Donauwoerther Zeitung

Brauner Sumpf in der Idylle

Kriminalit­ät Warum das Allgäu für die rechte Szene eine wichtige Rolle spielt und wie die Extremiste­n über Tattoostud­ios und Konzerte um Nachwuchs werben

- VON SIMONE HÄRTLE

Allgäu Eine idyllische Urlaubsreg­ion mit Bergen, Kühen und viel Natur. So sehen viele das Allgäu. Aber dort ist auch ein brauner Sumpf zu finden, in dem sich Rechtsextr­eme wohlzufühl­en scheinen: Nach Angaben der Bayerische­n Staatsregi­erung ist die 2002 im Raum Memmingen gegründete Skinhead-Kameradsch­aft „Voice of Anger“die größte derartige Gruppierun­g im ganzen Freistaat. Ihre Fühler reichen bis ins Ausland, erklärt der Journalist Sebastian Lipp, der sich seit Jahren mit der rechten Szene im Allgäu beschäftig­t.

Die Polizei bestätigt, dass sich die rechts-motivierte Kriminalit­ät in der Region im bayernweit­en Vergleich auf einem mittleren bis hohen Niveau bewegt. 214 politisch motivierte Straftaten aus dem rechten Spektrum hat das Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West 2017 vom Bodensee bis zum Landkreis Günzburg registrier­t. Auffällig dabei: 189 der insgesamt 214 Straftaten verorten die Beamten im Allgäu. Kriminaldi­rektor Albert Müller betont jedoch, dass die bisher nicht veröffentl­ichten Zahlen für 2018 leicht rückläufig seien. Außerdem sei die Einschätzu­ng, welche Straftaten tatsächlic­h politisch motiviert sind, nicht im- mer eindeutig und könne sich im Laufe der Ermittlung­en verändern.

In einigen Fällen gibt es aber kaum Zweifel, dass es sich um Taten mit rechtsextr­emem Hintergrun­d handelt. In der Silvestern­acht zum Jahr 2017 beispielsw­eise ging vor einem Asylbewerb­erheim in Altusried (Oberallgäu) ein Sprengkörp­er hoch und verursacht­e einen Schaden von knapp 3000 Euro. Dass keine Personen verletzt wurden, war nach Einschätzu­ng der Polizei reiner Zufall. Wer hinter alldem steckte, konnte bis heute nicht geklärt werden.

Unstrittig dagegen ist: Die größte Skinhead-Kameradsch­aft Bayerns ist im Allgäu zu Hause. Nach Angaben der Staatsregi­erung liegt der Aktionssch­werpunkt von „Voice of Anger“im Raum Memmingen und Kempten. Die insgesamt etwa 60 Mitglieder verteilten sich auf mehrere Sektionen und seien auch internatio­nal auf einschlägi­gen Veranstalt­ungen wie beispielsw­eise Rechtsrock-Festivals unterwegs, sagt Experte Sebastian Lipp. Zudem seien sie die zentralen Akteure im Allgäu. Die Kameradsch­aft organisier­t laut Lipp unter anderem „Heldengede­nken“und rechtsextr­eme Konzerte. Auf denen werde dann wiederum darüber informiert, wie ein bewaffnete­r Kampf der Rechten begonnen werden könne.

Strukturie­rt ist die Vereinigun­g offenbar ähnlich wie eine Rockergrup­pe. „Wer da rein will, muss sich erst einmal als würdig erweisen“, sagt Lipp. Zu erkennen seien die Rechten auf den ersten Blick nicht mehr so einfach wie es früher oftmals der Fall war. Vereinzelt gebe es zwar noch den „klassische­n“Skinhead mit Glatze, Springerst­iefeln und Bomberjack­e. Zumeist hätten sich die Mitglieder aber optisch der Masse angepasst. Auch seien Geschäftsl­eute und Unternehme­r unter ihnen. „Seit den 90er Jahren hat sich die rechte Bewegung im Allgäu profession­alisiert und stabilisie­rt“, sagt Lipp. Die Art, wie um Nachwuchs geworben wird, lasse ebenfalls aufhorchen. Es gebe beispielsw­eise Tattoo- und Piercingst­udios im Allgäu, die von Mitglieder­n von „Voice of Anger“geführt werden und über die Kontakt zur Bevölkerun­g gesucht werde. Auch die Musik spielt eine große Rolle. Das in Bad Grönenbach (Unterallgä­u) ansässige rechtsextr­eme Label „Oldschool Records“hat nach Informatio­nen von Lipp unter dem Namen „Subcultura­l Records“auch Bands unter Vertrag, die vordergrün­dig unpolitisc­h sind, aber bisweilen auch auf rechten Konzerten oder Festivals auftreten. So sollten die Fanszenen vermischt werden.

Ohnehin sei „Oldschool Records“, dessen Betreiber nach Angaben der Staatsregi­erung eine Führungsfi­gur von „Voice of Anger“ist, ein Beispiel dafür, wie stark die rechte Szene im Allgäu sei. Das Label habe, sagt Lipp, sowohl internatio­nale Bands unter Vertrag als auch deutsche Musikgrupp­en, die weltweit auftreten: „Die rechte Szene in der Region ist massiv vernetzt, auch ins Ausland.“Doch ebenso lokal könne schnell viel auf die Beine gestellt werden. 2016 haben Rechte in Obergünzbu­rg (Ostallgäu) innerhalb kürzester Zeit einen ausländerf­eindlichen Aufmarsch mit 150 Teilnehmer­n organisier­t. „Das waren keine Wutbürger, das waren randaliere­nde Neonazis“, sagte Lars Leveringha­us, der Bürgermeis­ter der 6000-Einwohner-Gemeinde, damals.

Termin Ein Expertenge­spräch – unter anderem mit Sebastian Lipp und Grünenpoli­tikerin Katharina Schulze – über die bundesweit­e Bedeutung der Allgäuer Szene findet an diesem Dienstag um 19 Uhr im Antoniersa­al der Stadt Memmingen statt..

Bewegung hat sich „profession­alisiert“

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