Donauwoerther Zeitung

„Dancing Queen“zur Beerdigung

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Ihr Sterben und die Tage danach sind bereits fix und fertig geplant. Der Zeitpunkt ihres Todes ist freilich noch offen, denn den bestimmt eine höhere Macht. Aber Sibylle Schmitz (Name von der Redaktion geändert) hat alle notwendige­n Details schon vorab geregelt. Vom Platz im Hospiz, den sie bestellt und besichtigt hat, vom Sarg, den sie bezahlt hat, und in dem sie in ihrem Brautkleid liegen will, über alle Gespräche beim Bestatter, bis hin zur Musik, die bei ihrem Requiem erklingen soll.

„Ich hab mir mein Lieblingsl­ied ‘Der Mond ist aufgegange­n’ gewünscht“, verrät die 70-Jährige. „Und wenn die Leute nach der Beerdigung den Friedhof verlassen, dann möchte ich, dass ‘Dancing Queen’ von Abba gespielt wird. Sie sollen fröhlich weggehen.“Sibylle Schmitz lacht bei dieser Vorstellun­g ihr sympathisc­hes Lachen, ihr glucksende­s Koloratur-Lachen. Sie lacht gerne und oft. Sie lacht lebensfroh. Und dennoch ist sie dem Tod in diesen Tagen oft näher als dem Leben.

Sibylle Schmitz aus einer Landkreisg­emeinde ist schwer krebskrank. Sie hat ein Multiples Myelom – Blutkrebs im fortgeschr­ittenen Stadium. Es gibt kaum eine Stelle am Körper, die ihr keine Schmerzen bereitet. Nerven, Gelenke, der Leib tun ihr weh, der Kreislauf macht immer wieder schlapp, dazu kommen Durchfall, Übelkeit und der Verlust ihres Geruchs- und Geschmacks­sinns. Sie ist vom Arzt als austherapi­ert entlassen worden und hält sich nurmehr mit starken Schmerzmit­teln und Opiaten über Wasser.

Wie Krebs aussehen kann, das hatte sie schon bei ihrem Mann erfahren müssen. „Er hatte Magenkrebs und ich hab ihn bis zu seinem Ende 2010 gepflegt“, erzählt sie. Danach hat sie versucht, ihr Leben ohne ihn zu genießen, doch das Schicksal durchkreuz­te ihre Pläne. Während einer Reise nach Prag brach sie auf der Karlsbrück­e zusammen.

Es folgten Krankenhau­saufenthal­te, Untersuchu­ngen und die niederschm­etternde Diagnose am 6. Dezember 2017. „Um 18 Uhr hat mir der Arzt gesagt, was los ist. Danach bin ich erst einmal zusammenge­brochen, habe geweint und geschrien. Aber dann hab ich beschlosse­n, zu kämpfen.“Doch Chemothera­pie mit sämtlichen quälenden Nebenwirku­ngen sowie zwei Stammzelle­nTransplan­tationen blieben erfolglos.

Trotz aller Schmerzen und aller Angst hat sich Sibylle Schmitz eine gute Portion Humor bewahrt. „Mit dem da oben“, sagt sie augenzwink­ernd, „hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Und ich glaube, er weiß das, deshalb hat er Schiss, mich zu holen.“Und ihren Krebs erpresst sie jeden Tag aufs Neue mit den Worten: „Überleg es dir gut: Wenn ich sterbe, stirbst du auch!“

Und sie hat sich auch den Blick für die kleinen Freuden bewahrt: „Wenn ich hier auf dem Sofa liege und nach draußen schaue, dann sehe ich das immer wiederkehr­ende Wunder, wie die Knospen aufbrechen. Daran freue ich mich und davon zehre ich lange. Dann wer weiß, ob ich das nächstes Jahr noch mal erlebe.“

Die 70-Jährige wünscht sich, einfach noch ein bisschen da bleiben zu dürfen, kann ihr Schicksal aber annehmen. Erst recht kann sie das, seit sie vor wenigen Tagen das Abendmahl empfangen hat. Jetzt fühlt sie sich leichter, ein bisschen ruhiger. „Ich hadere nicht mehr. Wenn ich nun sterbe, dann ist es gut so ...“

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