Müssen wir China fürchten?
Die Nato warnt vor neuer Militärmacht. Warum das der falsche Ansatz ist
Peking Es ist ein Novum in der 70-jährigen Geschichte der Nato: Erstmals haben die 29 Staatschefs des Verteidigungsbündnisses in ihrer Abschlusserklärung beim Gipfel in London China als „große Herausforderung“betitelt. Zuvor hatten Nachrichtenagenturen gar den Begriff „Bedrohung“kolportiert: Das wäre ein rhetorischer Affront gewesen – vermutlich auf Druck Washingtons. Offenbar wurde er erst in letzter Sekunde abgewendet. Und doch lässt sich eine ähnlich Angst machende Botschaft zwischen den Zeilen herauslesen. „China ist jetzt das Land auf der Welt, das nach den USA am meisten Geld für Verteidigung ausgibt“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Natürlich ist dies faktisch korrekt. 2018 hatte China stolze 250 Milliarden US-Dollar für seine Verteidigung ausgegeben, 2019 wird das Rüstungsetat zum 25. Jahr infolge ansteigen. Und doch agiert Peking militärisch – abseits der Konflikte im Südchinesischen Meer – vergleichsweise handzahm. Auch die Militärausgaben relativieren sich massiv, wenn man sie beispielsweise auf die Bevölkerungsgröße herunterrechnet. Dann nämlich rangieren die Chinesen nur noch an 52. Stelle.
Doch tatsächlich ist der rasante Aufstieg des Reichs der Mitte eine zunehmende Herausforderung für Europa, wenn auch auf anderen Gebieten. Ob bei den Hongkong-Protesten, dem potenziellen Ausbau von 5G-Netzen mithilfe des chinesischen Konzerns Huawei oder dem chinesischen Großprojekt der neuen Seidenstraße: All diese Fragen erfordern geeignete Antworten.
Umso wichtiger ist es, dass wenigstens die EU gegenüber China mit einer geeinten Stimme auftritt. Wenn es schon der Nato nicht gelingt. Zum einen, weil Europa nur gemeinsam auf Augenhöhe von Peking wahrgenommen wird. Zudem entzweien Alleingänge einzelner Staaten die übergeordneten Interessen der EU. Diese gemeinsame Strategie
zu entwickeln – emanzipiert von der Position Washingtons – wird eine der Hauptaufgaben der neuen EU-Kommission, wie auch die Grünen-Abgeordnete Katrin Göring-Eckart in Peking geäußert hat: „Europa sollte auf jeden Fall gemeinsam gegenüber China auftreten. Das ist nicht gegen die Vereinigten Staaten, sondern eigenständig. Erst dann sind wir ein wirkliches Gegenüber.“
Bislang ist jedoch von koordiniertem Vorgehen keine Spur, ja nicht einmal ein Minimalkonsens zu erkennen. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich die Interessen der einzelnen Staaten in Bezug auf China massiv unterscheiden. Gerade ärmere Länder wie Griechenland, Ungarn oder Tschechien nehmen etwa die massiven Investitionen Chinas in Infrastrukturprojekte dankend an. Deutschland hingegen fürchtet potenzielle Abhängigkeiten.
Für deutsche Unternehmen, besonders in der Automobilbranche,