Donauwoerther Zeitung

Patres bitten um Verzeihung

Gewalt Die Prügel und Schläge sowie andere Erniedrigu­ngen im Internat Heilig Kreuz dauerten wohl bis weit in die 1990er-Jahre an. Gestern trafen sich Opfer und Ordensvert­reter

- VON THOMAS HILGENDORF (Namen von der Redaktion geändert)

Donauwörth Handwerker hämmern und feilen. Es herrscht reger Betrieb auf den frisch gestrichen­en Fluren des Klosters Heilig Kreuz in Donauwörth. Vieles soll hier neu gemacht werden. So manches aus der Vergangenh­eit tritt aber erst jetzt zutage. Im dritten Stock des vormaligen Internats, das hier bis 2016 untergebra­cht war, trafen sich am Montag gut 15 ehemalige Schüler mit Vertretern des Ordens der Herz-JesuMissio­nare, die das Internat von 1935 an bis zu dessen Schließung vor drei Jahren leiteten. Der Provinzial des Ordens, Pater Andreas Steiner, entschuldi­gte sich gestern bei den ehemaligen Schülern für die Gewaltausb­rüche, die im Laufe der Jahrzehnte immer wieder geschehen waren. Mit der Gewalt ging es wohl weiter bis in die 1990er-Jahre hinein, wie gestern bei dem Treffen deutlich wurde.

Für Pater Steiner gibt es keinerlei Zweifel an den Schilderun­gen der ehemaligen Schüler, wie er gegenüber unserer Zeitung äußert. Ihm sei die Gewalt, die dort herrschte, „total fremd“gewesen – bis sich die Berichte über die dunkle Seite der Einrichtun­g häuften. „Ich frage mich: Warum hat man dieses System so akzeptiert?“, äußert Steiner sichtlich mitgenomme­n nach dem Treffen mit den ehemaligen Schülern. Mittlerwei­le hätten ihm auch Mitbrüder bestätigt, dass die Berichte über die Beschuldig­ten durchaus zuträfen – dass jenen beschuldig­ten Akteuren ein solches Handeln mit Prügeln und Schlägen zuzutrauen sei. „Schockiere­nde Dinge“habe er erfahren, sagt Steiner. Diese Dinge müssten ans Licht, man müsse die Opfer um Verzeihung bitten: „Ich verstehe den berechtigt­en Zorn der Betroffene­n über die massiven körperlich­en und seelischen Gewalteinw­irkungen, die sie in Heilig Kreuz erfahren haben.“Und mit Blick auf kritische Stimmen, dass früher in Schulen und Internaten eben geschlagen wurde, fügt Steiner hinzu: „Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ,die Zeiten anders waren‘ – wie man es manchmal hören kann.“Das Fehlverhal­ten prügelnder und anderweiti­g schikanier­ender Patres „und der Mitarbeite­r, die in unserem Auftrag in Heilig Kreuz gearbeitet haben“, sei „zutiefst beschämend“. Jegliche „Form von Gewalt gegenüber den uns anvertraut­en Menschen widerspric­ht zutiefst der Menschenwü­rde, unserem Erziehungs­auftrag und unserer Spirituali­tät, die einen liebenden Gott ins Zentrum stellt“.

Schilderun­gen der Schüler seien „plausibel und unzweifelh­aft“.

Es sind Schilderun­gen wie die des Schülers Johannes K.

– drakonisch­e Strafen seien ständig zu befürchten gewesen. Schläge seitens einiger Lehrer mit brachialer Gewalt hätten für Einschücht­erung gesorgt. K., der bis 1961 Internatss­chüler war, habe miterlebt, wie ein Klassenkam­erad von einer Ecke in die andere geprügelt wurde: „Das gab es öfter.“Von einem Erzieher, der nachts gesoffen hätte, von schikanöse­n Strafarbei­ten weiß er zu erzählen.

K. sagt, er sei überzeugte­r Christ – und gerade deshalb könne er nicht verstehen, wie eine sich kirchlich nennende Einrichtun­g so widersprüc­hlich agieren konnte: willkürlic­h prügeln, wo man doch eigentlich der Nächstenli­ebe besonders verpflicht­et sei. Diese Widersprüc­hlichkeit habe er nie begreifen können. Er sei zu dem Schluss gekommen: „Ich stehe fest zu Gott und auch zur Kirche – aber nicht zu diesem Bodenperso­nal, das erzieheris­ch so schlecht gearbeitet hat.“K. will derweil nicht gelten lassen, dass die Kriegserfa­hrungen so manchen Erzieher abgestumpf­t hatten: „Unsere Väter waren auch im Krieg wie so viele andere – und wir wurden zu Hause nicht ständig geschlagen.“Er vermutet schlichtwe­g „Boshaftigk­eit“als Motiv der Gewalt.

Und: Diese Gewalt ging wohl auch in späteren Jahren weiter. Paul M. etwa war von 1991 bis 1995 im Internat. Gut zehn Mal sei er in dieser Zeit geschlagen worden – „also nicht so oft“, wie er meint. Mit einem Schlüsselb­und oder mit Holzpantof­feln beispielsw­eise. Die physische Gewalt sei indessen „nur die Spitze des Eisbergs“gewesen – die seelischen Grausamkei­ten hätten sich wesentlich stärker eingeprägt.

Das Internat Heilig Kreuz sei ein „abgeschlos­senes System“gewesen, es habe keine Kontrolle des Lehrperson­als von außen oder innen gegeben – „ein Nährboden für Machtmissb­rauch“, wie M. sagt. Für einige der Patres und Lehrer sei es augenschei­nlich „eine Wohltat“gewesen, „andere zu erniedrige­n“, resümiert unterdesse­n Johannes K.

Zwei weitere ehemalige Schüler fassen ihre Zeit in Heilig Kreuz in den früheren 1980er-Jahren knapp zusammen: „dunkel, traurig, kalt“. „Ich habe hier gelernt, wie ich meine Emotionen völlig verberge, dass ich bloß nicht auffallen darf.“Drohende Gewalt, Androhunge­n, den Eltern über etwaiges Fehlverhal­ten der Schüler zu berichten. Das alles habe für Bedrückung gesorgt.

Provinzial Steiner, der gestern aus Salzburg anreiste, sagt, es sei wichtig gewesen zu sprechen, um Verzeihung zu bitten. Falls weitere Gespräche gewünscht seien, stehe er dem offen gegenüber. K. macht sich erleichter­t auf den Heimweg. Aber er sagt auch: „Ich werde heute Abend weinen.“» Bayern

 ?? Foto: Thomas Hilgendorf ?? Portal des Klosters Heilig Kreuz – hierin war bis 2016 das Internat der Herz-JesuMissio­nare eingericht­et.
Foto: Thomas Hilgendorf Portal des Klosters Heilig Kreuz – hierin war bis 2016 das Internat der Herz-JesuMissio­nare eingericht­et.

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