Wo ist der Christus für 450 Millionen Dollar gebunkert?
Der Leonardo-da-Vinci-Experte Frank Zöllner gibt Auskunft über all das Zweifelhafte am Rekordgemälde „Salvator Mundi“
Herr Zöllner, wo steckt eigentlich das teuerste aller jemals versteigerten Gemälde, der 450 Millionen Dollar schwere „Salvator Mundi“?
Frank Zöllner: So genau wissen wir das nicht. Wahrscheinlich befindet sich das Gemälde in der Schweiz in einem Zollfreilager. Zumindest legt das die Auskunft der Restauratorin vom Mai 2018 nahe.
Und wem gehört das mehr oder weniger gute Stück wirklich?
Zöllner: Die Besitzverhältnisse sind merkwürdig. Das Gemälde wurde laut Pressemitteilungen von einem Prinzen Saudi-Arabiens für einen anderen Prinzen Saudi-Arabiens ersteigert – aber nicht für Saudi-Arabien, sondern für Abu Dhabi. Wer soll das noch verstehen?
Die angekündigte Präsentation im Louvre Abu Dhabi 2018 wurde verschoben.
Zöllner: Auf unbestimmte Zeit. Die Informationspolitik der Emirate ist professionell, aber nie vollständig.
Der Salvator sollte doch als „Zeichen der Toleranz“ausgestellt werden? Zöllner: Im Zusammenhang mit der Präsentation des „Salvator“in einem Emirat von Toleranz zu sprechen, ist schon ein starkes Stück. In diesen Ländern werden Minderheiten wie Homosexuelle verfolgt. Bei diesem „Salvator“wird ja seit längerem keine Farbe bekannt … Zöllner: Seit 2011 wartet die Fachwelt auf die Veröffentlichung des Restauratorenberichts. So weckt man kein Vertrauen. Auch die Provenienzforschung war bislang sehr selektiv: Für das 16. und 17. Jahrhundert wurde vom Auktionshaus Christie’s eine königliche Herkunft erfunden. Für das 20. Jahrhundert hat man sich dann gar keine Mühe mehr gemacht. Dabei wären die Recherchen deutlich einfacher. Das haben dann Journalisten übernommen. Aber warum wurde zum Beispiel zuvor nicht offengelegt, dass der Salvator 2005 schon einmal in einer Auktion in Amerika auftauchte? All das lässt uns nur noch kritischer werden.
Glauben Sie, der „Salvator“wird ab Oktober in der Pariser Leonardo-Ausstellung hängen?
Zöllner: Das Gemälde wurde ja schon 2011 in der Londoner National Gallery präsentiert – das kann man mit einem Echtheitsstempel vergleichen. Die Ausstellung im Louvre wäre der nächste Lackmustest. Aber die Konstellation ist schwierig, weil es Verbindungen zum Louvre Abu Dhabi gibt.
Ist der blaue Mantel für einen „Salvator Mundi“nicht ungewöhnlich? Frank Zöllner, 1956 in Bremen geboren, ist Kunsthistoriker, Hochschullehrer und Spezialist für Leonardo da Vinci und die italienische Renaissance. Er promovierte 1987 über „Vitruvs Proportionsfigur“und habilitierte sich 1995 zum Thema „Ausdruck und Bewegung bei Leonardo da Vinci“. Seit 1996 ist Zöllner Ordinarius an der Universität Leipzig. (AZ) Zöllner: Diese Fragen hat man sich bisher nicht gestellt, weil es nur um die vermurkste Verkaufs- und Herkunftsgeschichte geht. Auf Tafelgemälden ist das Gewand des „Salvator“üblicherweise rot und blau.
Lassen Sie uns hinschauen. Wie sieht es mit der Augenpartie aus? Böse Zungen sprechen von einem bekifften Blick. Zöllner: Dazu gibt es auf Facebook tatsächlich ein Foto, da hat der Salvator eine Cannabis-Tüte in der Hand. Das Auratische des Bildes hängt mit dem Sfumato zusammen, Leonardos Markenzeichen. Gerade im Gesicht, wo ich etwas Originalsubstanz vermute, ist das sehr beeindruckend. Die bislang bekannt gewordenen Fotos lassen aber vermuten, dass ein Teil dieser Aura von der Restauratorin produziert wurde. Die Augenpartien sind zudem stark beschädigt. Wenn man das neben die „Mona Lisa“von Leonardo oder neben seinen „Johannes“hält, schneidet der „Salvator“ganz schlecht ab. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man um 1500/1510 einen so surrealistischen toten Blick gemalt und akzeptiert hat.
Und die Locken?
Zöllner: Solche sehr schematisch gemalten Korkenzieherlocken gibt es in der Zeit nach 1500 nicht auf Leonardos Gemälden. In der Glaskugel sehen manche einen Leonardo-Beweis.
Zöllner: Glaskugeln sind bei Salvator-Darstellungen durchaus üblich. Die Restauratorin Dianne Dwyer Modestini behauptet allerdings, dass sie diese Kugel nach einer anderen „Salvator“-Darstellung komplett rekonstruiert hat. Das kann’s ja dann nicht sein.
Leonardo war vielleicht die größte Ideen-Schleuder der Kunstgeschichte mit einer sehr aktiven Werkstatt. Warum tun wir uns damit so schwer? Zöllner: Die heutige Suche nach einem Allein- oder Maximalautor ist wie ein Fetisch. Das ist insofern erstaunlich, als wir bei modernen Künstlerunternehmern wie Damien Hirst, Jeff Koons oder Olafur Eliasson ganz selbstverständlich akzeptieren, dass sie im großen, fast industriellen Maßstab Kunst produzieren lassen. Die Alleinautorschaft spielt da gar keine Rolle. Mir scheint, hier findet eine Verschiebung im Sinne Sigmund Freuds statt: Die für unsere Zeit verdrängte Frage nach der Alleinautorschaft darf sich nur bei Altmeistergemälden austoben.
Passend dazu wurde der „Salvator“2017 in einer Auktion für zeitgenössische Kunst angeboten.
Zöllner: Da werden die Warhols rauf und runter versteigert. Aber wir sollten mit dem Begriff Kunstmarkt vorsichtiger sein. Der überwiegende Teil betrifft Auktionen im Größenbereich von 5000 bis fünf Millionen Euro. Da finden Sie dann auch die richtigen Sammler und Kenner. Beim „Salvator“sprechen wir vom absoluten Hochpreis- und Trophäensegment, das spielt sich nur in New York und nur mit globalen Bietern ab. Für diese Käufer sind 450 Millionen Dollar doch wohl nur ein Klacks – oder Peanuts.
Zöllner: Ein amerikanischer Journalist hat die Jahresapanage des saudischen Kronprinzen mit dem Einkommen eines durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalts in Beziehung gesetzt. Für eine solche Familie entsprächen 450 Millionen Dollar ungefähr 4000 Dollar. Wir bewegen uns also in einem Getto sehr prominenter, teilweise auch politisch sehr mächtiger Leute. Die Inszenierung des „Salvator Mundi“rund um die Welt und in den sozialen Medien ist Showbusiness pur und zelebriert das Repräsentationsgebaren des neuen Adels. Man vergisst leider den „normalen“Sammler, der für die Kunst brennt und nicht für Geld. Aber wir schauen ja lieber auf diejenigen, die mit Kunst Geld verbrennen.