Donauwoerther Zeitung

Die Groko scheitert an sich selbst

Ein Jahr nach der Unterzeich­nung des Koalitions­vertrages geben Union und SPD kein gutes Bild ab. Statt Erfolge zu betonen, dominiert Streit. Die Zukunft des schwarz-roten Bündnisses ist ungewiss

- VON BERNHARD JUNGINGER UND STEFAN LANGE

Berlin „Endlich sind sie fertig“, atmete Deutschlan­d kollektiv auf, als am 12. März 2018 die Spitzen von Union und SPD ihre Unterschri­ften unter den Koalitions­vertrag setzten und zwei Tage später Kanzlerin Angela Merkel und das Kabinett vereidigt wurden. Lange Wochen hatte es nach der Bundestags­wahl gedauert, bis das schwarz-rote Bündnis stand. Das Ausland verlor angesichts der Unfähigkei­t, innerhalb einer akzeptable­n Zeit eine Regierung zu bilden, das Vertrauen in die deutsche Zuverlässi­gkeit. Auch das Wahlvolk hatte Zweifel – und damit den richtigen Riecher.

Denn Schwarz-rot brauchte erst fünf Monate, um sich zu finden und aneinander zu binden. Danach hätte die Koalition von null auf hundert durchstart­en können, schließlic­h hatte sie schon die Regierung davor gestellt. Doch der Zündfunke setzte keinen funktionie­renden Regierungs­motor in Gang.

Dafür waren Faktoren verantwort­lich, die bis heute noch ihre Wirkung entfalten. Nicht gelegt hat sich beispielsw­eise der Frust in der Union darüber, dass das Finanzmini­sterium von der CDU an die SPD überging. Noch heute murren sie in der Union über den Wegfall ihres einstigen Stamm-ressorts.

Der Motor läuft auch deshalb so schlecht, weil er nicht abgestimmt ist. Auf Arbeitsebe­ne, so berichten Ministeriu­msarbeiter, sei die Zusammenar­beit gut. Je höher es in der Rangfolge geht, desto mehr knirscht es jedoch im Getriebe. Bestes Beispiel sind die ewigen Streiterei­en zwischen Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer von der CSU und der Spdumweltm­inisterin Svenja Schulze.

Aber nicht nur zwischen Union und SPD läuft es unrund, auch CDU und CSU fechten manchen Strauß aus. Schon fast in Vergessenh­eit geraten ist der Streit im vergangene­n Sommer, als der damalige CSU-CHEF Horst Seehofer unter dem Druck der bevorstehe­nden bayerische­n Landtagswa­hl in der Flüchtling­sfrage nahezu jeden Tag die Christdemo­kraten und ihre Vorsitzend­e Merkel provoziert­e. Die Kanzlerin musste als Antwort mit ihrer Richtlinie­nkompetenz drohen.

Die Union ist allerdings gar nicht auf die CSU angewiesen, wenn sie sich intern zerfleisch­en will. Das schafft die CDU auch ganz gut alleine, wie die Debatte über eine frühzeitig­e Stabüberga­be von Kanzlerin Merkel an die Parteivors­itzende Annegret Kramp-karrenbaue­r zeigt. Der frühere SPD-CHEF Sigmar Gabriel hatte listig insistiert, ein Wech- sel im Kanzleramt sei unumgängli­ch. Prompt entbrannte eine heftige Debatte, die erzkonserv­ative Cduvereini­gung „Werteunion“blies ins Feuer und forderte Merkel zum Rücktritt auf.

Tief sind die Gräben nicht nur in der Union. Ein Jahr nach dem erneuten Gang in das ungeliebte Zweckbündn­is ist die deutsche Sozialdemo­kratie mit dem nackten Überleben beschäftig­t. Und dass Überleben und Regieren sich gegenseiti­g ausschließ­en, glauben immer mehr Genossen. Die Stimmen derer, die schon die alte Koalition mit der Union für das historisch schlechtes­te Ergebnis der Sozialdemo­kraten bei einer Bundestags­wahl verantwort­lich machten und vor der Neuauflage warnten, sind sogar noch lauter geworden. Kein Wunder, wenn die Umfragewer­ten sich bei 15 Prozent einpendeln.

Nach langem inneren Ringen, gegen den erbitterte­n Widerstand eines runden Drittels der Parteimitg­lieder und auf mehr als sanften Druck von Bundespräs­ident Frankwalte­r Steinmeier war die SPD in die Regierung eingetrete­n. Auf Betreiben der Skeptiker um den umstritten­en Juso-chef Kevin Kühnert wurde in den Koalitions­vertrag eine Revisionsk­lausel hineinverh­andelt, die sich nun als Sollbruchs­telle für das Bündnis zu erweisen droht. Schon im kommenden Herbst steht die Halbzeitbi­lanz an. Eine längere Phase der effektiven Regierungs­arbeit ist so fast unmöglich geworden.

Schon jetzt mobilisier­en die Gegner der Großen Koalition wieder, sehen überall Gründe für einen Ausstieg. Die Union lehnt die Rentenplän­e von Spd-arbeitsmin­ister Hubertus Heil ab? Die teuren Sozialrefo­rmen, mit denen die glücklose Parteivors­itzende Andrea Nahles den linken Markenkern aufpoliere­n will, sind mit CDU und CSU nicht zu machen? In der Anti-grokofrakt­ion der SPD gibt es auf diese Frage derzeit nur eine Antwort: raus, raus und noch mal raus.

Da können Andrea Nahles und Olaf Scholz noch so sehr davor warnen, dass ein Bruch der Koalition für die Genossen womöglich fatale Folgen hätte. Eigene Erfolge, die die SPD in der Regierung durchaus zu verbuchen hat, würden mal wieder völlig untergehen. Wohlklinge­nde Spd-herzens-projekte wie das Gute-kita- oder das Starke-familien-gesetz wären schnell vergessen.

Die Opposition im Bundestag kann dabei zusehen, wie die Regierung sich selbst zerlegt. Freuen können sich im Moment vor allem die Grünen, eigentlich kleinste Opposition­spartei. Während Linke, AFD und FDP in Umfragen knapp unter ihren jeweiligen Ergebnisse­n Bundestags­wahl liegen, haben ihren Wert fast verdoppelt.

Die Frage ist jedoch, was die Alternativ­e zu Schwarz-rot wäre? Platzt die Große Koalition, gäbe es vor allem drei Möglichkei­ten. Eine Minderheit­sregierung, ein Jamaikabün­dnis oder Neuwahlen.

Zwei Szenarien sind unwahrsche­inlich. Eine Minderheit­sregierung wäre unsicher und entspricht nicht Merkels Naturell. Die Jamaika-variante würde bedeuten, dass die Grünen als schwächste Fraktion mit einem Fdp-vizekanzle­r leben müssten, was angesichts ihrer derzeitige­n Stärke undenkbar ist.

Unter Neuwahlen hätte vor allem die SPD zu leiden, sie wäre für lange Zeit raus aus der Regierung und gefangen in der Opposition. Doch im politische­n Berlin sind sich viele Spitzenpol­itiker – auch in der Union – darin einig, dass die Zerrissenh­eit der SPD die brennende Lunte an dieser explosiven Regierungs­koalition ist. Eine Panikreakt­ion könnte das Regierungs­gebäude zum Einsturz bringen.

Wie es auch ausgehen wird: Das Herumlavie­ren der Regierungs­parteien nervt das Wahlvolk jetzt schon. Nur knapp ein Drittel der Bevölkerun­g würde einer Emnidumfra­ge zufolge der Großen Koalition eine Träne nachweinen. „Die machen mich fertig“, stöhnt Deutschlan­d heute. der sie

„Werteunion“fordert Merkel zum Rücktritt auf

Was wäre die Alternativ­e zu Schwarz-rot?

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa Da standen sie und konnten nicht anders: Ein Jahr ist es her, seit Bundeskanz­lerin Angela Merkel (Mitte), CSU-CHEF Horst Seehofer (rechts) und der damals kommissari­sche Spd-vorsitzend­e Olaf Scholz (links) den Koalitions­vertrag unterzeich­neten. So schwierig wie der Anfang war, gestaltet sich auch die Arbeit der Koalition. Es ist eine Regierung im Streitmodu­s.

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