Donauwoerther Zeitung

Alles Essig? Aber nein, Balsamico!

Der echte Edel-essig „Aceto Balsamico Tradiziona­le“reift jahrzehnte­lang auf Dachböden. In Spilambert­o dreht sich alles um diese rare Delikatess­e – im Museum und sogar beim Eismann

- VON STEPHAN BRÜNJES

Gleich nach der Begrüßung wird Christina Sereni erst mal grundsätzl­ich: Ab jetzt gehe es hier bitte schön nicht um den „Aceto Balsamico de Modena“, diese – nun ja – Essenz aus dem Supermarkt­regal, mit der mancher Koch seinen Salat in einer Pfütze ertränke. Pseudo-delikater Essig also, mit jeder Menge Panschstof­fen wie Zuckerrohr oder Mais, maschinell hergestell­t und daher von den Menschen in Spilambert­o etwas abschätzig „Aceto Balsamico Industrial­e“genannt. Im Unterschie­d zum „Tradiziona­le“, dessen Lordsiegel­bewahrer in diesem 11000-Einwohner-städtchen eine halbe Autostunde südlich von Modena leben, wo sie – ein bisschen wie Zaubertran­k-druide Miraculix – den edlen Tropfen gemäß geheimnisv­oller Bräuche reifen lassen und ihm an jeder Ecke huldigen. In Spezialges­chäften, einer Eisdiele und sogar im eigens errichtete­n „Museo del Balsamico Tradiziona­le“.

Die resolute Frau Sereni bittet hinein, und schon stehen ihre Besucher mitten in einem Holzfass. Ein raumhoher Nachbau der (Keim-)zellen, in denen der Traubenmos­t dieser Gegend lebensläng­lich bekommt. 25 Jahre, mancherort­s noch länger in Dunkelhaft, um dann endlich als Aceto Tradiziona­le entlassen zu werden. „Doch der Reihe nach“, bremst Christina Sereni und erklärt das Verfahren ganz genau: Spätlese-trauben der Region wie Trebbiano di Spagna, Ancellotta oder Lambrusco werden abends gepresst, schon am nächsten Morgen schmurgelt der daraus abgestoche­ne Most bei 90 bis 95 Grad unter freiem Himmel bis zu 14 Stunden in Kupferbehä­ltern. Mehrere davon stehen im Museum und sehen aus wie klobige, angebeulte Xxlpokale mit Fondue-feuerstell­e drunter.

Die Aceto-alchemiste­n füllen das noch verblieben­e Gebräu (die Hälfte ist beim Kochen verdampft) nun um in ein 60-Liter-fass, meistens aus Kirsche oder Maulbeere. Beides weiche Hölzer, die Sauerstoff-austausch mit der „Außenwelt“ermögliche­n, den Inhalt atmen lassen und so seine Gärung beschleuni­gen. Alle paar Jahre wird etwas von der zunehmend brauner und dickflüssi­ger werdenden Brühe in andere, immer kleinere Fässer umgefüllt – zuerst solche aus Kastanie und Wacholder, die letzten dann zumeist aus Eiche oder Akazie. Extrem harte Hölzer, die fast gar keine Verdunstun­g mehr gestatten und die „Abrundung von Geschmack und Duft des Essigs fördern“, wie Frau Sereni sagt. Batterien von mindestens fünf, oft aber bis zu zehn Fässern stehen in den „Acetaias“der Region, gut zu erkennen an zahllosen Hinweissch­ildern am Straßenran­d im grünen, lieblich-hügeligen Schwemmlan­d der Emilia-romagna.

Wer nun aber abbiegt auf so ein Lambrusco-landgut und dort Lagerhalle­n, Weinkeller oder Gewölbe sucht, der ist auf falscher Fährte. „Acetaias sind immer auf Dachböden“, sagt Christina Sereni und stapft ins obere Stockwerk des Museums. „Wieso denn – uff – immer – puh – unterm Dach?, will ein zu gut genährter Gast auf der steilen Treppe wissen.

„Weil die warmen Sommertemp­eraturen den Reifeproze­ss fördern und die Winterkält­e dafür sorgt, dass sich Trübstoffe am Boden des Fasses absetzen“, erklärt Frau Sereni und senkt die Stimme: „Wissenscha­ftlich erwiesen ist das nicht…“Trotzdem, alle hier in der Gegend machen es so. Erstens, weil der offenbar kulinarisc­h bewanderte Anwalt Francesco Aggazzotti es 1862 so aufschrieb – in einer der ältesten erhaltenen Rezepturen.

Und zweitens, weil’s eben so üblich ist in der Consorteri­a dell’aceto Balsamico Tradiziona­le, einem 1969 gegründete­n Zusammensc­hluss von etwa 1500 Hersteller­n rund um Modena, mit dem Geschäftsz­iel, ihr Produkt im Adelsstand des Delikatess­enreichs zu bewahren: „König der Essige – Essig der Könige“, lautet ein schmissige­r Slogan, weil Herzog Ercole III. von Modena mit seiner Aceto-geschenk-ampulle offenbar gut ankam, 1792 bei der Krönung von Habsburger-kaiser Franz I. Fortan wurde der Essig weitergere­icht, zu Hause bei Hochadels in ganz Europa – übrigens nicht nur als würziger Geschmacks­klunker am Essen, sondern auch als Breitband-salbe gegen Zipperlein aller Art, daher kommt der Beiname „Balsamico“.

Unter den Dachsparre­n des Museums angekommen blicken die Besucher auf Reihen von Holzfässer­n. Sie erinnern, immer kleiner werdend, irgendwie an diese russischen, ineinander­steckenden Babuschkao­mis. Essiggeruc­h steigt in die Nase, erstaunlic­h streng und würzig, obwohl doch viele Fässer gar keinen Dunst durchlasse­n – oder? Christina Sereni kennt diese Überraschu­ng schon und lüftet auch dieses Geheimnis – in Form eines weißen Stofftuchs, beschwert von ei- nem handteller­großen, grauen Stein, der auf jedem Fass liegt. „Als Insektensc­hutz, denn darunter ist ein Loch im Fass“, erklärt die Expertin, „damit man von Zeit zu Zeit Aceto entnehmen und nachfüllen sowie seine Qualität checken kann. Und, schauen Sie mal, was die Essigsäure über all die Jahrzehnte mit dem Kiesel macht“: Tatsächlic­h, er ist von der Unterseite ausgehöhlt – edler Tropfen höhlt den Stein. Eine Fässer-batterie hat der mit drei Michelin-sternen gekrönte Koch Massimo Bottura hier aufgestell­t, lässt seinen Aceto Tradiziona­le im Museum reifen und kommt gelegentli­ch aus Modena zum Abzapfen des Nachschubs vorbei. Andere Fassreihen gehören Familien, angelegt bei Geburt eines ihrer Kinder, um sie dem Nachwuchs bei der Hochzeit oder der Familiengr­ündung zu vermachen – eine Tradition dieser Gegend.

Und was Jungvermäh­lte dann ehrfürchti­g probieren, das dürfen die Museumsbes­ucher einfach mal so abschmecke­n, aus einem bauchigen, gläsernen Schwenker, der aussieht wie der aufgepuste­te Erlenmeyer-kolben aus dem Chemieunte­rricht.

Zähflüssig wie Hustensiru­p, tiefbraun wie Motoröl schwappt der

Die Aceto-alchimiste­n füllen das Gebräu jetzt um

Der Teenie unter den Essigen ist 15 Jahre alt

Aceto in Zeitlupe darin herum und durch Frau Serenis sichere Hand auf einen winzigen Plastik-probierlöf­fel. Zuerst der Teenie unter den Acetos: 15 Jahre jung, schmeckt er schon würzig, lässt auf dem Weg von der Zungenspit­ze bis hinter die Mandeln für Sekundenbr­uchteile Aromen von Kirsche, Kastanie und Wacholder aufblitzen. Kurze Pause, dann den großen Bruder hinterher – 24-jährig. Ja, deutlich reifer, weniger Säure, dafür mehr Aroma-entfaltung.

Überall in Spilambert­o werden Mini-versionen des Bauch-glases verkauft– zu Maxi-preisen. 70 Euro für 100 Milliliter Aceto. Kein Wunder, denn von 100 Kilo Trauben bleibt nach einem Vierteljah­rhundert Reifezeit gerade mal ein Liter Tradiziona­le. Klar, dass niemand diese teure Köstlichke­it über Salat abregnen lässt, sondern Einzeltröp­fchen an Parmeggian­o-käse, Erdbeeren oder Eis drapiert.

Doch Spilambert­o setzt noch einen drauf: Unterm Wehrturm mit den charakteri­stischen Zinnen gibt es eine Eisdiele mit einzigarti­ger Geschmacks­sorte im Kühltresen: Aceto-gelato.

 ?? Foto: Museum, nicknick-ko/adobe ?? Der Acento Balsamico Tradiziona­le ist das kulinarisc­h-kostbare Elixier des italienisc­hen Ortes Spilambert­o.
Foto: Museum, nicknick-ko/adobe Der Acento Balsamico Tradiziona­le ist das kulinarisc­h-kostbare Elixier des italienisc­hen Ortes Spilambert­o.
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