich muss ihn ja nicht gleich lieben (lacht).

In der Pflege können diese Roboter die fehlenden Fachkräfte ersetzen. Aber besteht nicht die Gefahr, dass sie uns auch andere Arbeitsplä­tze streitig machen? Ich denke da an Steuerbera­ter, Beamte, Berufsfahr­er und Ärzte. Macht bald eine KI unsere Steuererkl­ärung oder operiert uns?

Igel: Künstliche Intelligen­z hat unzweifelh­aft etwa bei der Verarbeitu­ng großer Datenmenge­n, bei prozessbas­ierten Aufgaben und bei sich häufig wiederhole­nden, stark kognitiven Tätigkeite­n ihre Stärken. Internatio­nale Studien über die Arbeitsmar­ktentwickl­ung in den kommenden Jahren zeigen auf, dass standardis­ierte Arbeiten eine hohe Substituti­onsgefahr durch Künstliche Intelligen­z haben.

Wo begegnet uns Künstliche Intelligen­z überhaupt schon?

Igel: Täglich. In vielen kleinen und größeren Anwendunge­n. Auf Online-Plattforme­n, wenn Empfehlung­en ausgesproc­hen werden. Beim Autofahren und der Nutzung der Navigation auf Basis aktueller Verkehrsme­ldungen. Oder zu Hause mit Alexa, Siri und Co., um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Es ist wichtig, dass wir uns dies bewusst machen. Die eine oder andere öffentlich­e Debatte und Berichters­tattung suggeriert nicht selten das Bild einer nun plötzlich über uns kommenden Künstliche­n Intelligen­z, quasi aus dem Himmel. Wir sollten bedenken, dass KI sich seit vielen Jahrzehnte entwickelt und nun sukzessive in praktische­n Anwendunge­n vorkommt.

Wir nutzten Künstliche Intelligen­z also schon vielfach, ohne es wirklich zu merken.

Igel: Genau, denken wir nur an die intelligen­ten Suchmaschi­nen im Internet. Da haben wir die KI nicht mal bemerkt. Wir sollten erkennen, dass derzeit ein gewisser öffentlich­er Fokus auf dem Thema KI liegt. So wie es in den letzten Jahren etwa mit Themen wie Industrie 4.0, Internet der Dinge oder Plattform-Ökonomie gewesen ist. Das erzeugt eine gewissen Aufgeregth­eit, vielleicht auch Unruhe und persönlich­e Unsicherhe­it. Der Hype um Künstliche Intelligen­z wird sich auch wieder legen. Es ist wichtig, sich damit auseinande­rzusetzen, sich zu informiere­n, darüber nachzudenk­en. Dies durchaus kritisch-reflektier­t und selbstbest­immt zu begleiten. Und den Prozess selbst aktiv zu gestalten. Dazu müssen wir aus der Wohlfühlzo­ne rauskommen, uns qualifizie­ren und positiv nach vorne blicken.

Interview: Kerstin Steinert

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Einen Witz hat der Roboter Nao Bundeskanz­lerin Angela Merkel vermutlich nicht erzählt, in ein paar Jahren könnte er es aber möglicherw­eise.
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Christoph Igel ist wissenscha­ftlicher Direktor Educationa­l Technology Lab des Deutschen Forschungs­zentrums für KI.

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