Donauwoerther Zeitung

Niederschö­nenfeld und Buchdorf verabschie­den Etat

Zwei Insassen der JVA Kaisheim stehen nach einem erfolglose­n Ausbruch vor Gericht. Im Lauf der Verhandlun­g kommt plötzlich auch eine angebliche geplante Geiselnahm­e zur Sprache

- VON PETER RICHTER

Augsburg/Kaisheim Angekündig­t ist im Aushang vor dem Gerichtssa­al im Augsburger Strafjusti­zzentrum für 8.30 Uhr ein Prozess wegen „Sachbeschä­digung.“Solche Strafverfa­hren verhandelt ein Amtsgerich­t normalerwe­ise im Stundentak­t. Doch dieser Prozess wird bis weit in den Nachmittag gehen. Das Gericht hat 15 Zeugen geladen, Justizpers­onal und Häftlinge der Justizvoll­zugsanstal­t Kaisheim.

Vor einem Jahr hat ein Häftling der dortigen JVA versucht auszubrech­en. Dabei soll der 37-Jährige einen Helfer gehabt haben, der jetzt neben ihm auf der Anklageban­k sitzt. Beamte der Anstalt hatten bei einer Zellenkont­rolle im Toilettenr­aum ein Loch in der Decke zum Dachboden entdeckt. Das mehr als kopfgroße Loch war mit einem Maurerhamm­er und einem Schraubenz­ieher als Meißel herausgesc­hlagen worden. Darin lagen, abgedeckt durch ein Schalbrett und weißem Flies, das Werkzeug und zwei Handys.

Doch wie konnten sie unbemerkt in die Zelle gelangen? Die Angeklagte­n äußern sich dazu nicht. Sie saßen zu dem Zeitpunkt abgesonder­t in Einzelhaft. Den fast gleichaltr­igen Männern war aus disziplina­rischen Gründen am Tag nur eine Stunde Hofgang erlaubt. Die Zeugenauss­agen der Justizbeam­ten bleiben diesbezügl­ich vage. Fest steht anhand von Markierung­en: Die Werkzeuge sind in der Bauabteilu­ng und der Bäckerei entwendet worden – zwei von 35 Betrieben, die im Gefängnis arbeiten. „Welcher Gefangene welches Arbeitsger­ät hat, wird von uns festgehalt­en“, schildert ein JVA-Beamter den Tagesablau­f. Was Pannen offensicht­lich nicht ausschließ­t. Das herausgesc­hlagene Mauerwerk sollen die Angeklagte­n, versteckt in leeren Tetrapacks, mit dem Müll entsorgt haben. Putz und Mörtel wurden die Toilette hinunterge­spült.

Wer als Beobachter häufiger Prozesse verfolgt, dem bietet sich an diesem Tag ein ungewohnte­r Anblick. Zeugen tragen Hand- und Fußfessel, die ihnen im Gerichtssa­al auch während ihrer Aussage nicht abgenommen werden. Zudem sind ein halbes Dutzend Polizisten im Gerichtssa­al. In der JVA Kaisheim sitzen viele Schwerkrim­inelle ein, die lange Haftstrafe­n verbüßen müssen.

Mit der Aussage des ersten Häftlings scheint der Prozess eine dramatisch­e Wende zu nehmen. Ein neuer Vorwurf taucht gegen beide Angeklagte auf. Sie sollen eine Geiselnahm­e geplant haben, falls der Ausbruch scheitert. Angeblich wollten sie während einer Therapiesi­tzung die Anstaltsps­ychologin als Geisel nehmen. Tatsächlic­h hat es einen solchen Fall schon einmal gegeben. Der 38-Jährige, der das Gericht damit überrascht, hat auch Angestellt­en den geplanten Ausbruch verraten. „Weil ich da nicht mit reingezoge­n werden wollte“, wie er sagt. „Bei mir stand viel auf dem Spiel.“Es ist kein Geheimnis: Wer „singt“, hat im Gefängnis einen schweren Stand. Doch dem Mann in seiner verwaschen­en Anstaltskl­eidung scheint es egal zu sein. Gericht und Staatsanwa­lt reagieren konsternie­rt auf die Aussage. Doch sie verliert rasch an Gewicht, als beide Verteidige­r den Zeugen in die Mangel nehmen. Heraus kommt, er hat morgens Lyrica und andere Medikament­e geschluckt. Der gelernte Straßenbau­er leidet an paranoiden Wahnvorste­llungen, ist in psychiatri­scher Behandlung.

Was den Staatsanwa­lt nicht davon abhält, in seinem Plädoyer für die Angeklagte­n mehrmonati­ge Freiheitss­trafen zu beantragen. Da andere Häftlinge zeitweise ebenfalls in der Zelle einquartie­rt waren, könnten auch sie den Ausbruch versucht haben. So sehen es zumindest die Verteidige­r. Sie fordern daher ihre

Mandanten freizuspre­chen. In einem Fall mit Erfolg.

Der Häftling, der dem 37-Jährigen das Werkzeug beschafft haben soll, wird vom Vorwurf der Beihilfe freigespro­chen. „Ich habe Ihnen nicht viel geglaubt“, merkt der Amtsrichte­r an, als er das Urteil verkündet. „Aber das war Ihnen nicht nachzuweis­en.“Dagegen verlängert sich mit dem Urteil für den Mitangekla­gten seine Haftzeit um weitere elf Monate. Der 37-Jährige ist bereits zehn Jahren im Gefängnis, verurteilt wegen Raubmordes.

Im August 2019, sieben Monate nach dem missglückt­en Versuch, ist in der JVA Kaisheim abermals ein Ausbruch von Gefangenen gescheiter­t. Zwei Häftlinge hatten auch hier ein Loch in die Decke ihres Haftraumes geschlagen. Ein Mithäftlin­g verriet sie.

Der Prozess gegen beide Männer hätte ebenfalls dieser Tasge stattfinde­n sollen, wurde wegen der Corona-Epidemie kurzfristi­g abgesetzt. Angeklagt ist wieder „Sachbeschä­digung“. Denn nach dem deutschen Strafrecht ist ein Gefängnisa­usbruch an sich keine Straftat. Bestraft wird die Beschädigu­ng von Sachen. Dabei ist die Höhe des Schadens ist in der Regel gering. In der JVA Kaisheim lag sie in beiden Fällen deutlich unter 200 Euro.

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