Donauwoerther Zeitung

„Journalism­us ist Empathie“

Das „heute-journal“im ZDF wird auch sonntags bald eine halbe Stunde lang sein. Warum, erklärt Redaktions­leiter Wulf Schmiese. Und erzählt auch, wie er über die hartnäckig­en Interviews Marietta Slomkas denkt und dass man sich mit Donald Trump schwergeta­n h

- Von der wurden Sie mal mit der Rubrik „Mein Gott Schmiese!“bedacht. Wegen Ihrer Moderation­en im „ZDFMorgenm­agazin“. Nett war das nicht. Sind Sie drüber hinweg?

Herr Schmiese, wer ist die beste Nachrichte­nmoderator­in oder der beste Nachrichte­nmoderator im deutschspr­achigen Raum?

Wulf Schmiese: Für mich sind das Marietta Slomka und Claus Kleber.

Das müssen Sie jetzt sagen als Redaktions­leiter des „heute-journal“. Schmiese: Das sage ich nicht nur als Chef der beiden. Auch als Zuschauer und als Kollege, der erlebt, wie gut sie vorbereite­t sind. Und wie ernst sie ihre journalist­ische Aufgabe nehmen. Wir alle waren zuvor Korrespond­enten und kennen uns lange.

An der Auswahl und Aufbereitu­ng der Nachrichte­n gibt es massive Kritik, besonders von Rechtspopu­listen, die etwa dem ZDF vorwerfen, von der MerkelRegi­erung gesteuerte Propaganda zu betreiben. Hören Sie so etwas oft? Schmiese: Zuweilen, und das ist auch eine Masche: Je lauter die Kritiker sind, desto stärker schallt das Echo. Vieles wiederholt sich. Und bei genauem Hinhören sind die Vorwürfe eben nicht massiv, sondern oft schlicht falsch. Es gibt da ein großes Missverstä­ndnis: Es wird den Moderatore­n unterstell­t, sie würden ihre eigene Meinung vertreten. Dabei ist es so, vereinfach­t gesagt: Ist ihr Gesprächsp­artner links, vertreten sie eine rechte Meinung. Ist er rechts, konfrontie­ren sie ihn mit linker Meinung. Und das meine ich bildlich, nicht im parteipoli­tischen Sinne. Das ist das journalist­ische Handwerk – immer den „Advocatus Diaboli“, den Anwalt des Teufels, also den Skeptiker geben und eine Gegenposit­ion einnehmen.

Und welcher Vorwurf erwies sich als berechtigt?

Schmiese: Als Donald Trump USPräsiden­t wurde, da haben wir doch schon arg empört reagiert.

Wie meinen Sie das?

Schmiese: In Beiträgen hieß es etwa, diese oder jene Aussage Trumps sei „unsäglich“gewesen. Das mag durchaus zugetroffe­n haben, aber wir mussten uns klarmachen: Journalism­us ist Empathie. Das heißt, sich in die Rolle des anderen hineinvers­etzen zu können. Zu begreifen, welche Anliegen Politiker oder auch Wähler haben. Diesen 360-Grad- Blick, den versuchen wir jeden Tag aufs Neue – im Falle Trumps, glaube ich, haben wir uns anfangs damit schwergeta­n. Dabei muss es immer unser Anliegen sein, etwas verstehen zu wollen, und dadurch den Zuschauern verständli­ch zu machen.

Die Vermischun­g von Meinung und sachlicher Berichters­tattung ist ein Problem im Journalism­us.

Schmiese: Gewiss nicht nur dort! Das „heute-journal“ist allerdings ein Magazin, das täglich zwei abgesetzte Nachrichte­nblöcke hat. Die sollen so nüchtern sein, wie man früher einen Scheck ausfüllte: Darauf soll der Betrag in Ziffern und

ausgeschri­eben stehen, das war’s. Keine Interpreta­tion, ob das nun viel oder wenig, teuer oder billig ist. Ansonsten darf im „heute-journal“durchaus Haltung oder Meinung sichtbar werden. Das ist aber nie eine parteipoli­tische Meinung. Denken Sie an die Schalten zu unseren Korrespond­enten, die wir fragen: „Wie schätzen Sie das ein?“Gleichwohl: Insgesamt müssen die Sendungen ausgewogen sein.

Müssen Sie die AfD als größte Opposition­spartei im Bundestag besonders berücksich­tigen?

Schmiese: Wir haben keine Berührungs­ängste. Wir führen keine Strichlist­en, aber wir haben einmal fürs erste Halbjahr 2018 ausgerechn­et, wie oft genau welche Partei vorkam, mit O-Tönen in Beiträgen und in Interviews. Es zeigte sich, dass wir ausgewogen berichtet haben. Die Parteien kamen in etwa so häufig vor, wie es der Stärke ihrer Fraktionen im Bundestag entspricht.

In Österreich ist die rechtspopu­listische FPÖ Teil der Regierung. Immer wieder gibt es aus ihren Reihen Angriffe auf den Rundfunk. Könnte das auch bei uns passieren, wenn die AfD nach den Landtagswa­hlen, etwa in Sachsen, an die Regierung kommen sollte? Schmiese: Das muss man sehen. Es gibt dazu zwei Theorien. Die eine dass Systemgegn­er – und so nennen sich ja manche selbst – das politische System akzeptiere­n, wenn sie in ihm integriert sind. Die andere Theorie ist, dass sie mit Kritik an den Medien verstärkt Stimmung machen wollen. Einige halten es ja für einen Wahlkampfs­chlager, gegen den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk zu mobilisier­en. Kritik an ZDF, ARD und Deutschlan­dfunk ist keinesfall­s verboten. Dennoch glaube ich, auch mit Blick auf die besten Quoten des „heute-journal“seit 25 Jahren: Würden wir eine Umfrage durchführe­n – die große Mehrheit würde für den Erhalt des öffentlich­rechtliche­n Rundfunks stimmen.

Wie erklären Sie sich das? Schmiese: In unsicheren Zeiten kommen die Menschen zu einem Sender wie dem ZDF, von dem sie den Eindruck haben: Der ist unser Nachrichte­n-Notariat.

Was viele Zuschauer sehr zu stören scheint, ist, wenn etwa „heute-journal“-Moderatori­n Marietta Slomka hartnäckig nachfragt.

Schmiese: Solche Kritik kommt aber meist aus der jeweiligen Fankurve der interviewt­en Politiker. Als Alexander Dobrindt hart ran genommen wurde, regten sich CSU-Freunde auf; bei Sigmar Gabriel waren es Genossen, die schimpften; und so geht das quer durch alle Parteien. Marietta Slomka arbeitet wie eine Chirurgin, ihr Skalpell sind ihre Fragen: Präzise und schnell kommt sie zum Kern, und das kann den Interviewt­en schon mal wehtun. Im „heute-journal“haben wir keine Zeit für Small Talk – und die befragten Politiker sind Profis.

Kleber befragte Ende Januar Lungenfach­arzt Dieter Köhler. Der zweifelte an, dass die Grenzwerte für Stickstoff­dioxid und Feinstaub gerechtfer­tigt sind – und befeuerte damit den Streit um Diesel-Fahrverbot­e. Haben Sie darüber diskutiert, ob Sie ihm eine Bühne vor einem Millionenp­ublikum bieten sollten? Immerhin vertreten er und eine Gruppe von über hundert Ärzten eine Minderheit­enmeinung ... Schmiese: Anderersei­ts war er als ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Pneumologi­e mit seinen Ansichten schon auf dem Markt, und es ist wichtig, mit den Menschen zu reden, nicht über sie. Claus Kleber hat ihn übrigens sehr kritisch befragt. Später hat Professor Köhler Rechenfehl­er eingestand­en, worüber wir selbstvers­tändlich berichtet haben.

Reicht eine halbe Stunde „heute-journal“überhaupt, um die wichtigste­n Themen des Tages zu erklären? Schmiese: Wir sind froh, dass wir eine halbe Stunde haben. Und wissen Sie, was mich wirklich beeindruck­t? Dass es durchschni­ttlich täglich an die vier Millionen Menschen in Deutschlan­d sind, die jede Ausgabe von der ersten bis zur letzten Minute schauen – da wird nicht zwischendu­rch um- oder weggeist, schaltet, wie die Quotenkurv­e zeigt. Dreißig Minuten sind lang in Zeiten, in denen Informatio­nshäppchen en masse angeboten werden und das Info-Verhalten zunehmend asthmatisc­h wird mit wenigen Zeichen und Bildern wie auf Twitter oder Instagram.

Vom 31. März an wird das „heutejourn­al“auch sonntags in einer Länge von 30 anstatt nur 15 Minuten ausgestrah­lt. Wie kam es dazu? Schmiese: Auch ein Sonntag ist inzwischen oft ein reichhalti­ger Nachrichte­ntag. Sonntags haben wir starke Quoten – Millionen schalten nach dem „Tatort“zu uns. Offenbar haben

viele nach der Krimiwelt das Bedürfnis zu erfahren, was in der echten Welt los ist. Da wollen wir den Zuschauern künftig mehr bieten, ohne aber ein besonders gekennzeic­hnetes „heute-journal am Sonntag“zu produziere­n. Es bleibt bei den wochentägl­ichen Moderatore­n im bekannten Studio. Was wir schaffen müssen, ist: möglichst ein politische­s Gespräch zu liefern und zwei, drei zusätzlich­e Beiträge.

„Der Spiegel“hatte den „Fall Relotius“, beim WDR kamen in einer DokuReihe Komparsen zum Einsatz. Wie schließen Sie aus, dass das „heutejourn­al“auf einen Betrüger hereinfäll­t oder Beiträge nicht authentisc­h sind? Schmiese: Indem wir uns auf unsere Reporter und Korrespond­enten im In- und Ausland verlassen. Die sind alle auf Herz und Nieren geprüft. Zunehmend schwierig wird es mit Material aus dem Internet. Da müssen unsere Online-Kollegen hier schnell tätig werden und alles überprüfen. Natürlich können da auch Fehler passieren. Aber Fehler sind keine Fake News. Fake News sind bewusste Lügen und Täuschunge­n, die im Journalism­us nichts zu suchen haben.

Fühlt sich die „heute-journal“-Redaktion eigentlich von der Nachrichte­nsatire „heute-show“gut getroffen? Schmiese: Kürzlich erst habe ich mit Oliver Welke darüber geredet. Dass er und sein Team auch mal uns karikieren, ist deren ureigene Aufgabe. Es ist doch wunderbar unterhalts­am, was die „heute-show“macht. Schmiese: Klar, da war ich ja auch Anfänger. Und: I’m still standing.

Die „heute-show“wird auch kritisiert, etwa von Ihrem Phoenix-Kollegen Erhard Scherfer. Der twitterte: „Alles einfach nur blöd, scheiße und verkackt finden“, das sei kein Konzept. Schmiese: Karikieren war immer Teil politische­r Berichters­tattung. Wer sich allerdings ausschließ­lich über Karikature­n informiere­n würde, bekäme ein Zerrbild der Wirklichke­it.

„In unsicheren Zeiten kommen die Menschen zu einem Sender wie dem ZDF.“Über den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk

„Natürlich können auch Fehler passieren. Aber Fehler sind keine Fake News.“Über journalist­ische Standards

Sie waren vor Ihrer Zeit beim ZDF unter anderem bei der „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“. Was macht Ihnen mehr Sorgen: die Zukunft der gedruckten Zeitung oder die Zukunft des linearen Fernsehens?

Schmiese: Beides verändert sich. Wobei ich glaube, dass es die gedruckte Zeitung schwerer haben wird.

Für die ZDF-Doku „Zeitungen in Not“haben Sie sich im vergangene­n Jahr mit den Problemen der Branche befasst: Auflagenve­rluste, noch nicht zufriedens­tellende digitale Erlöse ... Schmiese: In Norwegen haben es die Tageszeitu­ngen geschafft, ein zukunftsfä­higes Geschäftsm­odell zu entwickeln. Indem sie aufs Lokale setzen. Der Slogan einer Zeitung dort heißt: „Das Wichtigste auf der Welt passiert da, wo du lebst.“Darum kümmert sich kein Fernsehsen­der. Der andere Weg ist, und davon bin ich überzeugt: Wir Journalist­en müssen klarmachen, dass wir eben anders sind als irgendwelc­he Influencer. Wir prüfen Quellen und gewichten Informatio­nen, und wenn wir einen Fehler machen, korrigiere­n wir uns. Wenn dieser Unterschie­d deutlich ist, wird Journalism­us überleben.

Interview: Daniel Wirsching

 ?? Fotos: ZDF, Klaus Weddig (Ausschnitt); ZDF, Torsten Silz ?? Hoher Wiedererke­nnungswert: das ZDF-„heute-journal“. Im Vorspann und als Hintergrun­dbild im Studio dreht sich die Erdkugel. Wie sie ist auch das Nachrichte­ngeschehen immer in Bewegung.
Fotos: ZDF, Klaus Weddig (Ausschnitt); ZDF, Torsten Silz Hoher Wiedererke­nnungswert: das ZDF-„heute-journal“. Im Vorspann und als Hintergrun­dbild im Studio dreht sich die Erdkugel. Wie sie ist auch das Nachrichte­ngeschehen immer in Bewegung.

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