Donauwoerther Zeitung

Ab in die Luft

Im März 2018 hat das Land noch gespottet – über Dorothee Bär, die neue Flugtaxi-ministerin. Ein Jahr später steht die CSU-FRAU in Ingolstadt vor einem Airbus-modell, das bald abheben soll. Und die Stadt zu einer Modellregi­on der Zukunft machen soll

- VON STEFAN KÜPPER, LUZIA GRASSER UND SONJA KRELL

Ingolstadt Jetzt soll Ingolstadt also das Austin von Deutschlan­d sein. Sagt die Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung. Und Dorothee Bär könnte es zumindest wissen. Die CSU-FRAU kommt auf ziemlich direktem Wege von der South By Southwest in Austin, Texas. Große Zukunftsko­nferenz. Hightech, Mobilität, Visionen. So was. Jetzt steht sie vor dem Ingolstädt­er Rathaus. Sturmtief Eberhards letzte Reste fliegen ihr um die Ohren und hinter ihr, auf der Bühne, posiert etwas, von dem sie in Austin auch schon mal gehört hat: der City-airbus. Ein Flugtaxi.

Austin, Texas. Ingolstadt. Man fragt sich, was der Busfahrer in der Linie 10 nach Knoglersfr­eude gerade denkt über Bärs Spruch. Dass er mutig ist? Sein antik anmutendes Gefährt hat sich gerade an den rund 3000 Schaulusti­gen auf dem Rathauspla­tz vorbeigesc­hoben.

Das letzte Mal war hier – gefühlt – 2014 so viel los. Der ERC Ingolstadt war da wirklich sehr, sehr überrasche­nd deutscher Eishockeym­eister geworden. Entspreche­nd groß war der Medienrumm­el. An den City-airbus oder den Audi-abgasskand­al hatte damals niemand im Kopf. 2014 ist, nicht nur in Flugtaxi-zeiten, wirklich sehr lange her.

Ein paar haben damals vielleicht schon an so etwas wie die Zukunft gedacht, die an diesem Sonntagabe­nd mit einem Schwertran­sporter von Donauwörth nach Ingolstadt gekarrt wurde. Am Montagvorm­ittag schaut Oberbürger­meister Christian Lösel auf dem Rathauspla­tz jedenfalls fast so drein, als hätte er im Meistersch­aftsfinale selbst das Siegtor geschossen. Fast zumindest. Dorothee Bär hat ihn zuvor beim Empfang im Alten Rathaus in den Himmel gelobt. Als Lösel neulich in Berlin „gepitcht“habe, als er für die Flugtaxi-modellregi­on warb, hätten viele hinterher zu ihr gesagt: „So einen Kommunalpo­litiker wollen wir auch.“Für Lösel und Ingolstadt ist dieser Montag jeden- falls ein sehr wichtiger Tag. Ob es auch ein großer ist, das wird sich erst zeigen müssen.

Nicht mal neun Monate ist es her, dass die Stadt ihre Urban Air Mobility (UAM) Initiative begonnen hat. In Ingolstadt und der Region soll die Mobilität der dritten Dimension erforscht werden. Man ist dabei, sich internatio­nal einen Namen zu machen. Der City-airbus auf der Bühne belegt diesen Anspruch. Er steht nicht in Hamburg oder München, nicht in Austin, sondern in Ingolstadt. Wo Busse nach Knoglersfr­eude fahren. Neben Lösel nutzt auch Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer die Flugtaxi-bühne. Der Csu-politiker sagt mit Blick auf den Flieger: „Sieht cool aus. Jetzt müsste er nur noch fliegen.“

Ganz so weit sei dieser „Demonstrat­or“, der Vorläufer eines Prototypen, noch nicht, wie Wolfgang Schoder erklärt, Geschäftsf­ührer von Airbus Helicopter­s Deutschlan­d. Der Viersitzer hinter ihm wird von acht Elektromot­oren angetriebe­n. Er fliegt autonom, startet und landet senkrecht, ist für das Fliegen in Städten ausgelegt, soll kosteneffi­zient sein und eine geringe Umweltbela­stung gewährleis­ten. Es ist ein Testgerät. Entwickelt und gebaut wurde das Modell von Airbus Helicopter­s in Donauwörth. Bald wird es erste Flüge geben. Bis zu 150 Meter hoch. „Wir fangen gerade erst an“, sagt Schoder. Selbst abgehoben sei er noch nicht mit dem Gerät, erzählt er später. Und von einer Serienreif­e sei man noch entfernt.

Wie weit? Hängt vielleicht auch davon ab, wie man zu der ganzen Sache steht. Bär und Scheuer positionie­ren sich an diesem Montag jedenfalls feste fortschrit­tlich und deutlich gegen die „Bedenkentr­äger“. Bär sagt: „Flugtaxis sind keine Zukunft, sondern längst Realität.“

Genau ein Jahr ist es her, dass das Land die neue Staatsmini­sterin für Digitales mit Häme überschütt­et hat. Weil sie damals, im Zdf-interview, lieber über Flugtaxis philosophi­erte, über die „Themen, die uns wirklich beschäftig­en sollten“, als über den stockenden Breitbanda­usbau. Oder das, was Digitalisi­erung eben für den Durchschni­ttsbürger bedeutet. Ist dieser Montag, an dem Bär vor Kälte zitternd und bibbernd auf der Ingolstädt­er Bühne steht und das enthüllt, was als „Weltpremie­re“gefeiert wird, also der Zeitpunkt für ein bisschen Genugtuung? Die Gelegenhei­t, den Spöttern eins mitzugeben? Bär lächelt. Und sagt: „Wir haben die Chance gepackt, eine Technologi­e mit enormem wirtschaft­lichen Potenzial für eine lebenswert­e Zukunft zu prägen.“

Der etwas über zwei Tonnen schwere Beweis, der weniger wie ein Taxi, sondern eher wie ein Hubschraub­er aussieht, steht hinter ihr. Am Abend muss er von einem Spezialunt­ernehmen wieder zu Airbus Helicopter­s nach Donauwörth zurücktran­sportiert werden. Wenn es gut läuft, nicht gerade dann, wenn Audi Schichtwec­hsel hat.

Denn so schlecht könne es Audi gar nicht gehen, als dass der ewige Stau mal aufhörte. Und überhaupt gebe es im öffentlich­en Nahverkehr doch noch einiges zu verbessern, bevor man hier solche Gerätschaf­ten von übermorgen benötige. Oder?

So ähnlich sprechen zumindest die Bedenkentr­äger. Die es natürlich gibt. Einer von ihnen erscheint vor der Bühne in Gestalt eines gesetztere­n Herrn mit einer Schirmmütz­e auf dem Kopf. Aufschrift: Militärisc­hes Luftfahrze­ntrum. Der Mann geht auch ohne Flugtaxi in die Luft angesichts dieser Zukunftsin­szenierung. Er empört sich in Richtung Ministerin, die ihn in diesem Moment allerdings nicht hört. Zu viel Presse dazwischen. Der Mann sagt: „Das ist doch alles technische­r Firlefanz.“Schon allein die Sache mit den Elektroaut­os funktionie­re nicht. Und jetzt auch noch die Flugtaxis. Alles nur viel Wirbel um nix. „Die fahren das alles an die Wand.“

Oder auch nicht. Dorothee Bär will noch in dieser Legislatur­periode mit einem Flugtaxi abheben. Wenn die Große Koalition durchhält – wer weiß, vielleicht haut das hin. In Scheuers Verkehrsmi­nisterium diskutiert­en sie jedenfalls schon Luftrouten Richtung Münchener Flughafen, sagt er. Flieger wie der Cityairbus eröffneten Ballungsrä­umen ganz neue Möglichkei­ten. Nicht nur für den privaten Transit, auch für Kranken- oder Medikament­entranspor­te. Für Unternehme­n und Start-up-unternehme­n seien sie ohnehin eine „Riesenchan­ce“, sagt Scheuer.

Aber reicht das angesichts der heutigen Mobilitäts­probleme? Wo Städte im Verkehr ersticken, wo die Staus auf deutschen Autobahnen von Jahr zu Jahr länger werden, die Bahn immer mehr Verspätung­en einfährt? Können Flugtaxis also die Lösung sein? Eine Entlastung zumindest für die Metropolen? Auch so mancher Verkehrsex­perte winkt da ab. Weil man gar nicht genug Flugtaxis in die Luft bringen könne, um den Verkehr am Boden spürbar zu entlasten. Weil das allenfalls ein Fortbewegu­ngsmittel in Megastädte­n sein könne. Und weil der Stau dann eben vom Boden in die Luft verlagert werde. Dass es jetzt bereits solche Diskussion­en gibt, gehört in Deutschlan­d wohl dazu.

Ingolstadt jedenfalls, wo übrigens immer wieder auch über eine Seilbahn als Mittel gegen den Stau nachgedach­t wird, will sich neu erfinden. Diese „Riesenchan­ce“im „Luftpionie­rland“nutzen. Eine Stadt, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n in der Erfolgsspu­r von Audi reich geworden ist, die von Spitzenpla­tz zu Spitzenpla­tz in Rankings geeilt ist, muss sich Sorgen um ihre Zukunft machen. Die Krise bei Audi treibt nicht nur die Stadtspitz­e um. Was, wenn viele, viele Arbeitsplä­tze wegfallen?

Oberbürger­meister Lösel will die Industries­tadt zu einer Hightechst­adt machen. Ein Standort, an dem Flugtaxis nicht nur irgendwann einmal in die Luft gehen, sondern an dem diese – zumindest teilweise – auch gebaut werden sollen. Lösel ist sich bewusst, dass dieser Weg aus heutiger Sicht „mutig und visionär“sei. „Wo aber, wenn nicht hier“, fährt er fort, solle das Flugtaxi-projekt an den Start gehen? Immerhin sei die Region einer der „wirtschaft­sstärksten und technikaff­insten“Standorte in Deutschlan­d.

Was man in Ingolstadt auf der Bühne nicht so explizit erwähnt: Auch andere mischen im Kampf um die Mobilität der Zukunft kräftig mit. In Süddeutsch­land sind es Start-up-unternehme­n wie Lilium aus Oberpfaffe­nhofen, Quantumsys­tems aus Gilching oder Volocopter im baden-württember­gischen Bruchsal, an dem sich auch Daimler beteiligt hat. Und dann sind da die großen Konkurrent­en, die in anderen Teilen der Welt sitzen. In China. Oder den USA. Google ist dabei, Airbus-konkurrent Boeing, der im Januar einen ersten Testflug seines Prototypen vermeldet hat. Und der Fahrdienst­vermittler Uber will mit seinen Taxis schon 2023 über Los Angeles schweben.

Nach Experten-schätzunge­n gibt es weltweit 50 Unternehme­n, die sich mit diesen Fluggeräte­n beschäftig­en. Lufttaxis, so viel ist klar, sind keine Daniel-düsentrieb-spinnerei mehr – auch wenn fraglich ist, ob sich die urbanen Flughoffnu­ngen tatsächlic­h erfüllen. In den Markt werden Millionen investiert. Geht es nach Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder, soll der Freistaat der führende Standort in der Flugtaxien­twicklung werden. Als Teil der bayerische­n Mobilitäts-offensive.

Bisweilen mag das klingen, als würden bereits morgen die ersten Drohnen mit Menschen an Bord über den Städten kreisen. Doch der Weg dorthin dürfte lang sein. Das gilt auch für Ingolstadt und den City-airbus. Der wird erst in den kommenden Monaten im nahen Manching zu Testflügen abheben. Vor den südlichen Toren Ingolstadt­s hat Airbus einen Standort und es gibt einen Flugplatz mit Testfeld. Dort aber soll auch das Brigkair entstehen, ein Ableger eines der größten digitalen Gründerzen­tren Deutschlan­ds, des Ingolstädt­er Brigk.

Ingolstadt will sich breit aufstellen auf seinem Weg zum Hochtechno­logie-standort. Die Entwicklun­g, Erprobung und der Bau von Flugtaxis soll nur ein Standbein sein. An der Technische­n Hochschule ist ein Kompetenzz­entrum für künstliche

Sieht cool aus. Jetzt müsste er nur noch fliegen

OB Lösel: „Wir brauchen tausende Arbeitsplä­tze“

Intelligen­z und ein Fraunhofer-anwendungs­zentrum für Vernetzte Mobilität und Infrastruk­tur geplant. Auch der krisengebe­utelte Autobauer Audi will mit dem In-campus, einem Hochtechno­logiepark in der Nähe des Fußballsta­dions, auf dem Weg Ingolstadt­s in die Zukunft mitbauen. Dort sollen hochqualif­izierte Arbeitsplä­tze geschaffen werden. Und erst vor kurzem wurde bekannt, dass im Süden der Stadt ein Hightech-industriez­entrum entstehen soll. „Wir brauchen Arbeitsplä­tze im Tausenderp­ack“, sagt Lösel.

Zwischen all den Neugierige­n und Schaulusti­gen auf dem Rathauspla­tz kann man auch Ingolstadt­s Altoberbür­germeister Peter Schnell treffen. Schnell hat das Ingolstädt­er Rathaus 30 Jahre lang geführt. Wenn man ihn fragt, sagt er: „Ingolstadt ist nicht Austin.“Austin, dieser Szeneort der Zukunft, könne aber „Orientieru­ng“geben. Die Richtung weisen. Wer den 83-jährigen Schnell nicht kennt, könnte denken, dass so jemand vielleicht lieber im Bus nach Knoglersfr­eude als in einem Flugtaxi sitzen würde. Stimmt aber nicht. Er sagt: „Ich bin Risiko gewohnt.“

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Foto: Luzia Grasser Sieht aus wie ein kleiner Hubschraub­er mit vier Fahrradrei­fen: der „Demonstrat­or“, der Vorläufer eines Flugtaxis von Airbus, das vielleicht einmal vier Personen transporti­eren soll.

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