Patres bitten um Verzeihung
Gewalt Die Prügel und Schläge sowie andere Erniedrigungen im Internat Heilig Kreuz dauerten wohl bis weit in die 1990er-Jahre an. Gestern trafen sich Opfer und Ordensvertreter
Donauwörth Handwerker hämmern und feilen. Es herrscht reger Betrieb auf den frisch gestrichenen Fluren des Klosters Heilig Kreuz in Donauwörth. Vieles soll hier neu gemacht werden. So manches aus der Vergangenheit tritt aber erst jetzt zutage. Im dritten Stock des vormaligen Internats, das hier bis 2016 untergebracht war, trafen sich am Montag gut 15 ehemalige Schüler mit Vertretern des Ordens der Herz-JesuMissionare, die das Internat von 1935 an bis zu dessen Schließung vor drei Jahren leiteten. Der Provinzial des Ordens, Pater Andreas Steiner, entschuldigte sich gestern bei den ehemaligen Schülern für die Gewaltausbrüche, die im Laufe der Jahrzehnte immer wieder geschehen waren. Mit der Gewalt ging es wohl weiter bis in die 1990er-Jahre hinein, wie gestern bei dem Treffen deutlich wurde.
Für Pater Steiner gibt es keinerlei Zweifel an den Schilderungen der ehemaligen Schüler, wie er gegenüber unserer Zeitung äußert. Ihm sei die Gewalt, die dort herrschte, „total fremd“gewesen – bis sich die Berichte über die dunkle Seite der Einrichtung häuften. „Ich frage mich: Warum hat man dieses System so akzeptiert?“, äußert Steiner sichtlich mitgenommen nach dem Treffen mit den ehemaligen Schülern. Mittlerweile hätten ihm auch Mitbrüder bestätigt, dass die Berichte über die Beschuldigten durchaus zuträfen – dass jenen beschuldigten Akteuren ein solches Handeln mit Prügeln und Schlägen zuzutrauen sei. „Schockierende Dinge“habe er erfahren, sagt Steiner. Diese Dinge müssten ans Licht, man müsse die Opfer um Verzeihung bitten: „Ich verstehe den berechtigten Zorn der Betroffenen über die massiven körperlichen und seelischen Gewalteinwirkungen, die sie in Heilig Kreuz erfahren haben.“Und mit Blick auf kritische Stimmen, dass früher in Schulen und Internaten eben geschlagen wurde, fügt Steiner hinzu: „Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ,die Zeiten anders waren‘ – wie man es manchmal hören kann.“Das Fehlverhalten prügelnder und anderweitig schikanierender Patres „und der Mitarbeiter, die in unserem Auftrag in Heilig Kreuz gearbeitet haben“, sei „zutiefst beschämend“. Jegliche „Form von Gewalt gegenüber den uns anvertrauten Menschen widerspricht zutiefst der Menschenwürde, unserem Erziehungsauftrag und unserer Spiritualität, die einen liebenden Gott ins Zentrum stellt“.
Schilderungen der Schüler seien „plausibel und unzweifelhaft“.
Es sind Schilderungen wie die des Schülers Johannes K.
– drakonische Strafen seien ständig zu befürchten gewesen. Schläge seitens einiger Lehrer mit brachialer Gewalt hätten für Einschüchterung gesorgt. K., der bis 1961 Internatsschüler war, habe miterlebt, wie ein Klassenkamerad von einer Ecke in die andere geprügelt wurde: „Das gab es öfter.“Von einem Erzieher, der nachts gesoffen hätte, von schikanösen Strafarbeiten weiß er zu erzählen.
K. sagt, er sei überzeugter Christ – und gerade deshalb könne er nicht verstehen, wie eine sich kirchlich nennende Einrichtung so widersprüchlich agieren konnte: willkürlich prügeln, wo man doch eigentlich der Nächstenliebe besonders verpflichtet sei. Diese Widersprüchlichkeit habe er nie begreifen können. Er sei zu dem Schluss gekommen: „Ich stehe fest zu Gott und auch zur Kirche – aber nicht zu diesem Bodenpersonal, das erzieherisch so schlecht gearbeitet hat.“K. will derweil nicht gelten lassen, dass die Kriegserfahrungen so manchen Erzieher abgestumpft hatten: „Unsere Väter waren auch im Krieg wie so viele andere – und wir wurden zu Hause nicht ständig geschlagen.“Er vermutet schlichtweg „Boshaftigkeit“als Motiv der Gewalt.
Und: Diese Gewalt ging wohl auch in späteren Jahren weiter. Paul M. etwa war von 1991 bis 1995 im Internat. Gut zehn Mal sei er in dieser Zeit geschlagen worden – „also nicht so oft“, wie er meint. Mit einem Schlüsselbund oder mit Holzpantoffeln beispielsweise. Die physische Gewalt sei indessen „nur die Spitze des Eisbergs“gewesen – die seelischen Grausamkeiten hätten sich wesentlich stärker eingeprägt.
Das Internat Heilig Kreuz sei ein „abgeschlossenes System“gewesen, es habe keine Kontrolle des Lehrpersonals von außen oder innen gegeben – „ein Nährboden für Machtmissbrauch“, wie M. sagt. Für einige der Patres und Lehrer sei es augenscheinlich „eine Wohltat“gewesen, „andere zu erniedrigen“, resümiert unterdessen Johannes K.
Zwei weitere ehemalige Schüler fassen ihre Zeit in Heilig Kreuz in den früheren 1980er-Jahren knapp zusammen: „dunkel, traurig, kalt“. „Ich habe hier gelernt, wie ich meine Emotionen völlig verberge, dass ich bloß nicht auffallen darf.“Drohende Gewalt, Androhungen, den Eltern über etwaiges Fehlverhalten der Schüler zu berichten. Das alles habe für Bedrückung gesorgt.
Provinzial Steiner, der gestern aus Salzburg anreiste, sagt, es sei wichtig gewesen zu sprechen, um Verzeihung zu bitten. Falls weitere Gespräche gewünscht seien, stehe er dem offen gegenüber. K. macht sich erleichtert auf den Heimweg. Aber er sagt auch: „Ich werde heute Abend weinen.“» Bayern