„Die Superfranzösin gibt es nicht“
Frankreichs Frauen werden oft als Vorbild dargestellt: Sie bekommen Kinder und Karriere bestens unter einen Hut. Die Französin Cécile Calla rechnet nun mit dem Mythos ab
Paris Dort, wo Gott angeblich lebt und es sich gut gehen lässt, nämlich anerkanntermaßen in Frankreich, kann auch die Göttin nicht weit sein. Und sie ist folgerichtig – Französin. Das heißt in der allgemein verbreiteten Vorstellung: die perfekte Frau. Sie ist nicht nur auf einzigartig lässige Weise attraktiv und trotz eines Ernährungsmixes aus Croissants, Käse, Baguette und Champagner gertenschlank, sondern mehrfache Mutter, dabei Vollzeit berufstätig, eine reizende Gastgeberin und wunderbare Köchin. So viel zur Theorie. Oder auch Fantasie.
Tatsächlich lastet diese aber auf vielen französischen Frauen, die glauben, diesem übermenschlichen Rollenbild entsprechen zu müssen. So beschreibt es Cécile Calla, französische Journalistin und Herausgeberin des Blogs Medusablaetter.com, die seit Jahren in Berlin lebt. Ihr zufolge sind die Frauen im Land großer Feministinnen wie Simone de Beauvoir oder Simone Veil nicht so entspannt frei, wie das Klischee es gerne glauben macht.
„Ihre Identität befindet sich in einem Spannungsfeld: Du musst eine perfekte Partnerin sein, arbeiten, dein soziales Leben pflegen“, sagt die Bloggerin. „Du hast nicht das Recht, zumindest für eine Zeit nur Mutter zu sein, und auch nicht das Recht, keine Mutter zu sein“, sagt Calla, die selbst zwei Kinder im Alter von sechs und zehn Jahren hat.
Sie nennt es bezeichnend, dass die Diskussion rund um die Studie der israelischen Soziologin Orna Donath über Frauen, die ihre Mutterrolle bedauern, 2015 in angelsächsisch geprägten Gesellschaften oder auch in Deutschland ein starkes Echo fand, nicht aber in Frankreich. Dort sei der bewusste Verzicht auf Kinder oder eine negative Wahrnehmung der Mutterrolle ein Tabu.
Neben Irland zählt Frankreich zu den geburtenstärksten Ländern Europas. Die Quote lag über Jahre bei rund zwei Kindern pro Frau, sank aber zuletzt kontinuierlich. Soziologen nennen als Gründe für den Rückgang ein späteres Alter der Erstgebärenden und die wirtschaftliche Krise, die weniger Optimismus zulässt. Die französische Öffentlichkeit nimmt die Entwicklung nicht ohne Sorge wahr. „Die Demografie ist eine Obsession in Frankreich“, sagt Calla. „Man glaubte ja auch, dass ein Faktor bei der Niederlage im Krieg 1870/1871 gegen Deutschland die geringere Anzahl an Menschen und an Soldaten war.“
So erhalten Familien mit mindestens drei Kindern wesentliche Steuererleichterungen. Zugleich muss sich eine Französin kaum zwischen Familie oder Karriere entscheiden: Dass sie meist kurze Zeit nach einer Geburt wieder in den Job einsteigt, gilt als üblich. Viele sind von ihrem Arbeitgeber oder aus finanziellen Gründen ohnehin dazu gezwungen, da das Elterngeld – je nach Situation – nur einige Monate gezahlt wird.
Dass es keine französische Übersetzung für das Wort „Rabenmutter“gibt und Themen wie Urvertrauen und frühkindliche Bindung vermieden werden, hat Cécile Calla zufolge auch historische Gründe. So waren in Frankreich die Ammen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert sehr verbreitet. Es ermöglichte privilegierten Frauen, schnell wieder sexuell für den Mann verfügbar zu sein und weiteren Nachwuchs zeugen zu können. Kaum einer spreche über die Schwierigkeiten einer Trennung vom Säugling nur drei Monate nach der Geburt, so Calla.
Dieses Modell sei kein Dienst an der Frau. „Man denkt fälschlicherweise, dass die französische Familienpolitik mit ihren Vorschulen, zahlreichen Krippen und Ganztagsschulen auf Feminismus beruht – dabei ist es das Ideal der kinderreichen Familie, um die Demografie zu sichern“, sagt die 41-jährige Journalistin. „Die französische Superfrau gibt es nicht, abgesehen von manchen werden wir in der Regierung prüfen“, sagt die zuständige Staatssekretärin Marlène Schiappa. „Wir können uns dabei auch an den Modellen in anderen Ländern inspirieren“, zeigt sie sich im Gespräch mit unserer Redaktion zwar aufgeschlossen. Konkretere Pläne nennt sie aber nicht.
Selbst wenn französische Mütter deutlich kürzer aussetzen als deutsche, erleben sie einen Karriereknick: Frauen sitzen auch in Frankreich deutlich seltener auf Führungsposten, im Schnitt verdienen sie 19 Prozent weniger als Männer.
Ein Kind sei immer ein Einschnitt, sagt Calla, die fordert, den daraus folgenden beruflichen Nachteil für Frauen auszugleichen: „Warum muss man den Hauptteil seiner Karriere eigentlich vor dem 40. Lebensjahr gemacht haben, wo wir heute ohnehin viel länger arbeiten?“Sie plädiert dafür, individuelle Bedürfnisse und Lebensläufe stärker zu berücksichtigen und Wahlfreiheit zu ermöglichen, um echte Gleichberechtigung zu erreichen.