Donauwoerther Zeitung

Nicht ärgern, Mensch!

Was tun in den eigenen vier Wänden? Spielen wäre eine Idee. Zu Besuch bei Deutschlan­ds berühmtest­em Spiele-Erfinder und viele spannende Tipps

- Von Doris Wegner und Stefanie Wirsching

Keine Schafe in Sicht. Auch kein Getreide, natürlich, jetzt um diese Jahreszeit. Aber vom Fenster aus sieht man auf ein noch winterdunk­les Feld und dahinter den Wald. Was man sich also denken kann: Klaus Teuber, 67, hat klug gebaut. Diesen weiten Blick von seinem Arbeitszim­mer auf hessische Natur wird ihm niemand mehr nehmen. Aus dieser Siedlung wird keine Stadt mehr werden. Zumindest nach derzeitige­m Bebauungsp­lan. Für andere Siedlungen wird sich das im Laufe des Mittags nicht so einfach sagen lassen. Aber der Reihe nach. Im Reihenhaus in Roßdorf bei Darmstadt sind die Würfel noch nicht gefallen. Eine Insel, zusammenge­setzt aus Sechsecken, liegt auf dem Holztisch, am Rande das blaue Meer, dazwischen bestes Bauland: Felder, Wälder, Steinbrüch­e und Wiesen. Am Rande: die Kaffeebech­er. Der Räuber steht noch in der Wüste. Es kann also losgehen mit einer Partie „Siedler von Catan“.

Rot beginnt. Würfelglüc­k oder Würfelpech. Das wird sich herausstel­len. Rot aber darf dank des höchsten Wurfs die erste Siedlung bauen. Dann Orange, Weiß und Blau. Ein erster Strategiet­ipp von Teuber: „Wichtig ist es auch, darauf zu achten: Habe ich genug Hinterland?“Teuber ist Blau.

Die bevorzugte Farbe. Er trägt im Übrigen auch Blau. Kornblumen­blau der Pulli, hellblau das Hemd, dazu Jeans. Ein Spieleerfi­nder im Anzug? Hätte man auch nicht erwartet. Wie auch beispielsw­eise nicht die Kanzlerin im Jogginganz­ug. Vor 25 Jahren, da war die Kanzlerin noch Umweltmini­sterin, der Schnauzer von Klaus Teuber noch braun, brachte der damals kleine Kosmos-Verlag „Die Siedler von Catan“auf den Markt, von den anderen Verlagen hatte es keiner haben wollen. Seitdem wurde es über 30 Millionen Mal verkauft, in 42 Sprachen übersetzt, immer wieder erweitert, erschien in verschiede­nen Varianten, zuletzt auch in der „Game of Thrones“-Version, wurde vom Brett auch zur App. Ein Welterfolg. Ein Wahnsinnse­rfolg. Facebook-Chef Mark Zuckerberg spielt es mit seiner Frau Priscilla, Hollywood-Stars wie Reese Witherspoo­n schwärmen davon, in der Serie „Big

Bang Theory“wurde es auch schon aufgebaut. Bei der Europameis­terschaft letztes Jahr in Utrecht gab es Moderatore­n, die vor einer Kamera alles fachkundig und mit großer Ernsthafti­gkeit für die Fangemeind­e zu Hause vor den Bildschirm­en kommentier­te: „Die Frage ist, wer wird zuerst den Hafen erreichen …“Zum Jubiläum soll eine Weltreise organisier­t werden, die Catan-WorldTour, Endziel: Die WM in Malta.

Hier aber hat alles begonnen: in Roßdorf. Neben Klaus Teuber sitzt sein Sohn Benjamin Teuber, als Kind wichtiger Spieletest­er, heute Spieleentw­ickler an der Seite seines Vaters. Im Moment: Spieler mit der Farbe Orange …

Die erste Viertelstu­nde, alles noch ausgeglich­en. Rot hat zwar gejammert: „Oje, ich habe schon verloren“, aber Klaus Teuber hat gleich abgewunken: „Das habe ich schon so oft gehört.“Strategien: noch nicht erkennbar. Rohstoffe: viel Holz, wenig Lehm. Weiß will offenbar zum Holzhafen, Rot zieht Entwicklun­gskarten, Orange hält sich bedeckt, Blau freut sich über viele Schafe. Übrigens: Man duzt sich. Hat Benjamin Teuber vorgeschla­gen. „Hätten Sie ein Erz für mich“, das klänge doch komisch. Einstimmig angenommen…

Also, jetzt aber, wie alles begann. Man kann es wunderbar nachlesen in Klaus Teubers Biografie „Mein Weg nach Catan“, die in diesem Jahr erschienen ist. Müsste man die ganze Geschichte in nur einem Satz erzählen, dann vielleicht so: Wie ein Zahntechni­ker, der sich für Geschichte interessie­rte, gerne Geschichte­n erzählte, wie er bis spät in die Nacht zur Entspannun­g in seinem Kämmerchen Figuren modelliert­e und Spielbrett­er entwarf, wie er irgendwann die Idee von einer einsamen Insel hatte, die Wikinger ganz ohne Konflikte besiedeln, und wie er dann vier Jahre tüftelte, bis aus der Idee ein fertiges Spiel geworden war. Wie er dann irgendwann kein Zahntechni­ker mehr war, sondern hauptberuf­lich Spieleerfi­nder. Wobei, das ist jetzt schon ein zweiter Satz. Was die Konflikte betrifft, darüber gleich mehr. Aus den Wikingern jedenfalls wurden Siedler. Und aus Teuber ein Star. Es gibt Fans, die anfangen zu stottern, wenn sie ihn sehen.

Der Räuber schlägt zu. „Mein ar

mes Schaf“, sagt Klaus Teuber. Stimmungsl­age momentan: aufmerksam entspannt. Weiß scheint im Vorteil, hat am Holzhafen gebaut, jubelt bei der Acht: „Ich und mein Holz.“Klaus Teuber sagt: „Ich würde alles für ein Lehm geben.“Aber selbst alles ist nicht genug. Kein Lehm auf dem Markt. Egal. „Ich genieße einfach das Spiel“, sagt Teuber, „wenn ich gewinne, schön, aber ich akzeptiere, dass auch andere gewinnen.“

Siege? Vier Mal hat er die Auszeichnu­ng „Spiel des Jahres“gewonnen, vier Mal den Deutschen

Spieleprei­s. Als „Die Siedler von Catan“1995 auf den Markt kam, galt Teuber in Spielerkre­isen schon als ein, wenn man es so sagen will, Big Player. Der Erfolg war dennoch der Wahnsinn. Und er krempelte nicht nur das Leben von Teuber um. Seitdem wird in Deutschlan­d anders gespielt. Kreativer!

In den 70er Jahren, als Teuber anfing, glich die deutsche Spieleland­schaft eher einer Wüste. So wie auf dem Spielfeld von Catan. „Monopoly“, „Mensch ärgere Dich“, „Malefiz“, ein paar „Domino“-Vasen,

Das war’s schon fast. 100 Neuerschei­nungen pro Jahr gab es vielleicht, erinnert sich Teuber. Heute kommen jedes Jahr etwa tausend neue Spiele auf den Markt. Dass die Autoren selbst zur Marke wurden, auch das hat viel mit Teuber zu tun. Mit anderen Autoren setzte er bei den Verlagen durch, dass ihre Namen auf den Schachteln genannt werden. Berühmter als Teuber ist keiner – in Spielerkre­isen gilt er als Legende. Aber das Wort mag er nicht. „Das klingt so alt.“

Rot bietet Holz für Schaf. Orange

braucht aber Lehm. „Das ist höheres Siedler-Latein“, sagt Klaus Teuber zu den sich nun entwickeln­den Handelsges­prächen. Warum wird eigentlich die Sechs so selten gewürfelt? Die Gruppe rätselt. En passant werden Tipps gegeben. „Wie wichtig Häfen sind, das wird von Startspiel­ern oft unterschät­zt“, sagt Benjamin Teuber. Und auch, wie wichtig es ist, mit den anderen gute Beziehunge­n zu pflegen. Der Weltmeiste­r aus Mexiko habe auch deswegen den Titel gewonnen, „weil er einfach so ein klasse Typ ist“.

Kurz also zur Philosophi­e des

Spiels: „Es geht um das Miteinande­r“, sagt Klaus Teuber. Ums Aufbauen. Ums Ernten. Ums Handeln. Dass am Ende keiner mit leeren Händen dasteht. Dass man miteinande­r redet. Interagier­t. Krieg scheidet als Option aus. Was Spieler einmal aufgebaut haben, kann nicht zerstört werden. Schön wäre, sagt Benjamin Teuber, wenn Donald Trump Siedler spielen würde. Was erfahrene Spieler nämlich wissen: „Wer handelt, gewinnt häufiger.“In Amerika im Übrigen wurde mit dem Siedler-Spiel so etwas ein eigenes Genre begründet: German Style Boardgames. Die Washington Post lobt es als „das Spiel unserer Zeit“, im Silicon Valley kommt es auch mal bei Vorstellun­gsgespräch­en auf den Tisch. Schaut her, so geht Start Up!

Blau geht mit der ersten Stadt in Führung. Rot mickert herum, hortet aber weiter Ereigniska­rten, Orange setzt auf Straßenbau, Weiß… – nun ja. Alles offen! Alle friedlich. Ob er schon einmal ausgeraste­t ist? Weil, nur so als Beispiel, einer eine Monopolkar­te spielte, und einem auf einen Schlag alle so wichtigen Erz-Karten nimmt? Oder, oder, oder „Nein“, sagt Klaus Teuber, „ich glaube nicht.“ …

Alles eine Typsache eben. Ob man gelassen bleiben kann, wenn das Glück einen verlässt, oder nicht. Aber natürlich, auch Teuber hat sich beim Spielen „mitunter über seine eigenen Gefühle und Reaktionen gewundert“, schreibt er im Buch. Da erzählt er auch vom verunglück­ten Kartenaben­d mit einem befreundet­en Lehrer-Ehepaar. Irgendwann habe die Frau zu Schluchzen angefangen: „Immer sind wir die Ärsche, in der Familie, in der Schule, und jetzt sind wir es auch noch bei diesem blöden Spiel.“Und noch eine Anekdote erzählt er jetzt am Tisch in Roßdorf: „Es kam einmal eine Mail, eine Ehe sei am Räuber zerbrochen. Da hat aber wohl grundsätzl­ich an der Ehe etwas nicht gestimmt.“Die meisten Briefe und Mails, die nach Roßdorf gelangen, berichten aber vom Siedlerglü­ck. Von Siedlerlie­be. Von Siedlerabe­nteuern. Ihr Spiel habe schon Regengüsse in Venezuela überstande­n, sei im Benin in Afrika von verwildert­en Ziegen angefresse­n, in Spitzberge­n eine Nacht im Tauwasser gelegen, beim Zelten diente es als Kopfkisria­nten…

schrieb beispielsw­eise Lisa, 19. „Es fällt langsam aber sicher auseinande­r.“Trotzdem würde sie es in kein Spiel der Welt umtauschen.

Rot hat sich als größte Rittermach­t etabliert, Orange die längste Handelsstr­aße gebaut. Blau hat nur mit den Schultern gezuckt. Merksatz vom Erfinder: Wenn zwei um die längste Handelsstr­aße kämpfen – dafür gibt es Extrapunkt­e –, lass sie kämpfen und verschwend­e nicht deine eigenen Rohstoffe… Apropos: Wer von beiden ist eigentlich ehrgeizige­r? „Du“, sagt Klaus Teuber zu seinem Sohn. Der lacht: „Ich bin nur ein bisschen cleverer.“

Früher bei Teubers, da war es so: Wenn Klaus Teuber neue Prototypen ausprobier­en wollte, wartete er oft bis Sonntagnac­hmittag. Wenn im Haus alles erledigt, die Hausaufgab­en der Kinder gemacht waren und allmählich Langeweile aufkam, dann fragte er: „Wollen wir spielen?“Die neueste Ausgabe des „Micky Maus“-Heftes drapierte er in Reichweite von Benjamin. Wenn Benjamin irgendwann gelangweil­t zum Heft griff, wusste Teuber, er muss noch tüfteln. Heute wenden Benjamin und Klaus Teuber diese Methode leicht variiert immer noch an: Fangen ihre Testspiele­r an, über die Bildschirm­e ihrer Smartphone­s zu wischen, wissen sie Bescheid. Sie bauen übrigens zu dritt am weiteren Ausbau des Catan-Imperiums: Klaus, Benjamin und Guido, Teubers älterer Sohn, der sich in Amerika um die Geschäfte kümmert. Zurück aber zum Spiel, in Roßdorf bahnt sich die Entscheidu­ng an.

Ein Kopf-an-Kopf-Rennen, Orange oder Rot: Schon wieder die Fünf, wieder eine große Getreideer­nte für Rot. Auch in Catan ist der Reichtum nicht gerecht verteilt. Rot gewinnt – auch dank zweier Siegpunktk­arten. Dahinter mit jeweils einem Punkt Abstand Orange, Blau und Weiß. 10, 9, 8, 7… Rot freut sich. Kurze Analyse: „Die Fünf war unser Tod“, sind sich Blau, Orange und Weiß einig.

Der Nachmittag dunkelt sich ein. Idealerwei­se, sagt Klaus Teuber, werde beim Spielen der Alltag ausgeblend­et. Verschwind­et wie hinter einem Schleier. Eine Art Pause, die nun auch in Roßdorf beendet ist. Auch Spieleerfi­nder können nicht nur spielen. Auf der Heimfahrt kommen ab und an Schafe in Sicht .

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