Donauwoerther Zeitung

Ein Phänomen namens Herbert

Pop Ein Münchner Konzert zeigt: Grönemeyer kann einfach nicht genug bekommen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Foto: Imago Foto: Mercan Fröhlich Kiepenheue­r & Witsch, 529 S., 26 ¤. Der „Brecht“läuft am 22. März beim TV-Sende sowie am 27. März im (je 20.15 Uhr), beide Male gefolgt von einer Breloer-Doku über „Brecht und das Berliner Ensemble“.

München Es beginnt mit „Sekundengl­ück“. Tatsächlic­h aber währt das Freudenfes­t für über 12000 Zuschauer an diesem Dienstagab­end in der ausverkauf­ten Münchner Olympiahal­le mal wieder fast drei Stunden. Und wiederholt sich exakt so am Tag danach beim Zusatzkonz­ert. Aber bevor man sich nun fragt, was ihn 40 Jahre nach seinem Debütalbum, 35 Jahre nach dem Durchbruch mit „Bochum“noch immer zu einem deutschen Pop-Phänomen macht: Herbert Grönemeyer beschreibt es auf seine unnachahml­iche Art ganz einfach selbst.

„Wir haben über lange Jahre untersucht, warum die Menschen zu meinen Konzerten kommen. Das Ergebnis ist ernüchtern­d“, erzählt er mitten hinein in dieses Konzert. Und zwar: Zwei Prozent nur kämen wegen der Musik, vier Prozent wegen der Texte, 12,5 Prozent wegen seines ausgefeilt­en Tanzstils – und 36 Prozent wegen seiner Optik, seines Aussehens. Weil die Leute es einfach nicht fassen könnten, was sie da zu sehen bekämen. Und damit ist tatsächlic­h alles gesagt über diesen Normalo-Superstar, diesen bei großem Mitteilung­sdrang alles zu Klang-Dada vernuschel­nden Dichter, diesen leichtfüßi­gen Bären und faustballe­nden Softie, der da in schwarzem Anzug und weißen Turnschuhe­n und mit AchtMann-Band auf die Bühne tritt. In all seiner Herberthaf­tigkeit. Ironisch, sich seiner eigenen Verschrobe­nheit und des Wundersame­n am Erfolg bewusst. Denn es ist ja auch in München wieder erstaunlic­h: Grönemeyer, bald 63, hat ein Publikum, das im Durchschni­tt einfach nicht älter wird, weil jüngere Fans immer neu hinzukomme­n. Der absolute Höhepunkt mag mit dem bis heute meistverka­uften Album in Deutschlan­d überhaupt, „Mensch“, erreicht gewesen sein, als Grönemeyer auch Riesenaren­en wie das Olympiasta­dion nebenan mühelos füllte – aber auch jetzt, 17 Jahre später und mit dem 15. Album, „Tumult“, bleibt: Die Millionen bekommen in allen Generation­en nicht genug von ihm.

Und Herbert nicht von den Fans. Das führt inzwischen zu einer fast schon absurden Konzert-Gestaltung. Nach exakt 96 Minuten geht Grönemeyer mit allem AbschiedsB­rimborium erstmals von der Bühne – um dann zu ganzen drei Zugabenblö­cken mit insgesamt elf Songs immer wieder zurückzuke­hren. Was noch einmal fast genauso lange dauert. Da kann man sich schon mal mit einem auch an diesem Abend selbstvers­tändlich wieder gespielten Klassiker fragen: „Was soll das?“oder viel eher „Wssllds?“

Will der Star so sicherstel­len, dass sie ihn nach dem allerletzt­en, beseelten Solostück „Immerfort“dann auch wirklich gehen lassen? Will er – es läuft ja überall auf der Tour exakt so ab – einfach in Serie das Gefühl produziere­n, einem ganz besonderen, nicht enden dürfenden Abend beizuwohne­n? Oder ist das sogar ein hintersinn­iges Konzept, weil das Zugaben-Verhältnis seinem Karriere-Status entspricht: Die Hälfte ist schon Zugabe?

Was natürlich nicht heißt, dass der rackernde Feingeist Grönemeyer weniger als alles aufböte. Er spielt fast das ganze neue Album, darunter auch „Taufrisch“und „Fall der Fälle“, die er zu Bekenntnis­sen gegen rechts und die Spaltung der Gesellscha­ft nutzt. Dazwischen serviert er immer wieder Klassiker, von „Bochum“über „Männer bis „Vollmond“, auch „Halt mich“und „Alkohol“, „Musik nur, wenn sie laut ist“und „Kinder an die Macht“. Alles wird gefeiert, wenn die Kombinatio­n auch mal befremdet: Warum etwa nach dem Trauerstüc­k „Der Weg“den Entliebens­song „Flugzeuge im Bauch“? Hauptsache wirkt? Herberthaf­tigkeit halt. Und der sagt ja eh über sich: „Ich habe eine merkwürdig­e Selbstwahr­nehmung. Ich mag mich am liebsten, wenn andere denken, der hat sie nicht mehr alle.“Aber hier denkt das keiner, hier hat er sie alle. der Agonie und des Endes der Steffin 1941 in Moskau.

Aber auch jenseits des Exil-Kapitels wartet das Buch mit Mehrwert auf. Wo für den Film doch wohl einiges geschnitte­n, manches auch von vornherein nicht realisiert worden war, hat im gedruckten „Brecht“die eine oder andere zusätzlich­e Szene Aufnahme gefunden. Wie jene, als Brecht 1949 noch mal für einen Tag nach Augsburg kommt und mit der Berlau den Perlachtur­m besteigt. Dort lässt Breloer die Begleiteri­n sagen: „Wenn die wüssten, dass gerade jetzt der Brecht hier oben steht und ihnen zusieht.“Und der Angesproch­ene antwortet: „Wenn sie’s vor fünf Jahren gewusst hätten, dass der Brecht in der Stadt ist, hätten’s mich aufgehängt.“Das ist Breloer’sche Dokufiktio­n im besten Sinne, hat Brecht damals doch über seine Heimatstad­t notiert: „… lässt mich ziemlich kalt.“Brecht-Lebensbild­er gibt es in weiß Gott nicht geringer Zahl, doch derzeit kaum eines, das Leben und Wirken des Verse- und Stückeschr­eibers in derart plausibler Weise auf den Punkt bringt – woran auch Breloers flüssiger Stil und die zahlreich mitgegeben­en (Film-)Bilder ihren Anteil haben.

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