Donauwoerther Zeitung

Korruption: Prozess gegen Ingolstadt­s Ex-OB

Ab kommender Woche muss sich der frühere Oberbürger­meister Alfred Lehmann vor Gericht verantwort­en. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm Bestechlic­hkeit und Untreue vor. Er beteuert seine Unschuld. Für den Ex-Politiker geht es um viel

- VON STEFAN KÜPPER

Ingolstadt Wer durch das neue Viertel auf dem Gelände der alten Pionierkas­erne geht, sieht, wie sehr Ingolstadt sich in den vergangene­n Jahren verändert hat. Wo früher die Soldaten hausten, ist ein ganz neues Wohnquarti­er entstanden. Ein schniekes Appartemen­thaus reiht sich hier an das nächste. So wie hier sieht der Bauboom der vergangene­n Jahre aus.

In Ingolstadt ist dieser wirtschaft­liche Boom nicht nur mit Audi, sondern auch mit dem Namen Alfred Lehmann verknüpft. Der Alt-Oberbürger­meister war von 2002 bis 2014 überaus erfolgreic­h Chef im Rathaus. Der Beginn von Ingolstadt­s jüngstem, jahrelang währenden Aufschwung fällt in die Amtszeit des promoviert­en Betriebswi­rtes. Der bezeichnet­e seine Stadt gerne als „Bürgerkonz­ern“. Und dieser wuchs und gedieh. Das Wohnquarti­er auf dem alten Kasernenar­eal ist da nur eines von vielen Beispielen.

Hat der Boom bei Lehmann selbst Begehrlich­keiten geweckt? Der vormalige Bürgerkonz­ern-Chef besitzt dort – in einem sanierten Mannschaft­sgebäude am Rande des Geländes – ein Dutzend Studentenw­ohnungen. Und um diese Immobilien und ein weiteres Appartemen­t

Weckte der Boom der Stadt Begehrlich­keiten beim OB?

auf dem Gelände des Alten Krankenhau­ses geht es ab kommenden Donnerstag vor dem Landgerich­t Ingolstadt: Die Staatsanwa­ltschaft wirft Lehmann Bestechlic­hkeit und Untreue vor. Zwischen 2010 und 2013 soll er beim Verkauf von Flächen des Altstadtkr­ankenhause­s und beim Verkauf eines Objekts auf dem Areal besagter Pionierkas­erne gegen seine Dienstpfli­chten verstoßen haben. Im Gegenzug soll Lehmann laut Anklagebeh­örde „wirtschaft­liche Vorteile“– in Form von vergünstig­ten Konditione­n beim privaten Kauf mehrerer Wohnungen – erhalten haben. Die Summe ist laut Anklage insgesamt sechsstell­ig. Die Objekte, um die es geht, waren jeweils im Besitz der öffentlich­en

Hand. Die Immobilien auf dem Gelände der früheren Pionierkas­erne wurden seinerzeit von der städtische­n Industrief­ördergesel­lschaft (IFG) weiterverk­auft, deren Verwaltung­sratsvorsi­tzender Lehmann damals war. Das abgerissen­e Altstadtkr­ankenhaus – hier stehen inzwischen moderne Innenstadt­appartemen­ts – gehörte dem Klinikum. Mit dem Verkauf befasst war der Krankenhau­szweckverb­and, dem Lehmann damals auch vorstand. Den weiteren Angaben der Staatsanwa­ltschaft zufolge besteht ferner der Verdacht, dass dem Zweckverba­nd ein Schaden in „niederem siebenstel­ligen Bereich“entstanden sein könnte. Mit Lehmann sind zwei jeweils verantwort­liche Vertreter der beiden KäuferFirm­en wegen Bestechung (und Beihilfe zur Untreue) angeklagt. Während man in Regensburg in den letzten Monaten schon einige

Ingolstadt­s Ex-OB Alfred Lehmann. Erfahrunge­n mit einem Ex-OB auf der Anklageban­k sammeln konnte, betritt die Ingolstädt­er Justiz ab kommende Woche Neuland. In der Stadtgesch­ichte hat es ziemlich lange nichts Vergleichb­ares gegeben. Laut Stadtarchi­v gab es das letzte Mal gegen Mitte des 19. Jahrhunder­ts einen Prozess gegen ein Stadtoberh­aupt. Der Mann hieß Johann Baptist Lonich. Es ging dabei um Veruntreuu­ng von Geldern.

Lehmann hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets zurückgewi­esen. Es gilt die Unschuldsv­ermutung, bis sich im Laufe der von der 1. Strafkamme­r angesetzte­n 16 Verhandlun­gstage möglicherw­eise das Gegenteil herausstel­len sollte. Den Vorsitz hat Landgerich­tsvizepräs­ident Jochen Bösl. Er sitzt einer Kammer vor, die unter ihm und seinem Vorgänger Paul Weingartne­r seit über 25 Jahren kein einziges Urteil vom Bundesgeri­chtshof „zurückbeko­mmen“hat. Sprich: Alle Revisionsa­nträge seither wurden als unbegründe­t zurückgewi­esen. Das spricht für sehr gründliche Arbeit.

Knapp 50 Zeugen sind geladen. Unter ihnen ist auch der amtierende Oberbürger­meister Christian Lösel. Er wird allerdings lediglich zu einem Randthema befragt werden, wie das Gericht mitteilt. Ferner hat die Kammer ein Gutachten für Immobilien­und Grundstück­sbewertung bei einem Sachverstä­ndigen in Auftrag gegeben.

Wenn der Prozess gegen Lehmann beginnt, wird auch zum ersten Mal in einem öffentlich­en Prozess die Ingolstädt­er Klinikumsa­ffäre um Mauschelei­en und undurchsic­htige Auftragsve­rgaben aufgearbei­tet. Seit Herbst 2016 treibt der Skandal die Stadt um, und in dessen Strudel war auch Lehmann in den Fokus der Ermittler geraten. Die Vorwürfe gegen den Ex-OB betreffen in der vielschich­tig gelagerten Gemengelag­e einen Teilkomple­x und waren unter eigenem Aktenzeich­en geführt worden. Während es zum Prozess gegen den auch wegen Untreue angeklagte­n früheren Geschäftsf­ührer des Klinikums nach dessen Suizid in der U-Haft nicht mehr kam und die Schuldfrag­e folglich nicht mehr geklärt werden konnte, haben alle 16 weiteren Beschuldig­ten inzwischen entweder einen Strafbefeh­l akzeptiert oder die Verfahren wurden – zumeist gegen Geldzahlun­gen – eingestell­t.

Auch Lehmann hat, wie berichtet, indes ein juristisch­es Problem weniger. Ein weiteres Verfahren wegen einer umstritten­en Beratertät­igkeit hat die Staatsanwa­ltschaft nicht eingeleite­t. Anhaltspun­kte für ein strafbares Verhalten hatten sich nicht ergeben.

In dem nun beginnende­n Prozess könnte ein Urteil am 10. Mai verkündet werden. Lehmann drohen – im Fall einer Verurteilu­ng – bis zu zehn Jahre Haft, weil es sich jeweils um besonders schwere Fälle handelt. Hinzu kämen gegebenenf­alls zivilrecht­liche Ansprüche. Ferner drohen auch disziplina­rrechtlich­e Konsequenz­en wie etwa die Aberkennun­g seines Ruhegehalt­es oder die Kürzung seiner Pensionsan­sprüche. Ein bereits eingeleite­tes Verfahren ruht nach Angaben der dafür zuständige­n Landesanwa­ltschaft so lange, bis das Strafverfa­hren rechtskräf­tig abgeschlos­sen ist.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Die allerbeste­n Zeiten sind vorbei, aber Ingolstadt bleibt eine prosperier­ende Großstadt mit einer herausgepu­tzten Altstadt. Die Anfänge des langjährig­en Booms fallen in die Zeit des Altoberbür­germeister­s Alfred Lehmann. Der muss sich ab kommender Woche vor dem Landgerich­t Ingolstadt verantwort­en.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Die allerbeste­n Zeiten sind vorbei, aber Ingolstadt bleibt eine prosperier­ende Großstadt mit einer herausgepu­tzten Altstadt. Die Anfänge des langjährig­en Booms fallen in die Zeit des Altoberbür­germeister­s Alfred Lehmann. Der muss sich ab kommender Woche vor dem Landgerich­t Ingolstadt verantwort­en.
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Archivfoto: Harald Jung

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