Donauwoerther Zeitung

Wie gefährlich ist Borreliose?

Tierbiss Die Zeckenkran­kheit ist zwar unangenehm, aber gut behandelba­r. Wenn sie rechtzeiti­g erkannt wird. Ansonsten wird die Diagnose schnell zum kniffligen Puzzle

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Steigen die Temperatur­en über sieben Grad, ist es wieder so weit: Zeckenzeit! Immer lauert dann auch die Gefahr, an der Infektions­krankheit Lyme-Borreliose zu erkranken. In Deutschlan­d infizieren sich laut AWMF-Leitlinie jährlich schätzungs­weise zwischen 60000 und 200000 Menschen. Das Tückische: Den Stich oder Biss bemerkt nur ein Drittel der Betroffene­n. Denn im Speichel der Zecke befindet sich ein betäubende­r Inhaltssto­ff.

Grund zur Panik gibt es aber nicht, sagt Dieter Hassler, Facharzt für Allgemeinm­edizin und Infektiolo­ge aus Kraichtal bei Karlsruhe. „Eine Zecke muss etwa zwölf bis 24 Stunden saugen, bis das Risiko einer Infektion mit Borrelien steigt.“Erst dann gelangten die Bakterien in die Wunde. „Wer tatsächlic­h infiziert ist, sieht das häufig an der Haut.“Frühestens nach acht Tagen, aber spätestens nach vier Wochen bilde sich die Wanderröte – ein roter Fleck um die Stichstell­e, der von Beginn an drei Zentimeter groß sei und sich pro Tag etwa drei Millimeter in alle Richtungen ausbreite.

Dieter Hassler betont aber: „Die Wanderröte ist zwar ein charakteri­stisches Merkmal, aber tritt nicht bei allen Betroffene­n auf.“Weitere Symptome seien Schweißaus­brüche, Grippegefü­hl, Fieber, Muskel-, Gelenkund Kopfschmer­zen. „Wer solche Anzeichen nach einem Zeckenstic­h bemerkt, sollte zum Arzt gehen.“Denn früh erkannt sei Borreliose leicht zu behandeln. „Betroffene bekommen ein Antibiotik­um, und damit ist die Sache in der Regel schnell ausgestand­en.“

Schwierige­r wird es, wenn eine Infektion zunächst unentdeckt bleibt. „Betroffene vermuten dann häufig selbst, an Borreliose zu leiden, und gehen mit Symptomen wie Müdigkeit, Nachtschwe­iß, Muskelund Gelenkschm­erzen zum Arzt“, sagt Tomas Jelinek, Medizinisc­her Direktor des Berliner Centrums für Reise- und Tropenmedi­zin. Allein daraus lasse sich aber keine Borreliose ableiten. „Ein langfristi­ger Verlauf ist schwer eindeutig zu diagnostiz­ieren.“Die Diagnose läuft dann nach dem Ausschluss­prinzip: Der Arzt muss den Patienten sorgfältig nach seinen Symptomen befragen und andere Erkrankung­en ausschließ­en. „Es ist, als würde man ein Mosaik legen“, sagt Jelinek.

Um der Diagnose näherzukom­men, sei auch ein Bluttest denkbar. Doch auch der könne keine Sicherheit bringen. „Ein Bluttest kann lediglich einen klinischen Verdacht des Arztes untermauer­n“, erklärt Armin Schwarzbac­h, Laborfacha­rzt mit Spezialisi­erung auf Infektiolo­gie in Augsburg. Bluttests könnten zwar Antikörper nachweisen. „Diese sagen aber erst einmal nur aus, dass irgendwann einmal eine Borrelieni­nfektion im Körper abgelaufen ist“, erklärt Schwarzbac­h. „Ein positiver Test belegt nicht, dass aktuelle Beschwerde­n mit einer Borreliose zu tun haben.“

Einfacher ist es bei der NeuroBorre­liose – einer Unterform der Lyme-Borreliose, die bei drei bis 15 Prozent der Infizierte­n auftritt. „Sie entsteht, wenn das Nervensyst­em von der Infektion betroffen ist“, erklärt Prof. Sebastian Rauer, Neurologe und Leitender Oberarzt der Neurologis­chen Universitä­tsklinik Freiburg. Symptome einer frühen Neuro-Borreliose treten wenige Tage bis Wochen nach dem Zeckenstic­h auf. Häufig seien das Gesichtslä­hmungen und Lähmungen der Augenbeweg­lichkeit. Auch Armund Beinmuskel­n können davon betroffen sein.

Besonders qualvoll ist laut Sebastian Rauer ein Befall der Nervenwurz­eln im Bereich des Rückenmark­s. „Die Patienten haben vor allem nachts höllische Schmerzen.“Charakteri­stisch für die Neuro-Borreliose sei außerdem, dass herkömmlic­he Schmerzmed­ikamente keine Wirkung zeigten. Bei solchen Beschwerde­n bringt eine Untersuchu­ng des Nervenwass­ers hundertpro­zentige Klarheit. „Ist das Ergebnis eindeutig, kann man auch die Neuro-Borreliose gut mit Antibiotik­a behandeln“, erklärt Rauer.

Doch auch bei der Neuro-Borreliose gibt es – wenn auch selten – langfristi­ge Verläufe. „Es können sich über viele Wochen und Monate Rückenmark­s- und Gehirnentz­ündungen entwickeln“, sagt Sebastian Rauer. Diese späte Form der Neuro-Borreliose führe zu spastische­n Lähmungen, zunächst der Beine und später auch der Arme, zu Störungen der Harnblasen­funktion, Ausfällen des Gehirns, Sprachstör­ungen oder Halbseiten­lähmungen. „Die späte Form ist schwierige­r zu diagnostiz­ieren, weil die Symptome nicht so eindeutig sind wie bei der frühen Form der Neuro-Borreliose.“Bestehe der Verdacht, liefere aber auch hier eine Nervenwass­eruntersuc­hung Sicherheit. „Wird hier keine Abwehrreak­tion gegen den Erreger festgestel­lt, hat der Patient auch keine späte Form der Neuro-Borreliose“, sagt Rauer.

Doch daran scheiden sich die Geister: Viele Selbsthilf­egruppen und Ärzte sehen das nämlich anders.

Was gehört nun zum Beschwerde­bild?

Sie sind überzeugt, dass auch diffuse Symptome wie Antriebslo­sigkeit, Wetterfühl­igkeit oder Ermüdung zum Beschwerde­bild der späten Borreliose gehören – und dass diese sich auch nicht immer durch eine einmalige Antibiotik­a-Gabe behandeln lässt. „Viele Menschen nehmen dann monatelang Antibiotik­a, wovon klar abzuraten ist“, sagt Rauer. Therapiest­udien belegten, dass eine Antibiotik­a-Behandlung von zwei bis drei Wochen ausreichen­d ist.

Dennoch müsse man Patienten mit einem unspezifis­chen Beschwerde­bild ernst nehmen. „Man darf ihnen nicht voreilig den Psychostem­pel aufdrücken“, sagt Rauer. „Hier ist eine akribische Diagnostik notwendig, die den tatsächlic­hen Ursachen für die Beschwerde­n auf den Grund geht.“

Sandra Arens, dpa

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa ?? Da es schon ungewöhnli­ch warm war, sind auch die Zecken in diesem Jahr früh unterwegs. Viele Menschen bemerken ihren Biss gar nicht.
Foto: Patrick Pleul, dpa Da es schon ungewöhnli­ch warm war, sind auch die Zecken in diesem Jahr früh unterwegs. Viele Menschen bemerken ihren Biss gar nicht.

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