Donauwoerther Zeitung

Klimafreud­lich reisen – wie geht das?

Immer mehr Menschen beschleich­t ein schlechtes Gewissen, wenn sie fliegen. Was man dagegen tun kann

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Greta Thunberg macht es vor: Die 16-Jährige reist mit dem Segelboot nach New York und zurück, aber eines tut sie nie: fliegen. Warum? Weil das Flugzeug das umweltschä­dlichste Verkehrsmi­ttel überhaupt ist. Das wissen viele. Doch sie sind gut darin, ihr Wissen zu ignorieren. Und deshalb hat sich ein neues Wort entwickelt „Flugscham“. Es beschreibt das schlechte Gewissen, das viele beschleich­t, wenn sie ein Flugzeug betreten. Aber kann man überhaupt klimafreun­dlich verreisen?

Zunächst einmal ein paar Fakten: Wer einmal nach Mallorca und zurück fliegt, produziert, fast 700 Kilogramm CO2 – oder besser CO2-Äquivalent­e. Denn beim Fliegen entsteht nicht nur CO2. Es entstehen Stickoxide, Aerosole, Wasserdamp­f und andere Klimagase. Um das vergleiche­n zu können, werden alle Klimagase in CO2 umgerechne­t. Beim Fliegen entstehen die Treibhausg­ase in recht großer Höhe. Die Wissenscha­ftler des Umweltbund­esamts gehen davon aus, dass sie dort schädliche­r sind als am Boden. Da 700 Kilogramm CO2-Äquivalent­e recht abstrakt sind, ein Vergleich: Um die gleiche Menge CO2 beim Autofahren zu produziere­n könnte man eine Strecke von 4000 Kilometer im Auto zurücklege­n. Das ist in etwa die Entfernung vom nördlichst­en Zipfel Finnlands bis nach Antalya in der Türkei (3800 Kilometer Luftlinie).

Wie sehr Fliegen die Klimabilan­z belastet, wird deutlich, wenn man sich Folgendes vor Augen hält: Im Jahr produziert jeder Deutsche im Schnitt elf Tonnen CO2. Damit die Ziele des Pariser Klimaabkom­mens eingehalte­n werden, dürfte es bis 2050 noch eine Tonne sein. Eine Flugreise nach Mallorca würde das Budget fast aufbrauche­n. Im Jahr 2017 waren zudem nur drei Prozent der Weltbevölk­erung überhaupt jemals in einem Flugzeug gesessen. Dennoch trägt der Luftverkeh­r etwa fünf Prozent zur Erderwärmu­ng bei. Die ganze Welt leidet also unter dem schädliche­n Verhalten einiger weniger. So sieht es jedenfalls Adrian Haßler.

Der 29-Jährige engagiert sich für die Initiative „Am Boden bleiben“. Eine Gruppe von Menschen, die darüber aufklären möchte, welche Auswirkung­en Fliegen hat. Er sagt: „Wenn das Auto ein Backofen ist, dann ist das Flugzeug eine Mikrowelle. Fliegen ist der schnellste Weg, den Planeten zu grillen.“

Ein Knackpunkt in der Debatte: Vor allem jene, die sich oft Gedanken über ihr eigenes Verhalten und dessen Auswirkung­en auf das Klima machen, fliegen relativ häufig. Dabei kann ein einzelner Mensch nichts tun, was ähnlich klimaschäd­lich ist, wie Fliegen. Haßler erklärt das so: „Vielleicht liegt das daran, dass man sich mehr Sorgen um den Zustand der Welt macht, wenn man schon viel von ihr gesehen hat.“

Natürlich gibt es längst ein System, mit dem sich das schlechte

Flug-Gewissen beruhigen lässt: CO2-Kompensati­onen. Das funktionie­rt so, dass Flugreisen­de sich ausrechnen lassen, wie viel CO2 durch ihren Flug entsteht. Dafür bezahlen sie einen bestimmten Betrag an eine Organisati­on, die dann Projekte fördert, die die gleiche Menge CO2 einsparen. Etwa indem sie Bäume pflanzen, oder helfen, in Entwicklun­gsländern Solaranlag­en und Windparks zu bauen. Alles gut also? Nicht wirklich. CO2-Kompensati­onen sind recht umstritten. Klimaschüt­zer sprechen von einer modernen Form des Ablasshand­els. Das Umweltbund­esamt kommt zum Ergebnis: Einen Flug zu kompensier­en, sei zwar besser, als es nicht zu tun. Noch besser ist es allerdings, auf Flüge zu verzichten. Warum? Jeder Flug führt zum Anstieg des CO2-Gehalts in der Atmosphäre.

Viele Projekte, die durch die CO2-Kompensati­on finanziert werden, hätten aber ohnehin stattgefun­den. Das Treibhausg­as wäre sowieso eingespart worden. Die Kompensati­on bietet keinen Mehrwert. Wie seltsam das Ausgleichv­erhalten im globalen Zusammenha­ng anmutet, macht Haßler deutlich: Viele Projekte finden im globalen Süden statt. „Das ist absurd. Wir bezahlen dafür, dass wir uns klimaschäd­lich verhalten können. Und bei anderen Menschen wird das ausgeglich­en. Dabei sind wir und der westliche Lebensstil das Problem.“Also doch gar nicht mehr Reisen?

Das müsse auch wieder nicht sein, sagt Haßler. Er selbst fliegt privat zwar nicht mehr. „Aber ich reise trotzdem gerne“, sagt er. Wie? Mit dem Zug. In einer Auswertung des Umweltbund­esamtes schneidet nur der Reisebus noch besser ab. Das könnte sich aber ändern, wenn mehr Züge mit erneuerbar­en Energien betrieben würden. Und das Auto? Haßler sagt: „Im Vergleich zum Fliegen ist Zugfahren etwa 50 bis 100 Mal besser für das Klima. Autofahren drei bis vier Mal.“

Reisen ohne schlechtes Gewissen ist also möglich. Es können nur keine Fernreisen im Flugzeug sein. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr befreiend ist, wenn man nicht mehr gegen seine eigenen Prinzipien verstößt“, sagt Haßler.

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Fotos: Imago Images
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