Donauwoerther Zeitung

Schlecht gemessen ist gut gelaufen

- VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger-allgemeine.de

„Der Mangel an mathematis­cher Bildung gibt sich durch nichts so auffallend zu erkennen wie durch maßlose Schärfe im Zahlenrech­nen.“

Wenn wir den großen Mathematik­er Carl Friedrich Gauß hier richtig verstehen, sollten wir Zahlen prinzipiel­l misstrauen, weil sie uns oft gewaltig auf den Holzweg führen. Ganze Generation­en von Kindern haben gelitten, weil ein Schlaumeie­r den Eisengehal­t in 100 Gramm Spinat mit 35 Milligramm berechnet hat. 35 Milligramm für Wachstum, Knochenbau, Blutbildun­g und einen Haufen Einser im Zeugnis – also pflatschte die grüne Pampe wenigstens dreimal die Woche auf den Kindertell­er. Und bevor nicht aufgegesse­n war, gab es kein Bonanza. Später stellte sich heraus, dass die Kinderqual völlig sinnlos war. Der Kerl hatte sich um eine Dezimalste­lle verrechnet. Nicht nur auf dem Teller, auch in der Natur hat der Zahlenglau­be sein irres Werk verrichtet. Generation­en von Schülern paukten über den Rhein, er sei 1320 Kilometer lang – bis jemand den Zahlendreh­er entdeckte. 1230 statt 1320 Kilometer. So verdreht ist die Welt, wenn sie auf Zahlen baut. Davor ist zuallerlet­zt der Leistungss­port geschützt, der alles in Zeiten, Weiten und Ergebnisse zerlegt. Das bleibt nicht ohne Unschärfen. Im Vertrauen auf die unbestechl­ichen Zeitmesser ihrer Heimat feierte die Schweizer Skifahreri­n Joana Hählen den ersten Podestplat­z ihrer Karriere. Leider musste sie wieder von dort herunter, weil 13 Hundertste­l subtrahier­t statt addiert wurden.

Und dann erst diese Weltklasse­zeiten beim Marathon in Abu Dhabi. Waren so lange beeindruck­end, bis jemand die Stecke nachgemess­en hat. Wendemarke verschoben, 200 m zu kurz. Wer hier allerdings ein Versehen vermutet, kennt sich im Sport nicht aus. Ähnlich verhielt es sich schon 40 Jahre zuvor auf einer Schulsport­anlage in Augsburg. 100-m-Lauf zur Ermittlung der Sport-Noten. Der Lehrer bat, die Strecke auszumesse­n. Ein Schüler, der das Wohl der Klasse im Blick hatte, rollte sein Maßband bei 90 Metern ein. So schnell ist später nie mehr einer von denen 100 Meter gelaufen.

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Foto: dpa Als Sportler unauffälli­g, schaffte er es dennoch auf den Zehn-Mark-Schein: Carl-Friedrich Gauß.
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