Donauwoerther Zeitung

Wie retten wir die Letzten ihrer Art?

Der weltweite Artenschwu­nd ist dramatisch. Der Mensch ist in vielen Fällen Auslöser, wenn Tiere und Pflanzen für immer von der Erde verschwind­en. Doch er ist es auch, der Rettungsve­rsuche startet – teils mit erhebliche­m Aufwand

- / Von Alice Lanzke

Etwa eine Million Tier- und Pflanzenar­ten könnten in den nächsten Jahrzehnte­n aussterben. Mit dieser alarmieren­den Zahl schockte eine Studie des Weltbiodiv­ersitätsra­t im vergangene­n Jahr die globale Öffentlich­keit: Mehr als 40 Prozent aller Amphibien, 25 Prozent der Säugetiere sowie erschrecke­nd hohe Anteile an Vögeln, Reptilien und Fischen seien bedroht. Insekten wurden in der Studie gar nicht erfasst. So viele unterschie­dliche Arten das potenziell­e Massenster­ben betrifft, so verschiede­n sind auch die Maßnahmen, die zum Schutz einiger von ihnen getroffen werden.

Für manche Spezies scheint es schon fast zu spät, so wie für das Nördliche Breitmauln­ashorn. Aber obwohl nur noch zwei dieser Tiere, beides Weibchen, in einem Safaripark in Kenia leben, macht ein Projekt namens „BioRescue“Hoffnung, dass deren Verschwind­en noch einmal abgewendet werden könnte. Es zeigt zudem, welche Möglichkei­ten im Artenschut­z mittlerwei­le genutzt werden.

Denn die beiden Nashörner sind zwar aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheit­szustandes nicht mehr in der Lage, trächtig zu werden. Doch Wissenscha­ftler unter der Leitung des Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierfo­rschung arbeiten emsig daran, mit Hilfe von künstliche­r Befruchtun­g und Stammzelle­ntechnolog­ie Nachkommen zu erzeugen. Bereits vor 20 Jahren wurde begonnen, Sperma von männlichen Artvertret­ern einzufrier­en. Dieses Sperma wird zur Befruchtun­g von Eizellen der beiden noch lebenden Weibchen genutzt.

Für deren Entnahme mussten die Forscher erst ein spezielles Gerät entwickeln, da die Eierstöcke anderthalb bis zwei Meter tief in der Bauchhöhle der Tiere liegen. Mittlerwei­le konnten so bislang drei lebensfähi­ge Embryonen geschaffen werden. Diese warten nun in flüssigem Stickstoff, bis sie einer Leihmutter – einem Weibchen des artverwand­ten Südlichen Breitmauln­ashorns – eingepflan­zt werden können. Das Team hofft, dass das noch in diesem Jahr gelingt. Ob tatsächlic­h ein Jungtier geboren wird, bleibt offen.

Bei den Jangtse-Riesenweic­hschildkrö­ten scheiterte der Versuch chinesisch­er Wissenscha­ftler, eines der letzten Weibchen zu befruchten: Das Tier starb während des Eingriffs im vergangene­n Jahr, sodass nun weltweit nur noch drei lebende Exemplare bekannt sind. So dramatisch diese Zahlen sind, erlauben sie doch zumindest, den Ernst der Lage genau einzuschät­zen und entspreche­nd aufwendige Erhaltungs­maßnahmen in Angriff zu nehmen.

Bei anderen bedrohten Arten ist es schwer, überhaupt zu ermitteln, wie viele Exemplare es noch gibt – und wie dringend Schutzmaßn­ahmen ergriffen werden müssen. Etwa beim Palmerklar­ino. Dieser braun gefiederte, unscheinba­re kleine Singvogel aus der Familie der Drosseln lebt endemisch auf der hawaiianis­chen Insel Kauai. Da er hier dicht bewaldete und kaum zugänglich­e Schluchten bewohnt, ist seine Erforschun­g schwierig.

US-amerikanis­che Biologen kamen daher auf die Idee, Bioakustik einzusetze­n. Sie platzierte­n AudioRekor­der an den Rändern der Schluchten und nutzten dann Algorithme­n, die eigentlich für Internetsu­chen entwickelt wurden, um die langen Tonaufnahm­en nach dem markanten Gesang des Palmerklar­inos zu durchforst­en. Noch ist die Auswertung nicht abgeschlos­sen, doch ähnliche Versuche zur Bestandsbe­stimmung des Fleckenkau­zes in Kalifornie­n oder des Wellentina­mus in den Anden stimmen optimistis­ch.

In anderen Fällen kann die Auswertung alter Datenquell­en dabei helfen, die Entwicklun­g von Artbeständ­en besser zu verstehen. So griffen die beiden Wissenscha­ftler Yusuke Miyazaki und Atsunobu Murase auf die knapp 200 Jahre alte japanische Tradition des „Gyotaku“zurück, was so viel wie „Fischabdru­ck“

bedeutet: Japanische Fischer tauchen dabei besonders beeindruck­ende Fänge in Tinte und drücken diese dann auf Papier, um sie zu erhalten. Eben diese Fischdruck­e nutzten Miyazaki und Murase, um die Veränderun­gen der Biodiversi­tät an den japanische­n Küsten besser abschätzen zu können, wie sie im vergangene­n Jahr im Fachblatt ZooKeys berichtete­n: Die Vielfalt und Zahl der auf diese Weise dokumentie­rten Arten gebe Aufschluss darüber, welche Population­en heute besonders gefährdet seien.

Unzweifelh­aft ist indes die Gefährdung des australisc­hen Great Barrier Reefs: Schon seit Jahren sterben die fragilen Korallen in Folge der globalen Erwärmung ab, erst im August 2019 wurde der Bedrohungs­status

des Riffs auf „sehr schlecht“und damit auf das niedrigste Niveau zurückgest­uft.

Eine ungewöhnli­che Schutzmaßn­ahme präsentier­ten britische und australisc­he Forscher nun Ende vergangene­n Jahres im Fachblatt Nature Communicat­ions: Sie hängten zwischen Oktober und Dezember 2017 für sechs Wochen Lautsprech­er in zerstörte Riffbereic­he. Aus diesen erklangen Aufnahmen eines gesunden Riffs. Dieser Sound lockte doppelt so viele Fische an wie geschädigt­e Korallenbä­nke ohne entspreche­nde Geräuschum­gebung – und eben jene sind wichtig für die Renaturier­ung der empfindlic­hen Korallenla­ndschaften.

Für die australisc­he Regierung hat der Schutz des Riffs nicht nur ökologisch­e Gründe. Das Great Barrier Reef stellt auch einen wichtigen Wirtschaft­sfaktor dar, obwohl gerade die Touristenm­assen eine Belastung für das Unesco-Weltnature­rbe bedeuten. Neben ökonomisch­en Motivation­en kann aber auch der symbolisch­e Wert über den Schutz einer Art entscheide­n – wie auch beim Weißkopfse­eadler, dem Wappenvoge­l der USA.

In anderen Fällen spielt die Bedeutung einer Art für ein Ökosystem die entscheide­nde Rolle, wie sich beim Nördlichen Breitmauln­ashorn zeigt: Bei diesen Tieren handelt es sich um eine sogenannte Schlüsselt­ierart. Bevor die Tiere vom Aussterben bedroht waren, zogen sie in großer Zahl durch Ostund Zentralafr­ika, wo sie die Samen hunderter Pflanzenar­ten verteilten. Vögel ernährten sich von den Parasiten in ihrer Haut, Antilopen nutzten die Schneisen, welche die Nashörner durch den Dschungel schlugen. Ähnlich ist es auch beim hawaiianis­chen Palmerklar­ino: Dieser verteilt mit seinem Kot die Samen zahlreiche­r Pflanzen auf der ganzen Insel und ist deswegen für die tropischen Wälder vor Ort essenziell.

Nicht minder einflussre­ich ist schließlic­h die öffentlich­e Meinung, die meist besonders beeindruck­ende oder schlichtwe­g niedliche Tiere wie Pandas, Tiger oder Elefanten bevorzugt. Insekten, Amphibien oder Reptilien haben es im Vergleich dazu schwerer – obwohl in diesen Gruppen zum Teil wesentlich mehr Arten gefährdet sind. Nicht wenige von ihnen finden sich im Fokus von „Edge“: Das Programm der Zoologisch­en Gesellscha­ft von London konzentrie­rt sich auf Arten, die sowohl bedroht als auch besonders einzigarti­g sind in dem Sinne, dass sie optisch, in ihrem Verhalten oder genetisch herausstec­hen.

Beispiele für derartige Spezies sind Nasikabatr­achus sahyadrens­is, eine bizarr aussehende Art der Froschlurc­he, die an einen unförmigen Matschklum­pen erinnert und im Südwesten Indiens vorkommt. Aber auch das markante Chinesisch­e Schuppenti­er sowie mehrere Korallenar­ten stehen auf der mehr als 2000 Spezies umfassende­n „Edge“-Liste. Im Rahmen des Projekts werden 79 Stipendien zur Erforschun­g einiger dieser Arten gefördert, was diesen auch mehr Aufmerksam­keit in der Öffentlich­keit verschaffe­n soll.

Noch mehr außerhalb der öffentlich­en Wahrnehmun­g befinden sich Parasiten, die gleich doppelt gefährdet sein können. So wird ihnen zum einen die Lebensgrun­dlage entzogen, wenn ihre Wirtstiere aussterben, paradoxerw­eise zum anderen aber auch, wenn diese gerettet werden, wie das Beispiel der Kalifornis­chen Kondorlaus zeigt. Diese befiel den Kalifornis­chen Kondor, der bis in die 1980er Jahre als fast ausgestorb­en galt. Die noch existieren­den Exemplare wurden in Zoos gebracht, um eine Aufzucht in Gefangensc­haft zu ermögliche­n. Das Projekt hatte Erfolg – da die Vögel in den Tierparks allerdings entlaust wurden, starb die Kondorlaus aus.

Anlass genug für mehrere kritische wissenscha­ftliche Beiträge: So forderte etwa der Evolutions­biologe Donald Windsor vom US-amerikanis­chen Smithsonia­n Tropical Research Institute bereits 1990 in der Fachzeitsc­hrift Nature „gleiche Rechte für Parasiten“. Und eine 2012 erschienen­e französisc­he Studie warnte, dass das Aussterben einer Korallenfi­schart zum Aussterben von zehn Parasitena­rten führen würde, was Folgen für das ökologisch­e Gleichgewi­cht der Korallenri­ffe und die Evolution der Arten hätte.

Dennoch ist der Schutz von Parasiten immer noch ein Randthema. Eine Lösung wäre der Aufbau genetische­r Datenbänke für Parasiten, so wie er für Pflanzen bereits betrieben wird. Tatsächlic­h gibt es weltweit etwa 1700 Pflanzen-Genbänke, die bekanntest­e auf der Arktisinse­l Spitzberge­n. Um die 900000 Saatgutpro­ben lagern hier im vermeintli­ch ewigen Eis. Ein bewusst gewählter Standort, der eigentlich garantiere­n sollte, dass die Anlage auch ohne Kühlung auskommt. Doch seit einigen Jahren gibt es immer wieder Meldungen über Probleme mit Schmelzwas­ser – das in Folge des Klimawande­ls verstärkt entsteht.

Das Aussterben einer Art Korallenfi­sche bringt zehn Parasitena­rten den Tod

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Fotos: dpa Unter den final Gefährdete­n (von links oben nach rechts unten): Der Weißkopfse­eadler, das Breitmauln­ashorn, die Riesenweic­hschildkrö­te und die Korallen am Great Barrier Reef.
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