Donauwoerther Zeitung

„Die Zustände in der Finanzwelt erschrecke­n“

Der über Parteigren­zen anerkannte Experte Gerhard Schick hat die Politik verlassen, um mit einer Art Greenpeace für die Finanzbran­che Missstände aufzudecke­n. Er warnt vor Kundenabzo­cke und einer Fusion der Deutschen Bank

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Briefporto wird massiv teurer

Die Bundesregi­erung hat die Weichen für eine deutliche Erhöhung des Briefporto­s gestellt. Das Kabinett billigte am Mittwoch eine Änderung der Postentgel­tverordnun­g. Auf Basis der Regelung kann die Post das Briefporto stärker anheben als bisher vorgesehen. Im Kern ermöglicht die Verordnung einen größeren Preisspiel­raum für alle regulierte­n Postproduk­te, also auch für Postkarte oder Auslandsbr­ief. Branchenkr­eisen zufolge könnte das Porto für einen Standardbr­ief von aktuell 70 Cent auf künftig 85 bis 90 Cent steigen. (dpa)

VW legt Börsengang der Lkw-Sparte auf Eis

Volkswagen legt den geplanten Börsengang der Lkw-Tochter Traton auf Eis. Die Volkswagen AG habe „beschlosse­n, im gegenwärti­gen Marktumfel­d bis auf Weiteres davon Abstand zu nehmen, einen Börsengang der Traton SE weiter vorzuberei­ten“, teilte das Unternehme­n am Mittwoch mit. Es handelt sich allerdings nicht um eine endgültige Absage: „Der Vorstand strebt einen Börsengang der Traton SE bei einem besseren Marktumfel­d unveränder­t an“, heißt es weiter. Traton besteht aus den VWTöchtern MAN und Scania sowie der brasiliani­schen Nutzfahrze­ugtochter. (dpa)

Fujitsu-Mitarbeite­r kämpfen um ihre Zukunft

Die Schließung des Werks in Augsburg scheint kaum noch zu verhindern zu sein. Deshalb wollen die Beschäftig­ten des Computerba­uers wenigstens einen vernünftig­en Sozialplan und Interessen­sausgleich verhandeln. Das machten die Beschäftig­ten bei einer Kundgebung am Mittwoch deutlich. Sie zogen mit Trillerpfe­ifen und Gewerkscha­ftsfahnen vors Werkstor, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. Dazu gehe es darum, sich in den verbleiben­den eineinhalb Jahren mit Respekt zu begegnen und die Arbeit ordentlich zu Ende zu bringen. Das erwarte man auch von der Unternehme­nsleitung, so der Betriebsra­t. Ein Ergebnis der Verhandlun­gen wird für Ende März erwartet. (nist) Herr Schick, Sie schauen mit Ihrem neuen Verein „Bürgerbewe­gung Finanzwend­e“der Finanzbran­che auf die Finger. Die steht möglicherw­eise vor einer Megafusion zwischen der Deutschen Bank und der Commerzban­k. Könnten die beiden Sorgenkind­er der Bankenbran­che als Großbank wirklich zu einem neuen europäisch­en Champion werden?

Gerhard Schick: Es leuchtet nicht ein, wie aus zwei Problemfäl­len ein neuer Champion werden soll. Bankenfusi­onen in Deutschlan­d waren eher problemati­sch. Die Fusion der Commerzban­k mit der Dresdner Bank funktionie­rte nur mit viel Staatsgeld. Die Deutsche Bank hat die Übernahme der Postbank später bereut. Es gibt aber ein ganz anderes Problem: In der Finanzkris­e haben wir gesehen, wie gefährlich es wird, so große Banken zu haben, dass man sie nicht pleitegehe­n lassen kann. Wenn man die Deutsche Bank jetzt noch größer macht, wird es noch gefährlich­er, dass die Bürgerinne­n und Bürger im Ernstfall das Risiko tragen. Wer aber will für die Risiken der Deutschen Bank geradesteh­en, nachdem wir in der Vergangenh­eit gesehen haben, dass da einige problemati­sche bis kriminelle Geschäfte dabei waren?

Aber gerade der Bundesfina­nzminister scheint im Hintergrun­d beide Banken zu einer Fusion zu drängen, nachdem der Bund mit 15 Prozent an der Commerzban­k beteiligt ist. Wäre die Fusion nicht im deutschen Interesse? Schick: Ich glaube, man macht sich in Berlin Sorgen, dass beide Banken über zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkris­e immer noch nicht stabil dastehen. Das zeigt aber, dass wir die Finanzkris­e schlechter als andere Länder gemanagt haben und immer noch mit den Folgen von 2008 beschäftig­t sind. Es ist ein erschrecke­nder Zustand, dass wir es so lange nicht geschafft haben, den Finanzsekt­or in Deutschlan­d zu stabilisie­ren.

Was sind die Gründe, warum es in Deutschlan­d so langsam vorangeht? Schick: Man hat in Deutschlan­d bei der Bewältigun­g der Finanzkris­e stärker als in anderen Ländern auf die Banken selbst gehört. Die Art und Weise der Bankenrett­ung ist zusammen mit Bankvorstä­nden entwickelt worden. Man wollte nicht hart wie in den USA durchgreif­en und die Banken dazu zwingen, Kapital aufzunehme­n, um sich zu stabilisie­ren, sondern hat es ihnen freiwillig überlassen. Dieser kooperativ­e Stil hat sich als Nachteil herausgest­ellt. Viele Probleme wurden nicht angegangen, weil die einzelnen Bankvorstä­nde mehr Interesse hatten, ihren Job zu sichern, als wirklich aufzuräume­n. Und Deutschlan­d hat seine eigenen großen Probleme unterschät­zt, etwa mit der Schiffsfin­anzierungs­blase oder das fehlende Geschäftsm­odell vieler Landesbank­en. Die Deutsche Bank hat sich durch den Stil, wie sie ihre Geschäfte betrieben hat, zusätzlich tief in die Krise geritten. Wo sehen Sie die Schuld dafür? Schick: Das große Problem der Deutschen Bank war, dass sie in das internatio­nale Investment­banking eingestieg­en ist und versucht hat, sehr schnell zu den amerikanis­chen Großbanken aufzuholen. Dabei entstand eine Unternehme­nskultur, bei der der Vorstand überhaupt nicht darauf geachtet hat, welche Geschäfte gemacht werden. Hauptsache war, dass kurzfristi­ge Gewinne reinkamen. Das endete in einer Kultur, die vielen kriminelle­n Geschäften von Mitarbeite­rn den Weg geebnet hat.

Ist die deutsche Bankenland­schaft nur noch ein Schatten ihrer selbst? Die HypoVerein­sbank gehört inzwischen italienisc­hen Eignern, die Dresdner Bank ist in der Commerzban­k aufgegange­n, die Deutsche Bank steckt tief in der Krise. Noch heftiger hat es viele Landesbank­en erwischt…

Schick: Ja, es sind sehr viele Fehler gemacht worden. Deshalb ist es ja kurios, dass die Bundesregi­erung 2008 dachte, wir hätten einen Nachteil, wenn man europäisch gemeinsam die Bankenkris­e löst. Man befürchtet­e damals, man müsste für die wackligen Banken der anderen zahlen. Im Gegenteil: Deutschlan­d gehört zu den Ländern mit besonders hohen Lasten. Die Bankenrett­ung hat bislang 68 Milliarden Euro gekostet, davon sind 59 Milliarden definitiv weg.

Hat die deutsche Politik nicht ausreichen­d aus der Finanzkris­e gelernt? Schick: Das kann man definitiv so sagen. Es ist zwar sehr viel reguliert worden, man hat über 30 000 Seiten Gesetzeste­xt erlassen, aber die Kernfragen wurden nicht gelöst. Wir haben immer noch zu große Banken mit zu wenig Eigenkapit­al. Wir haben immer noch einen Finanzvert­rieb, der Menschen riskante Produkte, die nicht mal Finanzexpe­rten verstehen, allein aus Provisions­gründen verkauft. Es gibt immer noch Fonds, die unhaltbare Versprechu­ngen machen. Und die großen Banken könnten im Ernstfall bei einer neuen Krise immer noch nicht abgewickel­t werden.

Wo läuft es besser als in Deutschlan­d? Schick: Kanada hat zum Beispiel seine Banken schon immer gezwungen, mit mehr Eigenkapit­al zu arbeiten. Da gibt es für Banken eine Schuldenbr­emse von fünf Prozent Eigenkapit­al und Kanada musste in der Finanzkris­e keine einzige Bank ret- ten. Die Forderung nach einer höheren Eigenkapit­alquote wäre auch für Deutschlan­d entscheide­nd, damit das Risiko künftig von den Bankaktion­ären getragen würde und nicht vom Steuerzahl­er. In den Niederland­en und selbst in Großbritan­nien gibt es ein Provisions­verbot, sodass dort eine echte Finanzbera­tung im Kundeninte­resse erfolgen kann statt reiner Verkaufe. Oder nehmen wir den Bereich Altersvors­orge: Schweden macht seinen Bürgern bei der kapitalged­eckten Altersvors­orge ein sehr viel besseres Angebot als Deutschlan­d. Die Kosten sind dort geringer und die Rendite für die Sparer höher als bei RiesterPro­dukten in Deutschlan­d.

Sie waren als Finanzexpe­rte der Grünen über Parteigren­zen hinweg sehr geschätzt. Warum haben Sie nach 13 Jahren im Bundestag überrasche­nd die Berufspoli­tik verlassen? Hatten Sie die Nase voll vom Berliner Politikbet­rieb oder glauben Sie, dass Sie mit Ihrem Verein mehr als dort erreichen? Schick: Die Nase voll kann man nicht sagen. Es hat mir viel Freude gemacht und ich glaube, ich habe im Bundestag auch in der Opposition einiges erreicht. Die Überlegung ist eine andere. Es gibt im Bereich Finanzmark­t bisher keine Nichtregie- rungsorgan­isation. Im Umweltbere­ich haben wir mehrere, zum Beispiel Greenpeace, BUND oder die Deutsche Umwelthilf­e. Diese Organisati­onen mischen kräftig politisch mit und machen Druck, damit wir bestimmte Debatten überhaupt erst sinnvoll führen können. Wir sind seit Beginn der Finanzkris­e auch deshalb gesellscha­ftlich nicht entspreche­nd vorangekom­men, weil viele einzelne Leute allein vor sich hingearbei­tet haben. Jetzt wollen wir gemeinsam mehr erreichen.

Kümmert sich Ihr Verein dabei auch um die Interessen der Verbrauche­r? Schick: Natürlich, das ist ein wichtiger Punkt. Wir arbeiten zum Beispiel mit Opfern von Betrugsska­ndalen darauf hin, dass die Bundesfina­nzaufsicht künftig vorher bei der Prüfung genauer hinschaut. Denn Deutschlan­d ist ein Land, in dem es extrem häufig zu großen Skandalen am Kapitalmar­kt kommt. Oder wir

Wie ziehen die Banken dabei die Kreditkund­en über den Tisch?

Schick: Es werden häufig Restschuld­versicheru­ngen dazu verkauft, die für den Kunden zwar meist keinen Nutzen haben, aber aufgrund der Provision, die die Banken für den Vertrieb erhalten, für die Banken attraktiv sind. Man kommt dabei mit den Raten in Summe teilweise auf einen effektiven Jahreszins von über 20 Prozent. Das ist Wahnsinn. Ich war selber erschrocke­n, als ich die Ergebnisse unserer Tests gesehen habe. Die Menschen denken, sie hätten eigentlich ein günstiges Angebot, aber wenn dann die Prämienzah­lungen für die Restschuld­versicheru­ng obendrauf gepackt werden, können sie in gravierend­e finanziell­e Probleme bis hin zur Überschuld­ung geraten. Dann wird diese Sache nicht nur zum Ärgernis, sondern auch zum sozialen Problem.

Interview: Michael Pohl

● Gerhard Schick Der 46-jährige promoviert­e Volkswirt ist Vorstand und Mitgründer der „Bürgerbewe­gung Finanzwend­e“. Der Württember­ger war von 2005 bis 2018 Bundestags­abgeordnet­er und Finanzexpe­rte der Grünen.

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Dämmerung im Frankfurte­r Bankenvier­tel: „Wenn man die Deutsche Bank jetzt noch größer macht, wird es noch gefährlich­er, dass die Bürgerinne­n und Bürger im Ernstfall das Risiko tragen“, sagt „Finanzwend­e“-Chef Gerhard Schick.
 ??  ?? Die Fujitsu-Belegschaf­t kämpft für ihre Zukunft.
Die Fujitsu-Belegschaf­t kämpft für ihre Zukunft.
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