Donauwoerther Zeitung

„Nach 20 Jahren wirft mich die Türkei hinaus“

Unser Korrespond­ent Thomas Seibert muss das Land verlassen. Seine Zeit in Istanbul endet abrupt. Er gehört zu jenen deutschen Journalist­en, die der Regierung ein Dorn im Auge sind. Ein persönlich­er Blick zurück

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Thomas Seibert berichtet seit zwei Jahrzehnte­n für deutsche Medien aus der Türkei, auch für unsere Redaktion. Er hat ein Land erlebt, das sich radikal verändert hat. Ein Land, in dem es ausländisc­hen Journalist­en immer schwerer gemacht wurde. Nun musste er gehen. Die Türkei verweigert­e ihm eine neue Arbeitserl­aubnis. Ein persönlich­er Blick zurück – ohne Zorn.

Vor fast genau zwanzig Jahren bin ich Recep Tayyip Erdogan zum ersten Mal persönlich begegnet. Kurz vor dem Beginn seiner Haftstrafe im März 1999 rief er die internatio­nale Presse in Istanbul zusammen, um die – damals relativ wenigen – ausländisc­hen Journalist­en in der Türkei auf die Absurdität seiner Verurteilu­ng wegen einer unbotmäßig­en Rede aufmerksam zu machen. Bei dem Treffen in einem osmanische­n Palais am Bosporus saß ich neben Erdogan, der damals Istanbuler Oberbürger­meister war. Wir plauderten über Fußball; Erdogan hatte sich kurz zuvor bei einem Spiel den Arm verletzt. Mehr als zwei Jahrzehnte lang habe ich den Aufstieg Erdogans zum mächtigste­n Mann der Türkei beobachtet. Jetzt duldet mich seine Regierung nicht mehr als Berichters­tatter.

Nicht nur die Türkei hat in diesen 20 Jahren viel erlebt. Mein Leben und das meiner Familie ist eng mit der Türkei verwoben. Meine Tochter Julia ist in Istanbul geboren und aufgewachs­en. Als begeistert­e Musikerin – sie studiert heute klassische Gitarre am Konservato­rium – lernte sie unter anderem das Spiel auf der türkischen Laute, der Saz. Meine Frau Susanne Güsten, die ebenfalls für diese Redaktion aus Istanbul berichtet, reitet bei internatio­nalen Dressurtur­nieren für die Türkei. Ich selbst spiele in zwei verschiede­nen Rockbands in den Kneipen der Istanbuler Szene. Zu unserem Haushalt gehören die türkischen Straßenkat­zen Plisch und Plum, die wir bei uns aufgenomme­n haben.

Als Journalist habe ich miterlebt, wie sich die Türkei in dieser Zeit verändert hat. Den späteren Literatur-nobelpreis­träger Orhan Pamuk lernte ich bei einem Empfang in den 1990er Jahren als extrem schüchtern­en Mann kennen, den das Zusammentr­effen mit neuen Menschen so stresste, dass ihm Schweißper­len auf die Stirn traten. Den 2007 von Rechtsextr­emisten ermordeten türkisch-armenische­n Journalist­en Dink erlebte ich als Kämpfer, als er von Nationalis­ten auf einem Gerichtsfl­ur tätlich angegriffe­n wurde und seinen Gegnern furchtlos und mit erhobenen Fäusten entgegentr­at.

Der Umgang des Staates mit Andersdenk­enden war die ganzen Jahre über ein Dauerthema. In den ersten Jahren am Bosporus berichtete ich darüber, wie die Polizei mit Wasserwerf­ern junge Studentinn­en vom Platz fegte, weil sie im islamische­n Kopftuch in die Universitä­t wollten. Fünfzehn Jahre später trafen die Wasserkano­nen die Demonstran­ten vom Gezi-park.

Ich erlebte, wie das Land in der Reformphas­e unmittelba­r nach dem Regierungs­antritt von Erdogans AKP im November 2002 begann, mit der eigenen autoritär-obrigkeits­staatliche­n Tradition zu brechen, wie die Todesstraf­e abgeschaff­t, die Macht der Militärs zu- rückgedrän­gt und die gestärkt wurden.

Genauso war ich dabei, als die EU den Türken die kalte Schulter zeigte, der Reformschw­ung erlahmte und die „alte Türkei“der Verbote und Tabus wieder die Oberhand gewann. Mein Freund und Kollege Aydin Engin, ein Veteran des türkischen Journalism­us, der schon nach dem Militärput­sch von 1980 nach Deutschlan­d floh und zusammen mit Joschka Fischer in Frankfurt als Taxifahrer arbeitete, wurde zu einer Gefängniss­trafe verurteilt.

In den goldenen Jahren des türkischen Wirtschaft­sbooms interviewt­e ich ehrgeizige junge Deutschtür­ken, die aus der Bundesrepu­blik in das Land ihrer Eltern strömten, weil sie in Istanbul, Ankara oder Izmir eine bessere Zukunft für sich sahen als in Deutschlan­d. Nach meiner Rückkehr in die Türkei von einem zweijährig­en Zwischensp­iel als Usahrant

Zivilgesel­lschaft Korrespond­ent hatte als Folge des wachsenden Drucks nach dem Putschvers­uch von 2016 eine neue Abwanderun­g aus der Türkei nach Deutschlan­d begonnen.

Für die Türkei ist Deutschlan­d ein ganz besonderes Land. Über die Waffenbrüd­erschaft der beiden Nationen im Ersten Weltkrieg wissen in der Türkei selbst die Schulkinde­r Bescheid, in Deutschlan­d nur Historiker. Fast jeder Türke, ob er Gemüsehänd­ler, Taxifahrer oder wichtiger Politiker ist, hat irgendeine Verbindung zur Bundesrepu­blik, sei es durch die eigene Kindheit dort, oder durch Verwandte und Freunde in Deutschlan­d. Und das ist nicht nur in der 15-Millionenm­etropole Istanbul so. In Kars im äußersten Nordosten der Türkei traf ich den letzten Nachfahren deutscher Handwerker, die im 19. Jahrhunder­t nach Anatolien gekommen waren.

Im Auf und Ab der Jahre ging es für mich als Korrespond­ent nie um Türkei-lobhudelei oder Türkeische­lte. Es ging ums Erklären, denn es gibt kein anderes Land auf der Welt, das den Deutschen so nahe und doch so fremd ist. Die Sprachbarr­iere, die Unterschie­de in Kultur und Religion, der völlig andere Blick auf die Geschichte – all das macht die Türkei zu einem Rätsel, das immer wieder neu gelöst werden muss. Das ist die aufregende, fasziniere­nde und manchmal auch frustriere­nde Arbeit des Türkeikorr­espondente­n.

Denn wenn ich für meine Leser zum Beispiel erklärte, warum Erdogan ist, wie er ist, und dass die Gründe für sein Verhalten in seiner Biografie und in der politische­n Kultur seines Landes zu suchen sind, dann wurde ich hin und wieder als Apologet kritisiert. Wenn ich beschrieb, warum sich viele Kurden in der Türkei als Bürger zweiter Klasse fühlen und warum manche sogar die Waffe in die Hand nehmen, dann galt ich bei manchen als Freund der Terrororga­nisation PKK.

Damit muss man leben. Bis vor kurzem konnte ich immerhin fest davon ausgehen, dass der türkische Staat an einer differenzi­erten Darstellun­g des Landes in der internatio­nalen Öffentlich­keit interessie­rt sei. Fünfzehn oder mehr Jahre lang war die jährliche Erteilung der Arbeitsgen­ehmigung für ausländisc­he Reporter in der Türkei reine Formsache.

Seit einigen Jahren versucht Ankara jedoch, die Akkreditie­rung als Druckmitte­l gegen deutsche Journalist­en einzusetze­n. So mussten der

Hasnain Kazim, Frank Nordhausen von der

und Rafael Geiger vom die Türkei verlassen, weil ihnen die Akkreditie­rung vorenthalt­en wurde. Sie alle waren bei der türkischen Regierung in Ungnade gefallen. Und nun verweigert die Türkei also auch dem

Jörg Brase, Halil Gülbeyaz vom und mir selbst die Arbeitserl­aubnis.

An uns soll ein Exempel statuiert werden: Schickt einen anderen Journalist­en als Thomas Seibert, lautete das unmoralisc­he Angebot aus Ankara an meine Arbeitgebe­r. Ihr Ziel, deutsche Zeitungen oder Fernsehsen­der zu kontrollie­ren, wird die türkische Regierung damit nicht erreichen – nur das Gegenteil.

Spiegel-korrespond­ent

Frankfurte­r

NDR

Rundschau Stern

Zdf-kollegen

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Foto: Ozan Kose, afp Thomas Seibert berichtete als Korrespond­ent auch für unsere Zeitung aus Istanbul.

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